Im Rahmen einer Zeremonie im Naturkundemuseum Stuttgart hat das Land menschliche Überreste indigener Hawaiianerinnen und Hawaiianer an eine hawaiianische Delegation zurückgegeben.
Baden-Württemberg hat am 5. April 2023 in einer feierlichen Zeremonie im Naturkundemuseum Stuttgart die menschlichen Überreste 19 indigener Hawaiianerinnen und Hawaiianer an die Gruppe Hui Iwi Kuamoʻo und Vertreter des Office of Hawaiian Affairs (OHA) zurückgegeben. Die iwi kūpuna (menschliche Überreste hawaiischer Ahnen) befanden sich in den Sammlungen des Staatlichen Museums für Naturkunde Stuttgart und der Alexander-Ecker-Sammlung der Universität Freiburg.
Petra Olschowski, Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst in Baden-Württemberg, sagte: „Wir fühlen uns geehrt, die iwi kūpuna endlich an Vertreterinnen und Vertreter von Hui Iwi Kuamoʻo zurückgeben zu können. Nach vielen Jahrzehnten kehren sie in ihre Heimat zurück. Die Geschichte der iwi kūpuna ist ein Beispiel für die unmenschliche und ausbeuterische Forschungspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts. Durch dieses Handeln wurde vielen Menschen Schmerz zugefügt – das bedauern wir sehr. Es ist uns daher ein tiefes Bedürfnis, die menschlichen Überreste, die zu Unrecht nach Europa verbracht wurden und sich in den Sammlungen der Landeseinrichtungen befinden, zurückzugeben, damit sie ihre letzte Ruhe finden. Wir sehen uns dabei auch in der Verantwortung, umfassend über unsere koloniale Vergangenheit zu informieren.“ Ziel des Landes sei es, die Provenienz menschlicher Überreste in den Sammlungen des Landes so weit wie möglich zu klären, um so Rückgaben zu ermöglichen, wo immer Herkunftsgesellschaften dies wünschen, so die Ministerin.
Begleitet wurde die hawaiianische Delegation bestehend aus Mana Caceres, Kalehua Caceres, Kaipo Torco, Starr Kalahiki und Nicole Naone von der Leiterin der Kulturabteilung des US-Generalkonsulats in Frankfurt, Heidi Ramsay. Sie sagte: „Mit der Verabschiedung des Native American Graves Protection and Repatriation Act von 1990 versuchte der Kongress der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) den Dialog zwischen Museen und indigenen Gemeinschaften zu fördern und zu einem größeren Verständnis zwischen den Nationen beizutragen. Gleichzeitig sollte die wichtige Funktion der Museen bei der Erinnerung an die Vergangenheit gestärkt werden. Dieser Dialog und der Geist der Verständigung führten zum heutigen Transfer. Dem Land Baden-Württemberg, dem Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart und der Universität Freiburg möchte ich meinen tiefen Dank für ihre Bereitschaft zur Versöhnung aussprechen. Endlich werden sich die iwi kūpuna auf den Weg zurück in ihre Heimat (hānau) machen, wo sie zur Ruhe kommen können. Wir vertrauen darauf, dass die Rückkehr der iwi kūpuna zu einem tieferen Verständnis und einer tieferen Wertschätzung der hawaiianischen Kultur in Deutschland führen wird. Das US-Außenministerium und die US-Vertretung in Deutschland sind bereit, künftige internationale Rückführungen zu erleichtern.“
Wiederherstellung der Würde der Überreste
Mana Caceres, Hui Iwi Kuamo’o, sagte: „Unsere kūpuna, die aus ihren Gräbern gestohlen wurden, ausfindig zu machen und zurückzuholen und sie nach Hause in den Schoß von Papahānaumoku zurückzubringen, ist unsere Pflicht. Es ist unsere Verantwortung (Kuleana), unsere Familien wieder zu vereinen. Die Wiederherstellung der Würde unserer kūpuna ermöglicht es unseren Familien, wieder ganz zu sein, wodurch unseren Vorfahren sowie ihren lebenden Nachkommen die Heilung ermöglicht wird.“
„Durch die Rückführung unserer Vorfahren ehren wir unsere Kūpuna (Ahnen), korrigieren vergangene Ungerechtigkeiten und stellen Pono (Gerechtigkeit) für unser Volk wieder her“, sagte Carmen „Hulu“ Lindsey, Vorstandsvorsitzende des OHA. „Unser aufrichtiger Dank gilt dem Museum, der Universität und Hui Iwi Kuamoʻo für ihr gemeinsames Engagement, das zur Förderung der Heilung in unserer Gemeinschaft beitragen wird.“
Rückgabe mit großem Respekt für die Hawaiianische Kultur
Prof. Dr. Lars Krogmann, Direktor des Staatlichen Museums für Naturkunde, sagte: „Museen haben eine besondere Verantwortung im Umgang mit in kolonialen Kontexten und unrechtmäßig angeeigneten menschlichen Überresten in ihren Sammlungen. Dieses gewaltige Unrecht war und ist mit großem Leid für die Nachfahren verbunden. Ich bin sehr froh, dass wir, mit großem Respekt für die Hawaiianische Kultur, heute die Iwi kūpuna an die Repräsentantinnen und Repräsentanten aus Hawaii zurückgeben können.“
Prof. Dr. Kerstin Krieglstein, Rektorin der Universität Freiburg, sagte: „Wir sind entsetzt über die Verbrechen, die zu Zeiten des Kolonialismus, auch unter dem Deckmantel der Wissenschaft, begangen wurden. Ihre Auswirkungen sind für die Betroffenen und ihre Nachkommen noch heute schmerzhaft spürbar. Die Universität Freiburg vertritt hier eine klare Haltung: Selbstverständlich übergeben wir die menschlichen Überreste an die Delegation aus Hawaii, damit sie gemäß der Hawaiianischen Kultur in ihrem Mutterland bestattet werden können."
