In einem Gastkommentar in der Wirtschaftswoche wirbt Ministerpräsident Winfried Kretschmann für ein pragmatisches Einwanderungsgesetz. Ihn erreichen immer wieder Rufe aus der Wirtschaft nach einer ordentlichen gesetzlichen Regelung. Ideologie helfe in der Migrationsdebatte nicht weiter, so der Ministerpräsident.
Ideologie hilft uns in der Migrationsdebatte nicht weiter. Zwar ist unsere Integrationsfähigkeit begrenzt. Aber auch im Interesse der Wirtschaft dürfen wir nicht die Falschen abschieben – und müssen die Einwanderung endlich regeln.
Rund ein Dutzend Flüchtlinge beschäftigt der Outdoor-Ausrüster Vaude. So hat es mir Antje von Dewitz, die Geschäftsführerin des Familienunternehmens, berichtet. Es seien Arbeitskräfte, die das Unternehmen dringend braucht, sagt sie. Denn es sei schwierig, geeignete Mitarbeiter für die Näherei zu bekommen. Deshalb setzt sich die Chefin nun dafür ein, dass jene Mitarbeiter, deren Asylanträge abgelehnt wurden, in Deutschland bleiben dürfen.
Ich verstehe das Anliegen von Antje von Dewitz gut: Sie hat in der Flüchtlingskrise gesellschaftliche Verantwortung übernommen – so wie wir uns das immer von Unternehmern wünschen. Ihre Firma hat Zeit und Geld in die Flüchtlinge gesteckt. Nun sind die Mitarbeiter integriert, machen einen guten Job. Da ist es absolut nachvollziehbar, dass die Chefin sie nicht verlieren möchte. Mit ähnlichen Forderungen wenden sich viele Unternehmer an mich – vom Handwerker über den Gastwirt bis zum Konzernchef. Und immer wieder haben sie die gleiche Frage: „Warum werden die Falschen abgeschoben – die gut Integrierten, die arbeiten und Geld verdienen und damit ihren Lebensunterhalt bestreiten können?“
Einwanderungs- nicht mit Flüchtlingspolitik verwechseln
Vor kurzem haben mehr als 110 Firmen aus Baden-Württemberg mit weit über einer halben Million Beschäftigten eine gemeinsame Initiative gestartet. Die Unternehmer, die zusammen mehr als 2.000 Flüchtlinge beschäftigen, fordern ein Bleiberecht für geduldete Flüchtlinge in Arbeit und ein Einwanderungsgesetz. Diese Initiative zeigt: Deutschland hinkt den Anforderungen einer zeitgemäßen Einwanderungspolitik hinterher. Warum ist das so? Die unselige Debatte der vergangenen Wochen hat einmal mehr deutlich gemacht, dass Debatten über Migration und Integration bei uns einseitig auf die Begrenzung von Zuwanderung fokussiert sind. Es geht zu oft um Symbole und zu selten um wirksame Lösungen. Eine faktenorientierte Debatte scheint kaum möglich. Aber die brauchen wir: eine Debatte, die ideologische Scheuklappen beiseitelegt, Humanität und Ordnung zusammenbringt und unsere wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen in den Blick nimmt.
Wir dürfen Einwanderungs- nicht mit Flüchtlingspolitik verwechseln. Menschen, die vor Armut und Perspektivlosigkeit fliehen, können nicht als Flüchtlinge anerkannt werden. Dafür ist unser Asylrecht nicht gemacht – auch wenn wir die Motive der einzelnen Migranten oft gut verstehen können. Wir müssen auch ehrlich zu uns selbst sein: Die Integrationsfähigkeit einer Gesellschaft ist begrenzt. Daher können nicht alle, die zu uns kommen, auch hier bleiben.
Arbeitsmigration sollte sich an den Bedürfnissen unserer Gesellschaft orientieren
Um jenen Menschen Schutz geben zu können, die ihn wirklich brauchen, müssen jene, die nicht verfolgt sind, wieder in ihre Heimat zurückkehren. Wir brauchen deshalb eine klare Trennung zwischen humanitärer und wirtschaftlicher Zuwanderung. Und Arbeitsmigration sollte sich an den Bedürfnissen unserer Gesellschaft orientieren. Wir sollten aber auch nicht die Falschen abschieben. Deshalb plädiere ich für eine pragmatische Rückführungspolitik.
Es ergibt ja keinen Sinn, Menschen abzuschieben, die seit Jahren hier leben, Arbeit haben, Steuern zahlen, Deutsch sprechen und deren Kinder hier in die Schule gehen. Für diese Menschen sollten wir eine sinnvolle Stichtagsregelung einführen, die Migranten ein Bleiberecht ermöglicht, die bereits seit mehreren Jahren hier leben, unbefristet arbeiten und sich gut integriert haben. Davon profitieren alle.
Ich verstehe auch, wenn mich Protestbriefe erreichen, weil Personen, die eine einjährige Ausbildung zum Pflegehelfer machen, abgeschoben werden. Schließlich haben wir in dem Bereich einen riesigen Fachkräftemangel. Da ist es unverständlich, dass diese Personen nicht von der sogenannten Ausbildungsduldung profitieren können. Diese sieht vor, dass Menschen während ihrer qualifizierten Berufsausbildung nicht abgeschoben werden können. Das gilt auch in den beiden darauffolgenden Jahren, sofern sie einen Arbeitsplatz vorweisen können. Diese Regelung sollten wir auch auf einjährige Helferausbildungen anwenden – so wie es große Teile der Wirtschaft fordern. Die Unternehmen bilden Flüchtlinge nur aus, wenn sie Planungssicherheit haben.
Zuwanderung von Fachkräften mit Studienabschluss vereinfachen
Vor allem aber brauchen wir endlich ein Einwanderungsgesetz. Deutschland muss sich im globalen Wettbewerb um die besten Arbeitskräfte mehr anstrengen und die Arbeitsmigration besser steuern. Deshalb ist es höchste Zeit, dass die Bundesregierung nun endlich den Entwurf für ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz vorlegen will. Dieser Schritt ist überfällig, reicht jedoch nicht aus. Damit die Unternehmen die Arbeitskräfte bekommen, die sie dringend benötigen, braucht es ein Einwanderungsgesetz, das alle Formen der Arbeitsmigration regelt: Erstens muss es die Zuwanderung von Fachkräften mit Studienabschluss vereinfachen. Zweitens muss es Zugänge für beruflich qualifizierte Bewerber im gewerblichen Bereich eröffnen. Und drittens muss es sinnvolle Regeln enthalten für eine befristete Arbeitsmigration von gering Qualifizierten, die bereits einen Arbeitsvertrag in der Tasche haben.
Statt Ideologie und Symbolpolitik brauchen wir jetzt einen neuen Geist in der Debatte. Einen gestaltenden, nach vorne gerichteten Geist, der sachorientiert und differenziert ist und der unser wohlverstandenes Eigeninteresse, Pragmatismus und Humanität verbindet. Damit wir Zuwanderung aktiv gestalten und steuern – und die Gesellschaft und das große Ganze fest im Blick haben.
Quelle:
Der Gastkommentar erschien am 17. August 2018 in der Wirtschaftswoche.