Ein Jahr nach dem Start des Strategiedialogs Automobilwirtschaft BW haben die Beteiligten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft ein erstes Resümee gezogen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht Baden-Württemberg auf dem besten Weg vom Automobilland Nr. 1 zum ökologisch nachhaltigen und ökonomisch erfolgreichen Mobilitätsland Nr. 1.
„Die Megatrends Elektrifizierung, Digitalisierung, autonomes Fahren und Sharing-Modelle haben uns mitten in ein neues Mobilitätszeitalter katapultiert. Deshalb sind wir im Mai 2017 mit einem einmaligen Format, einem Bündnis aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft aufgebrochen, um die Transformation der Automobilwirtschaft in Baden-Württemberg zum Erfolg zu machen: für die Unternehmen und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land, aber auch für unsere Umwelt und Gesundheit“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Anschluss an das Treffen der am Strategiedialog Automobilwirtschaft BW (SDA) Beteiligten in Stuttgart.
Nach dem ersten von insgesamt sieben Jahren, auf die der SDA angelegt ist, sei es Zeit, ein erstes Resümee zu ziehen. „Aber eines ist auch klar: Bei einem derart lang angelegten und komplexen Vorhaben wurde bisher vor allem in der Werkstatt geschraubt: Wir haben strukturiert, Visionen entwickelt, Schwerpunkte identifiziert und erste Projekte festgelegt. Die PS auf die Straße bringen wir ab jetzt: In der Projekt-Phase gehen wir verstärkt gemeinsame Vorhaben mit den SDA-Partnern an – und zwar themenfeldübergreifende Projekte mit Leuchtturmcharakter. Wir sind damit auf dem allerbesten Weg vom Automobilland Nr. 1 zum ökologisch nachhaltigen und ökonomisch erfolgreichen Mobilitätsland Nr. 1“, so der Ministerpräsident.
Transformation in kleinen und mittleren Unternehmen
„Das Land Baden-Württemberg hat zwölf Pilotprojekte gestartet und investiert dafür insgesamt 20 Millionen Euro“, so der Ministerpräsident. Dazu gehört zum Beispiel ein Technologie-Kalender, der kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) anhand eines Zeitplans Orientierung geben kann, wie sich der Transformationsprozess der Automobilwirtschaft mittelfristig vollziehen könnte.
Über die Mittelstandsoffensive Mobilität (MOM) können KMU, die nachhaltige Mobilitätsprodukte und -dienstleistungen planen, bereits bürokratiearm Finanzierungslücken mit dem Innovationsgutschein „Hightech Mobilität” schließen. Auch der Ideenwettbewerb zu „Mobilitätskonzepten für den Emissionsfreien Campus“ ist erfolgreich angelaufen. Ziel ist es, umweltfreundliche Mobilitätslösungen auf den stetig wachsenden Campus-Arealen baden-württembergischer Hochschulen zu entwickeln, damit die Luft gesünder, der Lärm weniger und die Lebensqualität besser werden kann.
Elektromobilität und andere alternative Antriebe fördern
„Und wir sind schon an zahlreichen weiteren Projekten dran: Beispielsweise wird ab 2019 über das Projekt SAFE eine flächendeckende Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in Baden-Württemberg zur Verfügung stehen. Das bedeutet: alle zehn Kilometer steht im ganzen Land eine Elektro-Ladesäule, alle 20 Kilometer eine Schnellladesäule“, sagte Kretschmann. Außerdem werde der Landesfuhrpark sukzessive mit umweltfreundlichen Fahrzeugen ausgestattet und die Beschaffung zentralisiert: „Wir werden den CO2-Ausstoß der Landesflotte noch weiter reduzieren. Denn es ist uns absolut ernst damit, unseren Zielwert 95g CO2/km im Flottenmix bis 2020 zu erreichen“, betonte Kretschmann.
Im Rahmen der heutigen Veranstaltung hoben der Ministerpräsident und Prof. Dr. Thomas Hirth, Vizepräsident für Innovation und Internationales des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), mit einer Absichtserklärung zudem ein Kraftstoffprojekt aus der Taufe: „reFuels – Kraftstoffe neu denken“ legt den Fokus auf regenerativ erzeugte synthetische Kraftstoffe, die wie die E-Mobilität eine Alternative zu fossilen Brennstoffen darstellen.