Zeremonie in Stuttgart ist Teil einer größeren Initiative zur Rückführung
Die Zeremonie in Stuttgart ist Teil einer größeren Initiative zur Rückführung von iwi kūpuna aus internationalen Sammlungen. Unter der Leitung von Halealoha Ayau von Hui Iwi Kuamo’o werden dieses Frühjahr im Auftrag des OHA insgesamt 53 Iwi kūpuna und sieben Mea Kapu (heilige Gegenstände) aus Deutschland an Hawai’i übergeben. Die hawaiianische Delegation, die nach Stuttgart kommt, wird auch iwi kūpuna von Institutionen in Freiburg und Bremen übergeben bekommen. Ein zweites Team, das aus Halealoha Ayau, Ulu Cashman, Dane Maxwell und Kona Wong besteht, werden die Ahnen und moepū von zwei Berliner Institutionen heimholen: von der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte sowie dem Ethnologischen Museum Berlin.
Die von der Community mitfinanzierten Rückführungen bieten auch die Gelegenheit, die nächste Generation indigener Hawaiianerinnen und Hawaiianer in die damit verbundenen Abläufe internationaler Repatriierungen vertraut zu machen. Nach ihrer Rückkehr aus Europa wird Hui Iwi Kuamo’o in Zusammenarbeit mit Fachleuten der hawaiianischen Kultur die iwi kūpuna und moepū (Grabbeigaben) nach über einem Jahrhundert zu ihren letzten Ruhestätten bringen.
Land bekennt sich zu seiner historischen Verantwortung
Das OHA hat sich am 27. Oktober 2021 an das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg mit der Bitte gewandt, menschliche Überreste aus den Sammlungen des Landes nach Hawaii zu überführen. Das Land hat im Mai 2022 entschieden, dieser Bitte nachzukommen. Baden-Württemberg bekennt sich zu seiner historischen Verantwortung im Hinblick auf die koloniale Vergangenheit Deutschlands und Europas. Dazu gehört die Rückgabe von Artefakten und besonders von menschlichen Gebeinen und Schädeln an ihre Heimatorte. Die Rückführung der humain remains hat für das Land einen hohen Stellenwert, den es mit seinen wissenschaftlichen Einrichtungen und Museen umsetzt.
Die menschlichen Überreste, die kolonialen Kontexten zuzuordnen sind, kamen auf sehr unterschiedliche Weise nach Baden-Württemberg und in die Sammlungen, oftmals im Zusammenhang mit der sogenannten „Rassenforschung“ oder „Rassenkunde“. Dies geschah oft über Umwege und mit zeitlicher Verzögerung.
Menschliche Überreste sind Knochen, Schädel und Skelette von Verstorbenen. Sie wurden oft ohne ethische Bedenken gewaltsam entwendet und nach Europa gebracht. Meistens geschah dies, ohne die Zustimmung der Angehörigen einzuholen und gegen die Gesetzeslage sowohl vor Ort als auch in Europa.
Hui bedeutet Gruppe, Iwi Knochen und das Wort Kuamo'o Rückgrat oder Weg. Hui Iwi Kuamo'o ist eine ehrenamtliche Organisation, deren Mitglieder sich der Pflege und dem Schutz von Iwi Kūpuna, Grabstätten und Moepu (Grabbeigaben) widmen. Es ist ihr Ziel, alle Ahnen zu finden, sie mit großem Respekt nach Hawaii zu bringen, um sie dort zeremoniell zu begraben und ihr Andenken zu wahren.
Das Office of Hawaiian Affairs ist eine halbautonome staatliche Behörde im US-Bundesstaat Hawai’i und ist verantwortlich für das Wohlbefinden indigener Hawaiianerinnen und Hawaiianer. OHA wird von einem Aufsichtsrat geleitet, dessen neun Mitglieder in einer bundesstaatsweiten Wahl gewählt werden. OHA hat den Auftrag, die Lebensbedingungen der indigenen Hawaiianerinnen und Hawaiianer durch die Unterstützung ihrer Interessen, durch Forschung und durch die Finanzierung von Community-Programmen zu verbessern.
Das Staatliche Museum für Naturkunde Stuttgart bietet seinen Besuchern in zwei Ausstellungsgebäuden rund zwölf Millionen Objekte und ist damit eines der größten Naturkundemuseen Deutschlands. Es ist eine zukunftsorientierte Forschungs- und Bildungseinrichtung. Das Museum trägt zum Verständnis komplexer biologischer Konzepte von der Urzeit bis heute bei und vermittelt Erkenntnisse an die breite Öffentlichkeit.
Die Sammlung ist eine der größten Sammlungen mit menschlichen Überresten in Baden-Württemberg. Sie wurde seit 1857 von dem Freiburger Anatomen und Anthropologen Alexander Ecker (1816 bis 1887) aufgebaut. Sie besteht aus menschlichen Schädeln, Knochen und Abgüssen, die durch Schenkungen, Tausch und Ankäufe erworben wurden. Im Jahre 2001 wurde die Alexander-Ecker-Sammlung vom Universitätsarchiv und dem Uniseum übergenommen. Große Teile der Sammlung wurden im Ersten und Zweiten Weltkrieg zerstört.