Staatsekretärin Dr. Ute Leidig hat eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene von weiblicher Genitalverstümmelung in Göppingen eröffnet. Die Anlaufstelle ist ein entscheidender Schritt nach vorne in der Bekämpfung des Leids vieler Frauen und Mädchen.
Knapp 8.000 Frauen in Baden-Württemberg könnten von Genitalverstümmelung betroffen und fast 3.000 Mädchen bedroht sein. Um dem entgegen zu wirken finanziert das Land Baden-Württemberg eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene von weiblicher Genitalverstümmelung, die von der Staatsekretärin im Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration, Dr. Ute Leidig, am 2. März 2023 in Göppingen eröffnet wurde. Weibliche Genitalverstümmelung und -beschneidung – in der englischen Fachsprache als FGM/C (Female Genital Mutilation/Cutting) bezeichnet – beschreibt eine schwere Menschenrechtsverletzung, bei der Teile des weiblichen Genitals entfernt oder verletzt werden. Die Anlaufstelle ist erreichbar unter FGM/C - Zentrale Anlaufstelle Baden-Württemberg.
„Genitalverstümmelung ist ein schwerer Verstoß gegen das Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit – dass es das immer noch gibt, dürfen wir nicht akzeptieren“, sagte Staatssekretärin Dr. Ute Leidig bei der Eröffnung. „Mit der Beratungsstelle gehen wir einen entscheidenden Schritt nach vorne in der Bekämpfung des Leids vieler Frauen und Mädchen. Es freut mich, dass wir dafür ein so kompetentes und interdisziplinäres Team gewinnen konnten. Die betroffenen Frauen und Mädchen können sicher sein, dass sie hier in Göppingen kultursensibel, individuell und sehr professionell beraten und behandelt werden.“
Angebot für Betroffene aus ganz Baden-Württemberg
Mit der zentralen Anlaufstelle FGM/C Baden-Württemberg in Göppingen erhalten Betroffene aus ganz Baden-Württemberg ein leicht zugängliches, niedrigschwelliges Angebot mit einer psychosozialen, therapeutischen und gesundheitlichen Beratung und Behandlung. Die Beratungsstelle wird auch Fachkräfte und Behörden über die Menschenrechtsverletzung informieren und ein zentral gesteuertes Fortbildungsangebot aufbauen. Für die zweijährige Modellphase investiert das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration rund 250.000 Euro.
Um möglichst viele Betroffene umfassend beraten und begleiten zu können, wird die zentrale Anlaufstelle FGM/C durch die Kooperation mehrerer Organisationen aus dem Land fachlich sehr vielfältig aufgestellt sein. Die Koordinierung des Modellprojekts übernimmt der Verein „Sompon Socialservices Baden-Württemberg“. Daneben sind auch die Vereine „Fraueninformationszentrum FiZ beim Verein für internationale Jugendarbeit (VIJ) Württemberg“, „Wildwasser Stuttgart“, „YASEMIN“ der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart und das „Freiburger Zentrum für Frauen mit Genitalbeschneidung“ der Universitätsfrauenklinik Freiburg beteiligt.
Zahl der Opfer in Deutschland steigt
Die Zahl der Opfer weiblicher Genitalverstümmelung in Deutschland ist seit 2017 um 40 Prozent gestiegen. Dies ergab eine Untersuchung des Bundesfamilienministeriums. Demnach sind 66.707 Frauen in Deutschland von der Menschenrechtsverletzung betroffen. Diese deutliche Steigerung wird vor allem darauf zurückgeführt, dass mehr Menschen aus Herkunftsländern, in denen weibliche Genitalverstümmelung praktiziert wird, in diesem Zeitraum nach Deutschland gekommen sind. Die meisten betroffenen Frauen kommen aus Eritrea, Somalia, Indonesien, Ägypten und dem Irak.
Der im vergangenen Jahr aktualisierten Dunkelzifferstatistik von der Terre des Femmes zufolge sind in Baden-Württemberg knapp 8.000 Frauen betroffen und fast 3.000 Mädchen gefährdet. Sie werden zum Beispiel zu sogenannten „Ferienbeschneidungen“ in das Heimatland geschickt, um den Eingriff dort durchführen zu lassen. „Damit sind auch sehr viele Mädchen, deren Familien nach Deutschland und Baden-Württemberg gezogen sind, der Gefahr einer sehr schmerzvollen und traumatisierenden Erfahrung ausgesetzt“, erläuterte Staatssekretärin Dr. Ute Leidig.
Laut den aktuellen Angaben von UNICEF sind weltweit mindestens 200 Millionen Mädchen und Frauen von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen. Jährlich sind mehr als vier Millionen junge Mädchen im Alter von vier bis 14 Jahren von der Gefahr weiblicher Genitalverstümmelung bedroht – die Dunkelziffer ist allerdings sehr hoch.
Schutzbrief gegen weibliche Genitalverstümmelung veröffentlicht
Seit 2013 wird die Verstümmelung weiblicher Genitalien als eigener Straftatbestand gemäß § 226 a Strafgesetzbuch (StGB) eingestuft und kann mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünfzehn Jahren bestraft werden.
Die Bundesregierung hat im Jahr 2022 den Schutzbrief gegen weibliche Genitalverstümmelung (PDF) veröffentlicht. Dieser informiert über die Strafbarkeit von weiblicher Genitalverstümmelung – auch bei einer Durchführung im Ausland – und über den möglichen Verlust des Aufenthaltstitels. Er dient vor allem dem Schutz vor weiblicher Genitalverstümmelung in den Herkunftsländern während der Ferienzeiten und kann im Reisepass mitgeführt werden. Er kann den Familien helfen, sich dem gesellschaftlichen und familiären Druck in den Herkunftsländern entgegen zu stellen. Zielgruppe sind primär die bedrohten Mädchen und ihre Familien. Weiterhin dient der Schutzbrief aber auch zur allgemeinen Aufklärung.