Extremisten sind während der Corona-Pandemie vermehrt im Netz aktiv und versuchen ideologisches Kapital aus dem Ereignis zu schlagen.
„Extremismus instrumentalisiert Corona. Anhängerinnen und Anhänger extremistischer Ideologien rahmen die Corona-Pandemie in ihren engen Denkmustern: Sie versuchen ideologisches Kapital aus dem Ereignis zu schlagen, indem sie einfache Erklärungen finden, Feindbilder pflegen und Verschwörungsmythen oder Falschmeldungen verbreiten. Extremistische Influencer sind in dieser Situation besonders im Internet aktiv und versorgen ihre Anhänger mit entsprechenden ideologischen Deutungen der Pandemie“, sagte Innenminister Thomas Strobl.
Die Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg (LfV), Beate Bube, erklärt dazu: „Wie für alle anderen Bürgerinnen und Bürger gelten die aktuellen Einschränkungen auch für Extremisten. Daher nimmt das LfV in den Szenen derzeit kaum persönliche Treffen oder Aktivitäten vor Ort wahr. Vielmehr verlagert sich ein Großteil der extremistischen Inhalte ins Netz. Selbstverständlich bleiben die Sicherheitsbehörden auch dort wachsam. Wir sind trotz der aktuellen Lage voll handlungsfähig und haben die Feinde der Demokratie genau im Blick.“
Salafistische Szenen
„Die aktuell geltenden Abstandregeln und Kontaktbeschränkungen werden nach Erkenntnissen des LfV auch in extremistischen Kreisen weitgehend eingehalten. So wurden zum Beispiel in zahlreichen Objekten der salafistischen Szene im Land Freitagsgebete und andere Veranstaltungen abgesagt. Auch andere islamistische Organisationen wie die ‚Islamische Gemeinschaft Milli-Görüs‘ rufen ihre Anhänger dazu auf, die staatlichen Anordnungen zu befolgen. Viele Vorträge und Predigten verlagern sich freilich in den digitalen Raum“, erklärte Minister Thomas Strobl.
Verschwörungstheorien zum Coronavirus
Im Netz beobachtet das LfV derzeit eine verstärkte Aktivität von Extremisten. So finden beispielsweise zahlreiche Verschwörungstheorien zur Entstehung und Verbreitung des Sars-CoV2-Virus großen Anklang, vor allem im Milieu der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“. Hierbei wird das Virus wahlweise als biologische Waffe dargestellt, die gezielt gegen die Bevölkerung zum Einsatz gekommen sei, oder seine Existenz wird komplett verleugnet. Die Maßnahmen der Bundesregierung und der Länder gegen die Ausbreitung des Virus werden ohne jegliche inhaltliche Auseinandersetzung als Angriff auf die Bevölkerung betrachtet – oder die Bundesrepublik Deutschland wird mit dem Dritten Reich verglichen.
Im rechtsextremistischen Spektrum wird die Ausbreitung des Virus mit der Aufnahme von Flüchtlingen erklärt, so ist etwa von „Corona-Migranten“ die Rede. Andere sehen im Virus ein Ablenkungsmanöver der Bundesregierung, um eine „neue Welle von Asyleinwanderern“ zu vertuschen sowie „Sachen im Hintergrund“ ohne „großen Medienwirbel zu erledigen“. Teile der rechtsextremistischen Szene befassen sich zunehmend mit dem sogenannten „Tag X“. Dieser „Tag X“ bezieht sich auf einen von etlichen Rechtsextremisten herbeigesehnten Zusammenbruch des politischen Systems, teilweise verbunden mit der Erwartung eines dann beginnenden Bürgerkriegs. Vereinzelt wird ein solches „Tag X“-Szenario derzeit in der Corona-Krise gesehen.
Aktionen am ersten Mai
„Trotz der derzeitigen Beschränkungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie mobilisieren Teile der linksextremistischen Szene in Baden-Württemberg zu Aktionen am 1. Mai. Wir haben Erkenntnisse, dass Kundgebungen und Demonstrationen etwa in Freiburg, Stuttgart, Karlsruhe und Villingen-Schwenningen geplant sind. Dabei gilt ganz klar: Die von der Landesregierung beschlossenen Maßnahmen zum Infektionsschutz, wie die Einhaltung des Mindestabstandes oder das Tragen von Masken, müssen eingehalten werden. Das ist freilich kein Freifahrtschein für eine Vermummung – Schutzmaske: ja, Vermummung: Nein“, so Innenminister Thomas Strobl. Traditionelle „1.Mai-Feste“ in mehreren Szene-Objekten im Land wurden aufgrund der Corona-Verordnungen hingegen abgesagt.
Die Arbeitsbereiche
Die im Bereich Ausländerextremismus des LfV beobachtete „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK) hat ihre Aktivitäten in Deutschland ebenfalls stark zurückgefahren und ruft ihre Anhänger dazu auf, zu Hause zu bleiben. Die meisten Veranstaltungen der PKK sind abgesagt worden, dies betraf vor allem die alljährliche Großkundgebung anlässlich des Newroz-Festes am 21. März.
Nach anfänglicher Zurückhaltung beobachtet das LfV in den vergangenen Tagen vermehrt Solidaritätsaktionen und Straftaten durch die linksextremistische Szene im Land. Überwiegend handelt es sich um Sachbeschädigungen durch Farbschmierereien, so zum Beispiel in Freiburg, Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart und Villingen-Schwenningen. Aus Sicht der linksextremistischen Szene stellt die Corona-Pandemie den Beginn einer Krise des „kapitalistischen Systems“ dar. Es wird dazu aufgerufen, sich trotz der Pandemie nach internationalem Vorbild zusammenzuschließen und weitere Aktionen durchzuführen. Nach Einschätzung des LfV in Baden-Württemberg ist aber nicht mit Plünderungen oder gewalttätigen Aktionen der linksextremistischen Szene zu rechnen.
Der Arbeitsbereich Cyberabwehr im LfV hat derzeit Hinweise darauf, dass vor allem Cyberakteure aus dem kriminellen Milieu sich die momentane Lage zu Nutze zu machen. Ein konkreter Bezug zu fremden Nachrichtendiensten konnte bei solchen Angriffen bisher nicht festgestellt werden. Im Rahmen der allgemeinen Beobachtung von staatlich gesteuerten Cyberangriffen stellt das LfV aber fest, dass zum Teil wohl auch ausländische Staaten Cyberangriffe im Kontext von der COVID-19-Pandemie durchführen.
Der Arbeitsbereich Spionageabwehr im LfV beobachtet seit Beginn der Corona-Krise, dass durch verschiedene Akteure verstärkt Desinformation durch die Verbreitung von sogenannten „Fake-News“ betrieben wird. Derzeit kursieren eine Vielzahl solcher Meldungen, die unter anderem den Ursprung der Pandemie in China in Frage stellen. Tatsächlich sei das Virus durch Amerikaner nach China gebracht worden, in Amerika gezielt entwickelt worden oder stehe im Zusammenhang mit dem derzeit laufenden Ausbau des 5G-Mobilfunknetz, so einige Beispiele für diese absichtlichen Falschmeldungen. Gleichzeitig inszeniert sich insbesondere die chinesische Regierung medienwirksam als „Helfer in der Not“.