Baden-Württemberg und die Landeshauptstadt Stuttgart übertragen 70 Kunstgegenstände des Linden-Museums an Nigeria. Dazu wurde eine umfassende Rückgabevereinbarung mit Nigeria unterzeichnet. Mit der Rückgabe der Benin-Objekte bekennt sich das Land zu seiner historischen Verantwortung bei der Aufarbeitung des Kolonialismus.
Das Land Baden-Württemberg und die Landeshauptstadt Stuttgart haben am 14. Dezember 2022, eine umfassende Rückgabevereinbarung mit Nigeria unterzeichnet. Damit wurden die Eigentumsrechte von 70 Benin-Objekten aus der Sammlung des Linden-Museums an den westafrikanischen Staat übertragen. 24 dieser Objekte werden als Leihgabe im Linden-Museum bleiben. Baden-Württemberg hatte sich als erstes Land bereits im Sommer 2021 zur Restitution der sogenannten Benin-Bronzen bekannt. Im Anschluss an die Unterzeichnung hat Kunstministerin Petra Olschowski eine einzigartige Elfenbeinmaske der Königinmutter Idia an die Vertreter Nigerias übergeben. Die aus dem 16. Jahrhundert stammende Miniaturmaske wurde aus dem Schlafgemach des Königs Ovonramwen Ogbaisi im Jahr 1897 geraubt und hat große Symbolkraft für Benin und Nigeria.
„Seit vielen Jahren haben wir in Baden-Württemberg zusammen mit Professorin Inés de Castro und dem Linden-Museum darauf hingearbeitet, dass wir durch die heute unterzeichnete Vereinbarung und durch Restitutionen die Grundlage schaffen für eine neue Art der Zusammenarbeit“, sagte Wissenschafts- und Kunstministerin Petra Olschowski. Die Unterzeichnung bedeute für die Landesregierung einen großen und bedeutenden Schritt im Zusammenhang mit der Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit Europas, Deutschlands und Baden-Württembergs – „und des Unrechts, das durch die ehemaligen Kolonialmächte an vielen Orten vor allem in afrikanischen Ländern geschehen ist. Sie ist ein Zeichen dafür, dass wir Verantwortung übernehmen, Konsequenzen ziehen und in einen tatsächlichen Dialog eintreten mit Ländern wie Nigeria.“
Menschen in Nigeria bekommen eigene Geschichte zurück
„Dass wir heute nicht nur das kostbarste Stück aus der Benin-Sammlung des Linden-Museums an Nigeria übergeben, sondern auch eines, das wir aufgrund seiner Bedeutung und Schönheit besonders schätzen, zeigt, dass dies auch für uns nicht nur ein einfacher Weg ist. Aber es ist zweifellos der Richtige. Davon sind wir überzeugt“, so die Ministerin. Es gehe auch um das kulturelle Gedächtnis der Menschen vor Ort, die ihre eigene Geschichte zurückbekommen mit den Objekten, Bronzen und Skulpturen, die nun den Weg zurück nach Nigeria finden.
„Die Kulturgüter sind wertvoll und wichtig. Wir haben aber kein Anrecht darauf. Daher ist es richtig, dass der Stuttgarter Gemeinderat beschlossen hat, historisches Unrecht zu beenden. Diese Entscheidung ist auch ein Zeichen, dass koloniale Verbrechen gerade auch in den Städten und ihren Einrichtungen erinnert werden müssen – und in der Landeshauptstadt auch erinnert werden wollen“, sagte der Erste Bürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart, Dr. Fabian Mayer.
„Mir ist es wichtig, an diejenigen in Stuttgart zu erinnern, die schon vor vielen Jahren für die Restitution von unethisch erworbenen Kolonialgütern gekämpft haben. Besonders ist hier Waltraud Ulshöfer und die grüne Partei zu nennen, die bereits 1985 einen offenen Brief in der Sache geschrieben haben. Die Restitution passiert nicht nur heute, sie hatte einen langen Vorlauf. Wir können nur dann vom Schutz der Umwelt sprechen, wenn wir gleichzeitig in unseren Museen die Kultur bewahren und eine ethische Betrachtung der Objekte ermöglichen“, so der Botschafter Nigerias, Yusuf Maimata Tuggar.