Forschungsprojekte zur Batteriezellenproduktion
Gemeinsam mit dem Bund hat das Land außerdem zwei bedeutende Forschungsprojekte zu Batteriezellen geplant. Im Rahmen des Projektes „DigiBattPro4.0“ wird eine massentaugliche und wettbewerbsfähige Produktionstechnologie nach Industrie 4.0-Prinzipien entwickelt. „Die Erkenntnisse aus diesem Projekt werden wesentliche Grundlage für eine wirtschaftlich tragfähige Massenproduktion von Batteriezellen in Europa sein“, sagte der Ministerpräsident. Der Bund fördert das Vorhaben mit insgesamt 30 Millionen Euro, der Landesanteil beträgt bis zu acht Millionen Euro. Daneben ist die Einrichtung eines „Europäisches Prüf- und Kompetenzzentrum Batterien und Energiespeichersysteme“ in Freiburg vorgesehen. Das Land will dieses Vorhaben mit bis zu zwölf Millionen Euro fördern. Die finalen Abstimmungen mit dem Bund laufen derzeit.
„Wichtig ist uns aber auch, dass wir die Bürgerinnen und Bürger in ihren unterschiedlichen Rollen – vom Arbeitnehmer über die Unternehmenschefin bis zum Endkunden – mitnehmen. Denn dieser Prozess ist nicht nur eine wirtschaftliche und technologische, sondern auch eine gesellschaftliche Herausforderung“, betonte der Ministerpräsident. Das Thema ziehe sich durch nahezu alle Themenbereiche des SDA. Es werde daher zum einen auch hier Bürgerdialoge geben. „Die Arbeits- und Lebenswelt verändert sich zudem rasant – das muss sich auch in den Bildungsangeboten widerspiegeln. Wir müssen dafür sorgen, dass die Menschen egal welchen Alters im Privaten wie im Beruflichen nicht den Anschluss verlieren, wenn Mobilität sich zunehmend digital abspielt – sei es beim Lösen eines Zugtickets oder beim Programmieren der neuesten Mobilitätsapp“, sagte Kretschmann. Mit der Qualifizierungsoffensive Lernwerkstatt 4.0 für zum Beispiel Mitarbeiter von Autowerkstätten sei ein Anfang für die Entwicklung weiterer Bildungsangebote zur digitalen Zukunft gemacht.
Weitere Statements der Beteiligten
Thomas Strobl, stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration des Landes Baden-Württemberg: „Die Digitalisierung krempelt unsere Mobilität komplett um: Autonome Fahrzeuge, intelligente Verkehrsführung und die Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsträger – all das ermöglicht die Digitalisierung und all das bringt völlig neue Angebote hervor. Anders als früher, sind alle Bereiche in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik gleichzeitig gefordert. Die Übermittlung und Vernetzung von Daten in Echtzeit gelingt aber nur mit einem flächendeckenden Breitbandnetz. Deshalb haben wir hier auch eine Investitionsoffensive gestartet – eine Milliarde Euro investieren wir alleine bis 2021 in die Digitalisierung, die Hälfte davon in den Ausbau des schnellen Internet. Wir müssen hier aber noch schneller Fahrt aufnehmen und die Kraft der Kommunen, der Telekommunikationsunternehmen und Netzbetreiber in einer echten Gigabitoffensive bündeln.“
Dieter Zetsche, Vorsitzender des Vorstands der Daimler AG und Leiter Mercedes-Benz Cars: „Alle Beteiligten des Strategiedialogs haben ein gemeinsames Ziel: Die Zukunft der Schlüsselindustrie Automobil erfolgreich zu gestalten. Wir sind uns einig, dass die Mobilität der Zukunft in Baden-Württemberg entstehen soll und dass sie noch sauberer, effizienter und intelligenter werden soll. Damit diese Transformation gelingt, ist die Qualifizierung ein Kernthema. Daimler hat deshalb im Transformationsrat des Strategiedialogs ein ,Bündnis für Bildung‘ initiiert.“
Oliver Blume, Vorsitzender des Vorstands der Porsche AG: „Elektromobilität und Digitalisierung stehen für uns ganz oben auf der Agenda: Ende kommenden Jahres wird in Zuffenhausen unser erster Seriensportwagen mit rein elektrischem Antrieb, der Taycan, vom Band rollen. Allein bis 2022 investiert Porsche sechs Milliarden Euro in die Elektrifizierung. Mit der inzwischen international vertretenen Porsche Digital sowie dem Digital Lab in Berlin haben wir zusätzliche Schnittstellen zu Zukunftstechnologien, innovativen Start-ups und Talenten geschaffen. Von der Landesregierung erwarten wir verbesserte Rahmenbedingungen. Wir brauchen ein verlässliches und schnelles Internet. Und wir benötigen noch mehr junge, kreative Köpfe. Digitale Bildung ist ein Eckpfeiler der Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft. Ich bin sehr zuversichtlich: Gemeinsam schaffen wir es, den Spitzenplatz von Baden-Württemberg im globalen Standortwettbewerb auszubauen.“
Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH: „Um Luftqualitätsgrenzwerte in Städten einzuhalten, braucht es ein Bündel an Maßnahmen – diese schließen reduzierte Emissionen von Fahrzeugen genauso ein, wie Maßnahmen, die den Verkehrsfluss verstetigen. Solche Maßnahmen wirken schon heute und unterstützen gleichzeitig den langfristigen Mobilitätswandel. Grundsätzlich müssen wir uns alle technologischen Pfade offenhalten, um die Transformation der Mobilität nachhaltig und intelligent zu gestalten. Für die Erreichung der Klimaziele brauchen wir neben der Elektromobilität auch emissionsarme Verbrennungsmotoren, Brennstoffzellen und mit erneuerbaren Energien hergestellte synthetische Kraftstoffe.“
Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg: „Die meisten Arbeitsplätze in der Autoindustrie werden 2025 anders aussehen als heute – auch in Zeiten der Transformation brauchen aber alle Beschäftigten einen sicheren Arbeitsplatz. Diesen Wandel zu gestalten, ist die gemeinsame Aufgabe von Landesregierung, Unternehmen und Gewerkschaften. Neue Technologien rund um das Auto erfordern gezielte Investitionen in Standorte und Zukunftsprodukte sowie massive Anstrengungen in die Qualifizierung der Beschäftigten. Die Weichen für die Mobilität von morgen werden jetzt gestellt; gute Arbeit, Tarifverträge und Mitbestimmung sind dabei wichtige Leitplanken.“
Frank Mastiaux, Vorsitzender des Vorstands der EnBW Energie Baden-Württemberg AG: „Wir wollen als EnBW unseren Beitrag dazu leisten, dass die Menschen mit ihren Elektroautos losfahren können, ohne sich Gedanken über Reichweite und Lademöglichkeiten machen zu müssen. Für uns ist das aus Überzeugung ein Thema von strategischer Bedeutung, ähnlich dem Ausbau der erneuerbaren Energien. Dazu gehen wir unterschiedlichste Allianzen ein und sind zuletzt einer der führenden Marktteilnehmer geworden. Die Fortschritte, die wir machen, kann man an den Woche für Woche steigenden Zahlen von Ladestationen im Land und bundesweit ablesen.“
Brigitte Dahlbender, Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND): „Wir werden im Dialog mit der Zivilgesellschaft darauf hinwirken, dass die Strategie der Transformation in Richtung neue Mobilität, Klimaschutz und Nachhaltigkeit zielt.“
Strategiedialog Automobilwirtschaft BW
Der Strategiedialog Automobilwirtschaft BW startete mit einer Auftaktveranstaltung am 19. Mai 2017 im Neuen Schloss Stuttgart. Zunächst wurde danach die Arbeitsstruktur festgelegt, deren Hauptbestandteil sechs Themenfelder und ein Querschnittsfeld darstellen: Forschung und Entwicklung, Produktion, Zulieferer (I), Vertrieb, After-Sales (II), Energie (III), Digitalisierung (IV), Verkehrslösungen (V), Forschungs- und Innovationsumfeld (VI), Querschnittsfeld Gesellschaft und Mobilität (VII). Jedem Themenfeld steht ein Mitglied der Landesregierung sowie ein Co-Lead aus Unternehmen, Wissenschaft oder Nicht-Regierungsorganisationen vor. Jährlich treffen sich die Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierung, der Unternehmensleitungen, der Wissenschaft, der Arbeitnehmervertretungen und der Zivilgesellschaft, um die bisherigen Fortschritte und das weitere Vorgehen zu besprechen. Nach einer einjährigen Start- und Projektierungsphase geht der SDA nun in die Projektphase I (2018 bis 2020) und nach einer Bilanzkonferenz in die Projektphase II (2020 bis 2024) über.
Staatsministerium: Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg
Erster Fortschrittsbericht Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg (PDF)
Statements der Themenfeldvorsitzenden (PDF)