Aufgrund deutlich weniger Verträge zum neuen Ausbildungsjahr starten die Partner des Ausbildungsbündnisses einen Modellversuch für einen zweiten, zeitversetzten Ausbildungsstart im Februar 2021. Außerdem unterstützen sie die Digitalisierung in der Berufsorientierung und der Ausbildungsvermittlung.
Wirtschafts- und Arbeitsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut bilanzierte im Spitzengespräch zur Ausbildungssituation in Stuttgart: „Zum neuen Ausbildungsjahr wurden in Baden-Württemberg deutlich weniger Ausbildungsverträge neu abgeschlossen als im Vorjahr. Im IHK-Bereich fällt der Rückgang um 14,4 Prozent noch stärker aus als im Handwerk, das einen Rückgang um 6,7 Prozent verzeichnet.“ In besonderen Zeiten brauche es besondere und neue Lösungen, so Hoffmeister-Kraut. Deshalb starten die Partner des Ausbildungsbündnisses Baden-Württemberg einen Modellversuch für einen zweiten, zeitversetzten Ausbildungsstart: „Mit dem zeitversetzten Ausbildungsstart geben wir erstmalig die Möglichkeit, im Februar 2021 in das Ausbildungsjahr einzusteigen. Betriebe können sich weiterhin in der Ausbildung engagieren und in die Zukunft investieren, auch wenn sie im Herbst etwa wegen Kurzarbeit noch nicht ausbilden können. Wir müssen in der Pandemie alles tun, um in junge Menschen und damit in die Zukunft zu investieren“, kündigte Hoffmeister-Kraut an.
Über 8.000 Ausbildungsplätze unbesetzt
Ausbildungsinteressierte Jugendliche, die weiter auf Lehrstellensuche sind und nicht auf das nächste Ausbildungsjahr warten wollen, haben neben den sofort verfügbaren Ausbildungsplätzen eine zusätzliche Option. Für den zeitversetzten Ausbildungsstart kommen alle Ausbildungsberufe in Frage, insbesondere im Hotel- und Gaststättenbereich, im Einzelhandel und im IT-Bereich. Damit kein Unterrichtsstoff versäumt wird oder nachgeholt werden muss, sollen – sofern die notwendige Zahl an Auszubildenden für eine neue Klasse erreicht wird – an einzelnen Berufsschulen gesonderte Klassen eingerichtet werden. Ausbildungsbeginn und -ende verschieben sich dann jeweils um ein halbes Jahr. Interessierte Betriebe sollten sich an die zuständige Kammer wenden. Gleichzeitig gibt es auch für diese Ausbildungsverhältnisse die Möglichkeiten der Verkürzung, was gerade für leistungsstarke Jugendliche eine passende Möglichkeit sein kann.
Die Ministerin wies darauf hin, dass in Baden-Württemberg zuletzt noch 8.158 Ausbildungsplätze unbesetzt waren. Selbstverständlich behalten die Bündnispartner die Entwicklung der aktuell wieder ansteigenden Zahl an Corona-Neuinfektionen laufend im Blick und werden, wenn nötig, reagieren. Insbesondere wollen die Bündnispartner sicherstellen, dass laufende Ausbildungsverhältnisse erfolgreich abgeschlossen werden können. „Wir setzen uns dafür ein, dass weder unsere ausbildungsinteressierten Jugendlichen noch unsere Auszubildenden durch die Pandemie Nachteile erleiden“, so Hoffmeister-Kraut.