Nigeria ist hoch erfreut über die Rückgabe
„Nigeria ist hoch erfreut, dass das Land Baden-Württemberg und die Stadt Stuttgart der Rückgabe der Benin-Bronzen aus der Sammlung des Linden-Museums zugestimmt haben. Für die National Commission for Museums and Monuments in Nigeria (NCMM) ist es fantastisch, die Rückgabevereinbarung heute zu unterzeichnen. Wir freuen uns auf eine engere Zusammenarbeit mit dem Linden-Museum bei Leihgaben, gemeinsamen Ausstellungen, Forschung und gegenseitige Weiterbildung“, sagte Professor Abba Isa Tijani, Generaldirektor der National Commission for Museums and Monuments in Nigeria (NCMM).
„Mit der Rückgabe der Benin-Objekte machen wir deutlich, dass wir die Verantwortung für eine respektvolle Aufarbeitung unserer kolonialen Vergangenheit ernst nehmen. Es war unseren nigerianischen Partnern ein großes Anliegen, dass 24 besondere Objekte als Dauerleihgabe in unserem Museum verbleiben, um unsere gemeinsame, verflochtene Geschichte weiter erzählen zu können. Wir werden vertieft zusammenarbeiten, die Erforschung der Objekte gemeinsam vorantreiben und die Erkenntnisse teilen. Wir verlieren heute nichts, wir gewinnen Vertrauen“, sagte die Direktorin des Linden-Museums, Professorin Inés de Castro.
Die sogenannten Benin-Bronzen umfassen Artefakte aus unterschiedlichen Materialien. Sie sind hauptsächlich aus Bronze, aber auch aus Holz, Elfenbein und Messing. Sie wurden im früheren Königreich Benin (im heutigen Bundesland Edo der Bundesrepublik Nigeria) seit dem 13. Jahrhundert gefertigt und schmückten den Palast des Herrschers in der Hauptstadt Benin. Viele der Reliefs und Skulpturen erzählen die Geschichte des Königreichs Benin, einige haben rituelle Bedeutung. International werden sie für ihre hohe künstlerische Qualität geschätzt.
Die meisten Benin-Bronzen in den deutschen und internationalen Sammlungen wurden 1897 im Rahmen einer britischen, sogenannten Strafexpedition aus dem Palast des Königshauses Benin geplündert, nach Großbritannien verbracht und vom britischen Foreign Office, Offizieren und Soldaten profitbringend verkauft, und zwar sowohl an private Sammler als auch an zahlreiche europäische ethnologische Museen. Das Linden-Museum hat über die Hälfte seiner Sammlung bereits 1899 beim Hamburger Händler Heinrich Bey angekauft.
Die Elfenbeinminiaturmaske der Iyoba (Königinmutter) Idia wurde im 16. Jahrhundert in Benin City gefertigt. Sie gehört zu den Objekten aus Benin, denen ein sehr hoher Symbolcharakter zugeschrieben wird. Die Maske der Königinmutter war grundlegender Bestandteil der Gedenk- und Religions-Praktiken am Hofe Benins. Die bisher im Linden-Museum bewahrte Maske ist eine von wenigen erhaltenen Masken dieser Art. Fünf vergleichbare Masken sind bekannt, so beispielsweise in den Sammlungen des Metropolitan Museum in New York sowie im British Museum in London.
Mit der Rückgabevereinbarung wurde das Eigentum an 70 Benin-Objekten aus dem Bestand des Linden-Museums an Nigeria übertragen. 24 der 70 Objekte verbleiben als Leihgabe – zunächst auf zehn Jahre – im Linden-Museum. Die Leihgabe verlängert sich automatisch, wenn keine Rückforderung erfolgt. In der Rückgabevereinbarung wird ferner die Absicht bekräftigt, künftig alle Erkenntnisse über die Objekte zu teilen und deren Erforschung gemeinsam voranzutreiben.
Zu den Objekten hat das Linden-Museum in seiner vorbildlichen Sammlung digital bereits umfassend Transparenz geschaffen. Die Benin-Objekte sind auch in der Datenbank des German Contact Point for Collections from Colonial Contexts sowie auf Digital Benin – Reconnecting Royal Art Treasures eingestellt.