Es war in den Jahren nach dem Dreißigjährigen Krieg, als Crailsheim stark verwüstet war und nur wenige Einwohner zählte. Unter ihnen lebte auch ein Schuster mit seiner Frau an der Brücke bei der Armenhäuserkapelle.
Eines Abends bemerkte der Mann plötzlich ein kleines Männlein mit schneeweißem Haar und einem Dreispitz auf dem Kopf. Es hatte ein freundliches Gesicht und blieb immer länger in der Stube. Lange sagte der Mann nichts zu seiner Frau. Denn die konnte das Männlein nicht sehen. Dann aber berichtete er doch dem Pfarrer von der seltsamen Erscheinung. Der riet, die Gestalt beim nächsten Mal anzusprechen, aber nicht mit „du” oder „er”, sondern mit „man„. Verlange der Geist einen Dienst, so solle man ihn anweisen, die Arbeit selbst zu tun.
In der Nacht vor Heilig Abend kam das Männlein wieder. Da fragte der Schuster: „Was begehrt man?” Das Männlein führte den Schuster in einen tiefen Gang und sagte an dessen Ende, auf eine Hacke: „Man kann scharren”. Da sagte der Schuster: „Man kann selber scharren.” Und so grub das Männlein im Boden und förderte einen großen verschlossenen Kessel zu Tage. „Man kann heben”, sagte es, und der Schuster sagte: „Man kann selber heben.”
Da bot das Geistlein dem Schuster die Hand. Der wickelte zuerst sein Schnupftuch um die Finger. Kaum hatten die beiden Hände einander berührt, verbrannte das Tuch augenblicklich. Der Schuster fiel in Ohnmacht, das Geistlein verschwand, denn nun war es erlöst.
Es hatte dem Schuster einen seltsamen Reichtum hinterlassen. Zwar war der Kessel voll Gold, doch fand sich darin auch ein Zettel vom Männlein geschrieben, auf dem stand, alles müsse geheim bleiben, sonst sei seine Seele verloren. So lebten die Schustersleute weiterhin bescheiden und spendeten den Armen. Den Schuster hat man nie mehr lachen sehen, und nach sieben Jahren trug man ihn zu Grabe.
Die Geschichte ist auch unter dem Namen „Der Schuster und das Gespenst” bekannt.