Das Land fördert ein neues Reallabor zum Transfer digitaler Gesundheitsanwendungen und Künstlicher Intelligenz ins Gesundheitswesen mit rund 2,3 Millionen Euro. Gesundheitsminister Manne Lucha war bei der Eröffnung in Karlsruhe dabei.
Künstliche Intelligenz (KI) soll in Baden-Württemberg zukünftig eine stärkere Rolle in der Gesundheitsversorgung und bei der Pflege spielen. Um entsprechende Vorhaben aus der Theorie in die Praxis zu bringen, wurde am 21. Oktober 2022 in Karlsruhe ein sogenanntes Reallabor eröffnet. Das Land fördert das Reallabor zum Transfer digitaler Gesundheitsanwendungen und KI ins Gesundheitswesen (ROUTINE) des FZI Forschungszentrums Informatik mit rund 2,3 Millionen Euro.
„Künstliche Intelligenz leistet einen wertvollen Beitrag, dass Patientinnen und Patienten besser und individueller versorgt werden“, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha bei der Eröffnung. „Das medizinische Personal wird entlastet und beispielsweise bei der Diagnose, Therapiewahl und Dokumentation unterstützt. Das schafft mehr Freiräume für menschliche Zuwendung. Ziel des Reallabors ist es, diese Chancen im Versorgungsalltag auch wirklich zu nutzen.“
Das Landeskabinett hatte den Aufbau eines Reallabors am 5. April 2022 beschlossen und das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration mit der Umsetzung beauftragt. Die Förderung läuft bis Ende 2024 und erfolgt im Zuge der Strategie des Sozial- und Gesundheitsministeriums zur Digitalisierung in Medizin und Pflege.
Aufbau experimenteller Umgebung für KI-Entwicklung und -Anwendung
Das Ziel des Reallabors ist es, einen Experimentierraum für Unternehmen und weitere Akteure zu schaffen, um KI-gestützte Methoden in der Gesundheitsversorgung zu erproben. Beispiele für KI-Anwendungen sind etwa Smartphone-Apps, die dabei helfen, unter anderem die Nervenkrankheit Morbus Parkinson frühzeitig zu erkennen, indem Daten zu Stimme, Bewegungsverhalten, Tippmuster sowie Kontaktverhalten und Lebensstil analysiert werden. Auch intensivmedizinische Daten können mit KI analysiert werden, um eine bessere Therapie zu ermöglichen. Pflegende werden beispielsweise in der Dokumentation durch ein technisches Assistenzsystem unterstützt und haben dadurch mehr Freiräume für die Pflegebedürftigen.
Darüber hinaus wird durch das Reallabor die Produktentwicklung gefördert und notwendiges Wissen an Unternehmen, Anwenderinnen und Anwender sowie Patientinnen und Patienten vermittelt. Gebildet wird das Projektkonsortium von führenden baden-württembergischen Vertreterinnen und Vertretern aus Forschung, Versorgung, Industrie und Start-up-Szene. Neben dem FZI gehören dazu die Philips GmbH mit ihrer Medizintechnik-Sparte in Böblingen, die Diakonie Baden als einer der Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege, die Robert Bosch Gesellschaft für medizinische Forschung GmbH, in der die Forschungsaktivitäten des Bosch Health Campus gebündelt werden, die Koordinierungsstelle Telemedizin Baden-Württemberg an der Universität Heidelberg, das Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut an der Universität Tübingen sowie die Start-ups corvolution GmbH und movisens GmbH, die bereits KI-basierte Algorithmen nutzen und ihre dabei gewonnenen Erfahrungen einbringen können.
Reallabor als Blaupause für EU- und Bundesebene
Das in dieser Form einzigartige Reallabor hat bereits auf der Ebene der Europäischen Union (EU) und Bundesebene Aufmerksamkeit gewonnen und wird dort als Blaupause für andere Mitgliedsstaaten und Bundesländer gesehen. Baden-Württemberg nimmt hier eine Vorreiterrolle ein. Im Juni konnte der Förderaufruf im Zuge einer Delegationsreise nach Brüssel der EU-Kommission vorgestellt werden. Es wurde festgehalten, dass über die Ergebnisse des baden-württembergischen Modellprojekts regelmäßig berichtet werden soll.
„Starten Sie als Konsortium zeitnah den Dialog mit Forschenden, Leistungserbringenden, Unternehmen sowie weiteren Akteuren im Land wie Patientenvertretungen und Krankenkassen. Identifizieren Sie Transferhürden und entwickeln Sie auf dieser Basis Lösungsvorschläge, die wir als Politik aufgreifen können“, formulierte Minister Lucha abschließend die Zielrichtung der kommenden Monate.
Reallabore in Baden-Württemberg
Reallabore als Testräume für Innovation und Regulierung machen es möglich, unter realen Bedingungen innovative Technologien, Produkte, Dienstleistungen oder Ansätze zu erproben, die mit dem bestehenden Rechts- und Regulierungsrahmen teilweise nur bedingt vereinbar sind. Sie bieten die Möglichkeit, Gesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft und Politik für die Lösungsfindung zusammenzubringen. Die Ergebnisse solcher zeitlich und oft räumlich begrenzter Experimentierräume bieten die Grundlage dafür, den Rechtsrahmen evidenzbasiert weiterzuentwickeln. Die in einigen Gesetzen vorhandenen Experimentierklauseln sind häufig die rechtliche Grundlage, um innovative Modellprojekte durchführen zu können. Baden-Württemberg ist Vorreiter bei der Etablierung von Reallaboren und fördert seit dem Jahr 2015 mehr als zwanzig Projekte mit einem insgesamt zweistelligen Millionenbetrag. Darunter ein Reallabor für „Robotische Künstliche Intelligenz“ sowie eines für „Künstliche Intelligenz für psychische Gesundheitsförderung“, die vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert werden.
Im Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg verfolgen zudem zahlreiche Akteure aus Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Gesundheitsversorgung gemeinsam das Ziel, den Gesundheitsstandort Baden-Württemberg in einem strategischen Prozess mit Unterstützung der Landesregierung zum führenden Standort für medizinische Forschung, für die Entwicklung und Herstellung medizinischer Produkte und für eine moderne und innovative Gesundheitsversorgung weiterzuentwickeln. Die zielgerichtete digitale Nutzung von Gesundheitsdaten soll vorangetrieben werden, dafür hat die Landesregierung im Zuge des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg die Roadmap Gesundheitsdatennutzung (PDF) aufgesetzt, die mit den Akteurinnen und Akteuren des Forums umgesetzt wird.