Kinder und Jugendliche, die nach einer Infektion wie zum Beispiel Corona oder in selteneren Fällen nach einer Impfung unter schweren Beschwerden, wie zum Beispiel dem chronischen Erschöpfungssyndrom, Schlafstörungen, Schmerzen und Konzentrationsproblemen leiden, können häufig ihren Alltag nicht mehr selbstständig bewältigen, sind ausgebremst und fühlen sich der Krankheit machtlos ausgeliefert. Vor diesem Hintergrund wird nun das erfolgreiche Modellprojekt MOVE-COVID BW der vier landeseigenen Universitätskinderklinika in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm fortgesetzt und unter dem neuen Namen MOVE-ME/CFS BW weiter ausgebaut – eine weitere Spezialambulanz in Stuttgart kommt hinzu. Das Gesundheitsministerium fördert das Projekt mit rund zwei Millionen Euro.
„Mit MOVE-ME/CFS BW setzen wir ein klares Zeichen für eine bessere Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit postinfektiösem Syndrom und ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) – unabhängig vom Auslöser. Diese schwerwiegende Erkrankung stellt Patientinnen und Patienten sowie deren Familien vor große Herausforderungen. Deshalb unterstützen wir gezielt die Versorgungsforschung und den Ausbau der sektorenübergreifenden Angebote, um betroffenen jungen Menschen eine bestmögliche medizinische Betreuung zu ermöglichen“, erklärte Gesundheitsminister Manne Lucha.
Weitere Spezialambulanz in Stuttgart
Im März dieses Jahres startete die Fortsetzung des Modellprojektes unter Leitung des Universitätsklinikums Freiburg. Das Projekt setzt auf den bereits etablierten Strukturen von MOVE-COVID BW auf und baut diese weiter aus.
Fokus des Projektes ist es, die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit postinfektiösem Syndrom nachhaltig zu verbessern. Dazu werden die bestehenden Spezialambulanzen an den Sozialpädiatrischen Zentren (SPZ) der Universitätskinderkliniken in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm fortgeführt und inhaltlich erweitert. Am SPZ des Olgahospitals in Stuttgart wird eine weitere Spezialambulanz aufgebaut. Erstmalig wird ein aufsuchendes Angebot zur häuslichen Behandlung schwerstbetroffener Kinder und Jugendlicher entwickelt und im Raum Freiburg als Pilotprojekt etabliert werden. Das Ortenau-Klinikum Offenburg wird bei der Etablierung und Durchführung unterstützen. Sektorenübergreifende Fortbildungen und Wissensvermittlung werden fortgeführt, um Informationen und Aufklärung über das noch immer wenig bekannte Krankheitsbild in der medizinischen und pflegerischen Versorgung von Kindern und Jugendlichen sowie an Schulen auszubauen und Betroffene vor einer zusätzlich belastenden vielschichtigen Stigmatisierung zu schützen.
Hausbesuche als weiterer Baustein zur Verbesserung der Versorgung
„Mit dem neuen Projekt können wir viele der moderat bis schwer erkrankten Kinder und Jugendlichen erreichen, bei denen das bisher schwierig war. Dafür bauen wir das Angebot an den vier bereits bestehenden Spezialambulanzen in Baden-Württemberg weiter aus und ermöglichen auch im Raum Stuttgart eine heimatnahe Versorgung. Schwerstbetroffene Patientinnen und Patienten können oft das Haus nicht verlassen. Für sie entwickeln wir gemeinsam mit Betroffenen und ergänzend zur telemedizinischen Begleitung ein Konzept für eine häusliche Behandlung und werden dieses im Rahmen eines Pilotprojekts erproben. Auch hier wird das neue Projekt wichtige Verbesserungen bringen“, erklärte der Projektleiter Prof. Dr. Thorsten Langer, Leitender Oberarzt am SPZ des Universitätsklinikums Freiburg und Gesamtleiter des Konsortiums von MOVE-ME/CFS BW.
Datenregister zur weiteren Erforschung der Krankheitsursachen wird ausgebaut
Postinfektiöse Syndrome mit ME/CFS stellen die schwerste Ausprägung der Erkrankung dar. Die Diagnose wird auf der Grundlage von Symptomen und dem Ausschluss anderer möglicher Erkrankungen gestellt. Denn die Ursachen der Erkrankung sind nach wie vor weitgehend ungeklärt. Im Rahmen des Projektes MOVE-ME/CFS BW werden daher bei den Untersuchungen der Patientinnen und Patienten verschiedene Proben genommen und standardisierte Daten gesammelt, um ein besseres Verständnis über Symptome und Verlauf der Erkrankung zu erreichen. Mit Zustimmung der Patientinnen und Patienten beziehungsweise deren Eltern werden die Daten in einem baden-württembergweiten Patientenregister gesammelt, das bereits im Vorgängerprojekt aufgebaut wurde. Dadurch soll die weitere systematische und gezielte Erforschung des Krankheitsbildes ermöglicht werden, etwa durch virologische, immunologische und radiologische Spezialdiagnostik. Insbesondere soll untersucht werden, ob autoimmune Entzündungsprozesse eine Rolle bei der Entstehung der Erkrankung spielen und ob spezifische Biomarker im Blut identifiziert werden können, die für die Diagnosestellung eingesetzt werden können.
Postinfektiöse Syndrome verursachen eine Vielzahl von Symptomen
Postinfektiöse und postvakzinale Syndrome können sich mit unterschiedlichen Symptomen wie starker Erschöpfung, einer Belastungsintoleranz, Schlafstörungen, Schmerzen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen (brain fog), Reizüberempfindlichkeit, Kreislaufprobleme, Hitze-/Kälteintoleranz sowie grippeähnliche Beschwerden manifestieren, die auch Kinder und Jugendliche betreffen und derzeit nur symptomatisch und nicht hinsichtlich der Grunderkrankung behandelt werden können. Zu den häufigsten Auslösern zählen nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen vor allem Viren wie SARS-CoV-2 oder das Epstein-Barr-Virus (Pfeiffersches Drüsenfieber). Das postvakzinale Syndrom weist ähnliche Symptome auf wie das postinfektiöse Syndrom, tritt jedoch im zeitlichen Zusammenhang mit einer Impfung auf.
Postinfektiöse Syndrome – wie auch Long COVID – mit ME/CFS sind daher schwerwiegende, oft langanhaltende Erkrankungen, die meist zu einer erheblich eingeschränkten oder fehlenden Schul- und Arbeitsfähigkeit führen. Besonders Kinder und Jugendliche sind auf eine spezialisierte Versorgung und gezielte Unterstützung angewiesen. MOVE-ME/CFS BW trägt dazu bei, neue Behandlungsansätze zu entwickeln und bestehende Angebote nachhaltig zu verbessern.