Um weiterhin frühzeitig auf das Infektionsgeschehen reagieren zu können, soll die Teststrategie des Landes erweitert werden. Geplant sind zielgerichtete Untersuchungen in bestimmten Bevölkerungsgruppen, so etwa ein Monitoring von Patienten bei Krankenhausaufnahme.
Das Infektionsgeschehen der ersten Welle der Corona-Pandemie konnte in Baden-Württemberg in den vergangenen Wochen weitgehend zurückgedrängt und eine Überlastung der Krankenhäuser verhindert werden. Um weiterhin frühzeitig auf das Infektionsgeschehen reagieren zu können, soll nun die Teststrategie erweitert werden. Unter anderem sieht sie ein Monitoring von Patientinnen und Patienten bei Krankenhausaufnahme vor. Ein entsprechendes Konzept des Gesundheitsministeriums wurde am Dienstag, 30. Juni 2020, dem Ministerrat vorgestellt.
Gezielte Testungen sollen Ausbreitung von SARS-CoV-2 weiter eindämmen
„Baden-Württemberg ist bisher besser durch die Pandemie gekommen als die meisten anderen Länder der Welt. Dies lag nicht zuletzt an der erfolgreichen Teststrategie – nach Bayern und Nordrhein-Westfalen ist Baden-Württemberg das Land mit den meisten Testkapazitäten. Damit wir auch in Zukunft so gut bleiben, müssen wir auch weiterhin jede Viruszirkulation in der Bevölkerung möglichst frühzeitig entdecken, um die Ausbreitung des Corona-Virus einzudämmen. Mit unserer neuen Teststrategie haben wir hierfür ein Frühwarnsystem geschaffen, das es uns ermöglicht, uns an die aktuellen epidemiologischen Anforderungen anpassen zu können“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Nur so könne es gelingen, die Wiedereinführung flächendeckender restriktiver Maßnahmen zu vermeiden, die erneut mit weitreichenden wirtschaftlichen Folgen verbunden wären, so der Ministerpräsident.
Zielgerichtete Untersuchungen
Gesundheitsminister Manne Lucha sagte: „Hierzu sind zielgerichtete Untersuchungen in bestimmten Bevölkerungsgruppen erforderlich, die über unsere bisherige Teststrategie hinausgehen. Wichtig dabei ist, dass wir wirklich gezielt vorgehen und nicht ins Blaue hinein testen. Die Masse an Tests allein macht den Erfolg nicht aus. Vielmehr muss die Untersuchungsstrategie klug auf das Infektionsgeschehen und auf bestimmte Personengruppen ausgerichtet sein.“
So soll Personal in Krankenhäusern und im Pflegebereich im Rahmen eines Monitoring-Systems regelmäßig getestet werden. Das Gesundheitsministerium hat in den vergangenen Tagen zudem ein Eckpunktepapier zur Testung in Schlachtbetrieben erarbeitet, das derzeit mit dem Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium abgestimmt wird. Unter anderem werden darin Infektionsschutzmaßnahmen und Testungen bei erstmaliger Arbeitsaufnahme der Mitarbeiter priorisiert. Vor dem Hintergrund der teilweise hohen Fluktuation der in den Schlachtbetrieben beschäftigten Leiharbeiter, die überwiegend aus Südosteuropa stammen und teilweise regelmäßig in ihre Herkunftsländer pendeln, stellt die erstmalige Arbeitsaufnahme ein besonderes Risiko für den Eintrag von SARS-CoV-2 in die Betriebe dar. Ebenfalls in dem Konzeptentwurf vorgesehen ist eine einmalige flächendeckende Testung in großen Schlachtbetrieben, die Leiharbeiter beschäftigen.
Die erweiterte Teststrategie sieht folgende Punkte vor:
a) Testung symptomatischer Personen entsprechend der Empfehlung des Robert-Koch-Instituts.
b) Gezielte Untersuchung asymptomatischer Personen im Umfeld bestätigter COVID-19 Fälle bei Kontaktpersonen der Kategorie I, Kontaktpersonen, die über die Corona-Warn-App identifiziert wurden oder im Rahmen von Ausbrüchen in zum Beispiel in Gemeinschaftsunterkünften, Betrieben, Pflegeheimen.
c) Testung bei Aufnahme in stationäre Pflegeeinrichtungen.