Digitalisierung in der Berufsorientierung und Ausbildungsvermittlung
„Die letzten Wochen und Monate haben gezeigt, dass die Corona-Pandemie als Katalysator für die Digitalisierung und insbesondere die digitale berufliche Orientierung gewirkt hat. Wir unterstützen diesen Wandel mit dem Schulwettbewerb ‚Bildungspartnerschaften digital‘. Seit Jahren bewähren sich Bildungspartnerschaften zwischen Schulen und Unternehmen als erfolgreiches Instrument der Berufsorientierung. Der Wettbewerb soll ein Anreiz sein, die Potenziale der Digitalisierung für die berufliche Orientierung an den Schulen zu nutzen“, hob Hoffmeister-Kraut hervor. Im Rahmen des Wettbewerbs können 30 Schulen je 5.000 Euro erhalten. Um Jugendliche und Ausbildungsbetriebe besser zusammenzubringen, setzen die Bündnispartner außerdem auf digitale Konzepte in der beruflichen Orientierung und in der Ausbildungsvermittlung. Die neu entstandenen Formate, wie digitale Bildungsmessen oder online Speed-Datings, haben die Partner in einer Übersicht „Gute Beispiele der Partner des Ausbildungsbündnisses für die digitale berufliche Orientierung und die digitale Ausbildungsvermittlung in Baden-Württemberg“ zusammengestellt.
Elternkampagne „Ja zur Ausbildung“
„Eltern sind oft die wichtigsten Beraterinnen und Berater von Jugendlichen bei der Berufswahlentscheidung. Deshalb müssen wir vor allem auch den Eltern zeigen, dass eine berufliche Ausbildung für ihre Kinder eine tolle Chance ist und der Grundstein für eine erfolgreiche berufliche Zukunft sein kann. Mit diesem Ziel geht unsere Elternkampagne in die zweite Runde“, erläuterte die Ministerin. Gemeinsam mit den baden-württembergischen Industrie- und Handelskammern und mit Unterstützung der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit startet das Land am 10. November landesweite Plakataktionen mit der Botschaft „Ja zur Ausbildung“.
Ausbildungsbilanz 2020 der Bundesagentur für Arbeit
(Stichtag 30. September 2020)
Die Zahlen der Ausbildungsstellen und der Bewerber auf Ausbildungsstellen sind im Vergleich zum Ausbildungsjahr 2019/2020 rückläufig. Die Gründe für diesen Rückgang sind zum einen strukturell, zum anderen der Corona-Pandemie geschuldet. Mehr Bewerberinnen und Bewerber blieben zum 30. September 2020 unversorgt. Unversorgt bedeutet, dass ein Bewerber, weder einen Ausbildungsplatz noch ein alternatives Angebot erhalten hat. Ein alternatives Angebot ist beispielsweise ein Platz an einer beruflichen Schule, der Besuch einer Qualifizierungsmaßnahme oder eine Arbeitsstelle:
- Die Zahl der Bewerberinnen und Bewerber ist im Vorjahresvergleich um 6,3 Prozent auf 59.782 gesunken.
- So suchten zum 30. September 2020 noch insgesamt 8.671 Jugendliche und junge Erwachsene einen Ausbildungsplatz. Davon blieben 1.265 Personen unversorgt, 20,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Und 7.406 nahmen eine Alternative auf. Das waren 1,6 Prozent weniger als im vergangenen Jahr.
- Die Zahl der gemeldeten Ausbildungsstellen ist im Vorjahresvergleich um 6,2 Prozent auf 77.687 gesunken.
- Den 8.158 unbesetzten Ausbildungsstellen (5,8 Prozent weniger als im Vorjahr) stehen rechnerisch 8.671 Ausbildungsplatznachfragen gegenüber.
- Es gibt somit 513 mehr Ausbildungsnachfragen als unbesetzte Ausbildungsstellen.