d) Monitoring und systematische Untersuchung bestimmter Personengruppen:
- Bevölkerungsbezogenes Monitoring bei Krankenhauseinweisung:
Eine umfassende Testung von Patienten bei Krankenhausaufnahme, unabhängig von der jeweiligen Symptomatik. - Respiratorische Surveillance in Sentinel-Praxen niedergelassener Ärzte:
Das bereits etablierte Sentinel-System des Landesgesundheitsamtes zu Influenza soll weiter auf SARS-CoV-2 ausgebaut werden. - Monitoring von medizinischem und pflegerischem Personal:
Zur regelmäßigen Testung von medizinischem und pflegerischem Personal soll ein Monitoring-System in jeweils zwei Stadt- oder Landkreisen pro Regierungsbezirk etabliert werden. Dabei sollen jeweils ein Krankenhaus, eine stationäre Pflegeeinrichtung und ein ambulanter Pflegedienst untersucht werden.
e) Intensivierte Testung unter Berücksichtigung der epidemiologischen Lage:
Je nach epidemiologischer Lage sind intensivierte Testungen von asymptomatischen Personen wie z.B. Personen, die in Krankenhäusern oder stationären Pflegeeinrichtungen tätig sind, vorgesehen.
Untersuchungen sollen erst nach den Sommerferien beginnen
„Vor dem Hintergrund der derzeit niedrigen Inzidenzen von SARS-CoV-2-Infektionen ist die Chance, im Rahmen von Monitoring-Untersuchungen infizierte Personen aufzudecken, gering. Sofern die epidemiologische Lage weiter so stabil bleibt, plant die Landesregierung, die entsprechenden Untersuchungen erst nach den Sommerferien zu beginnen, wenn sich möglicherweise das Infektionsrisiko aufgrund von Urlaubsreisen ins Ausland erhöht und die Erkältungssaison beginnt“, sagte Ministerpräsident Kretschmann.
„Eine prophylaktische flächendeckende Testung ist nicht automatisch erfolgversprechend. Das haben die flächendeckenden Tests an Alten- und Pflegeeinrichtungen gezeigt, die Baden-Württemberg vor wenigen Wochen als erstes Bundesland eingeführt hatte“, so Minister Lucha. In einer ersten Abfrage bei den Gesundheitsämtern zum Stand der Testungen habe sich gezeigt, dass bislang rund 70 000 Testungen bei Bewohnern und Personal durchgeführt worden seien (Stand 17. Juni 2020). Dabei wurden 1.096 Personen positiv auf SARS-CoV-2 getestet (1,5 Prozent der getesteten Personen). Der Großteil der positiv getesteten Personen sei in den Landkreisen zu beobachten gewesen, die bereits im April während der Hochphase der Epidemie getestet hatten. Ohne diese Landkreise ergebe sich mit 0,76 Prozent positiv getesteter Personen (476 positiv getestet von 62.111 Personen) eine vergleichsweise niedrige Positivenrate.
Ministerpräsident Kretschmann sagte: „Mit unserer erweiterten Teststrategie, die mit renommierten Wissenschaftlern der Universitäten Heidelberg, Tübingen und Freiburg erarbeitet wurde, werden wir versuchen, die Ausbreitung des Coronavirus klug und gezielt einzudämmen. Unsere Testkapazitäten reichen dafür auch bei einem zu erwartenden Anstieg der Probandenzahl aus.“
Überblick über die Corona-Teststationen in Baden-Württemberg
Die Kosten für die Teststrategie werden mit rund 60 Millionen Euro veranschlagt.
Die Laborkapazitäten belaufen sich in Baden-Württemberg derzeit auf mehr als 20.100 Tests pro Tag beziehungsweise mehr als 120.000 Testungen pro Woche. Im bundesweiten Vergleich liegt Baden-Württemberg damit nach Nordrhein-Westfalen und Bayern auf Platz drei.
Die aktuellen Testkapazitäten im Land setzen sich wie folgt zusammen: Private fachärztliche Labore (circa 15.200 Tests pro Tag), Universitätskliniken und Krankenhäuser der Maximalversorgung (circa 3200 Tests pro Tag), kommerzielle Labore ohne KV-Zulassung (1200 Tests pro Tag), Landesgesundheitsamt in Kooperation mit dem Chemischen- und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart (CVUA) (500 Tests pro Tag). Dazu kommen noch Kapazitäten weiterer Krankenhauslabore. Derzeit bestehen keine Kapazitätsengpässe.
Im Zuge der aktuellen SARS-CoV-2-Krisensituation besteht eine sehr dynamische Situation im Bereich der Forschung und Entwicklung. Dies betrifft beispielsweise die Entwicklung neuer Methoden zur Vereinfachung der Probengewinnung oder des Probendurchsatzes, unter anderem durch die Verwendung von Rachenspüllösung oder Speichel als Probenmaterial für die PCR-Untersuchung, die Probenahme ist deutlich einfacher durchzuführen als ein Nasen-Rachen-Abstrich und kann möglicherweise auch zuverlässig selbst durchgeführt werden.