Stimmen der Bündnispartner
„Die aktuelle Pandemiesituation ist für den Ausbildungsmarkt eine große Herausforderung – deutlich weniger Ausbildungsverträge konnten abgeschlossen werden. Das wirkt sich auch auf die beruflichen Schulen aus. Vielen Schülerinnen und Schülern können wir aber auch in der aktuellen Lage beim Wechsel von der Schule in den Beruf mit der gemeinsam beschlossenen Neukonzeption zum Übergang Schule-Beruf helfen. In 28 Stadt- und Landkreisen wird sie bereits umgesetzt; 2025 wollen wir sie flächendeckend anbieten“, sagte Volker Schebesta, Staatssekretär im Kultusministerium. Er ergänzte: „Berufspraktika sind dabei ein wichtiger Bestandteil. Sie sind unter den derzeitigen Bedingungen aber nur erschwert möglich. Es ist deswegen wichtig, dass wir gemeinsam mit der Wirtschaft kreativ sind und auch digitale Formate aufgreifen, die den Schülerinnen und Schülern Einblicke in den beruflichen Alltag geben und es den Betrieben ihrerseits ermöglichen, potenzielle Auszubildende kennen zu lernen.“
Christian Rauch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit, unterstrich: „Auch für das aktuelle, im September gestartete Ausbildungsjahr gibt es noch freie Plätze. Viele Betriebe suchen nach wie vor Auszubildende. Es ist toll, dass sie trotz der bestehenden Unsicherheiten bereit sind, jungen Menschen den Übergang ins Berufsleben zu ermöglichen. Für eine Bewerbung ist es also noch nicht zu spät. Wichtig ist jedoch, dass Interessierte nun möglichst schnell Kontakt direkt zu Ausbildungsbetrieben oder der Berufsberatung der Arbeitsagentur aufnehmen. Die Berufsberatung unterstützt Jugendliche dabei, herauszubekommen, welche Ausbildung zu ihnen passen könnte und wo es noch offene Stellen gibt.“ Rauch fuhr fort: „Wer noch auf der Suche nach einer Ausbildung ist oder noch nicht so genau weiß, welche Berufe für ihn in Frage kommen, möchte ich ermuntern, das online verfügbare Erkundungstool Check-U auszuprobieren. Mit dem Tool können die Jugendlichen herausfinden, wo ihre Stärken und Interessen liegen und welche Berufsfelder zu ihnen passen.“
„Mit Sorge nehmen wir das Ausmaß wahr, das die Corona-Pandemie auf die Zahl der neuen Ausbildungsverträge im Land hat. Vor allem in den IHK-Berufen ist der Ausbildungsmarkt signifikant eingebrochen. Wir alle dürfen jetzt nicht nachlassen und müssen uns für die Ausbildung nochmals mehr engagieren als sonst. Corona ist irgendwann Geschichte, aber die demografische Entwicklung und der Fachkräftebedarf bleiben uns erhalten. Deshalb tun wir alles, damit Betriebe jetzt weiter ausbilden und der Rückgang bei den Neuverträgen bis Jahresende auch in diesem besonderen Jahr so gering wie möglich ausfällt“, sagte BWIHK-Vizepräsidentin Marjoke Breuning.
Der DGB-Landesvorsitzende Martin Kunzmann lobte den Modellversuch zum zeitversetzten Ausbildungsstart: „Die Chancen für junge Menschen auf eine Ausbildung dürfen sich 2021 nicht verschlechtern. Wer heute nicht ausbildet, dem fehlen morgen die Fachkräfte. Damit die Auszubildenden perspektivisch gute Chancen auf den Arbeitsmarkt haben, muss selbstverständlich auch die Ausbildungsqualität stimmen – auch unter Corona-Bedingungen. Die Betriebe müssen in die Digitalisierung der Ausbildung investieren. Gas geben müssen wir auch bei der Fortentwicklung von Berufsbildern, damit sie zu den neuen Anforderungen passen.“
Schulwettbewerb „Bildungspartnerschaften digital“
Im Rahmen des Wettbewerbs „Bildungspartnerschaften digital“ können Schulen gemeinsam mit Betrieben ihre Projektideen für den Ausbau ihrer Bildungspartnerschaften und die Nutzung der Digitalisierung für die berufliche Orientierung bis zum 7. Dezember 2020 einreichen. Für bis zu 30 Schulen gibt es ein Preisgeld von jeweils 5.000 Euro für die Umsetzung der eingereichten Projektidee.
Der Wettbewerb „Bildungspartnerschaften digital“ findet erstmals im Jahr 2020 statt und wird im Jahr 2021 wiederholt. Er wird vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg in Abstimmung mit dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg und in Kooperation mit dem Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertag, dem Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg, der Landesvereinigung Baden-Württembergischer Arbeitgeberverbände e. V. - Arbeitgeber BW sowie dem Baden-Württembergischen Handwerkstag e. V. ausgerichtet.
Schulwettbewerb „Bildungspartnerschaften digital“