Verfassungsschutz

Verfassungsschutzbericht 2022 vorgestellt

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Beate Bube (links), Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz, und Innenminister Thomas Strobl (rechts) präsentieren bei einer Pressekonferenz den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022.
Beate Bube (links), Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz, und Innenminister Thomas Strobl (rechts) präsentieren bei einer Pressekonferenz den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022.

Innenminister Thomas Strobl und Beate Bube, Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz, haben den Verfassungsschutzbericht 2022 vorgestellt. Die Bedrohung durch Spionage, Cyberangriffe und durch Nachrichtendienste haben den Verfassungsschutz im vergangenen Jahr stark gefordert.

„Krisen sind Goldgruben für Verfassungsfeinde. Das haben wir in der Corona-Pandemie erlebt und auch seit Ausbruch des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. Aus verschiedenen Bereichen, nicht zuletzt ausländischen Geheimdiensten, gibt es Versuche, gesellschaftliche Unsicherheiten zu instrumentalisieren und unsere Demokratie zu schwächen. Wir erkennen auch im Jahr 2022 bestimmte Muster wieder: Propaganda- und Desinformationskampagnen, die gezielte Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen, sind ein wirksames Mittel, um die eigene Community zu mobilisieren und gleichzeitig den Gegner zu destabilisieren, seine Werte und Ziele zu diskreditieren und seine Glaubwürdigkeit zu untergraben. Freilich ist unsere Demokratie wachsam und wehrhaft. Das zeigt der Verfassungsschutzbericht 2022 (PDF). Und klar ist für uns auch: Wir müssen die Öffentlichkeit über die Entwicklungen verstärkt aufklären, sensibilisieren und auf die Gefahr hinweisen. Nur so können wir ein stärkeres Bewusstsein für die Gefahren schaffen und gegensteuern. Wir müssen die Bevölkerung aufklären, damit die Propaganda bei den Menschen im Land abperlt und gar nicht erst verfängt“, sagte der Stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl. Gemeinsam mit der Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz, Beate Bube, hatte er am 22. Juni 2023 in Stuttgart den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 vorgestellt.

Cyberangriffe und Spionage

Das Jahr 2022 war geprägt durch den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine. „Cyberangriffe, Spionage, Propaganda und Desinformation sind Werkzeuge dieses Krieges, der an Landesgrenzen nicht Halt macht. Auch wir in Baden-Württemberg sind betroffen“, so Minister Thomas Strobl. Die Bedrohung durch Spionage und Cyberangriffe durch Nachrichtendienste war im Jahr 2022 durchgängig hoch. Behörden, die Rüstungsindustrie sowie Universitäten und Forschungseinrichtungen gehörten zu den wichtigsten geheimdienstlichen Zielen fremder Staaten. Das gilt auch für Kritische Infrastrukturen.

„Die Gefahr nachrichtendienstlich gesteuerter Cyberangriffe aus Russland ist hoch. Die IT-Strukturen verschiedener Stellen in Baden-Württemberg wurden etwa im Jahr 2021 wiederholt Ziel von Cyber-Attacken. Dabei versuchten ausländische Nachrichtendienste mit staatlich gesteuerter oder beeinflusster Cyberspionage Informationen und Know-how zu gewinnen oder durch Sabotageattacken auf IT-Infrastruktur gezielt Schaden anzurichten. Für uns heißt das im Umkehrschluss: Wir müssen wachsam bleiben“, betonte Minister Thomas Strobl.

Durch die bestehende Abhängigkeit von Energieimporten ist die Energiewirtschaft aktuell ein besonders attraktives Angriffsziel für Cyber-Attacken. Auch die Bedrohungslage durch „klassische“ Spionage und Proliferation in Baden-Württemberg ist anhaltend hoch. Insbesondere Politikerinnen und Politiker, die Bundeswehr und bestimmte Wirtschaftsunternehmen sind Top-Aufklärungsziele fremder Dienste.

„Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“

Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg rechnet dem Milieu der sogenannten „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ in Baden-Württemberg rund 3.800 Personen zu. Die Anzahl bleibt damit im Vergleich zum Jahr 2021 auf einem hohen Niveau stabil. Insbesondere das Protestgeschehen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie führten zu einem starken Zulauf des Milieus. Rund drei Prozent lassen auch eine rechtsextremistische Einstellung erkennen. Jeder Zehnte, das sind 380 Personen, gilt als gewaltorientiert.„Mehrere Vorfälle zeigen: Diese Leute schrecken auch nicht vor Gewalt zurück. Deshalb haben wir ein sehr waches Auge auf sie und setzen auch alles daran, Extremisten zu entwaffnen“, erklärte Innenminister Thomas Strobl.

Strukturell ist die Szene sehr heterogen, die Anhänger sind überwiegend nicht fest in klar abgrenzbaren Gruppierungen organisiert. Es handelt sich hauptsächlich um Einzelpersonen, die sich in ihren Aktivitäten jedoch gegenseitig inspirieren. Nur etwa ein Fünftel der Szene kann nach aktuellem Kenntnisstand des Landesamts für Verfassungsschutz festen Organisationen zugerechnet werden. Die derzeit aktivsten Gruppierungen in Baden-Württemberg sind „Bismarcks Erben“ beziehungsweise „Vaterländischer Hilfsdienst“ (VHD), die „Verfassunggebende Versammlung“ (VV) sowie das „Königreich Deutschland“ (KRD). Vor allem die Expansionsbestrebungen des KRD haben zuletzt bundesweit deutlich zugenommen.

Rechtsextremismus in Baden-Württemberg

Die Zahl der Rechtsextremisten in Baden-Württemberg ist im Jahr 2022 im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen (2021: circa 1.970, 2022: circa 2.460). Dies hauptsächlich aufgrund der Aufnahme des rechtsextremistischen Personenpotenzials in der „Alternative für Deutschland“ (AfD) in die Statistik. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten in Baden-Württemberg stagnierte 2022 im Vergleich zu 2021 bei rund 800. Im Ergebnis ist jeder dritte Rechtsextremist beziehungsweise jede dritte Rechtsextremistin im Land dem gewaltorientierten Spektrum zuzuordnen.

Nachdem die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten viermal in Folge gesunken war, stieg sie 2022 wieder leicht an, auf 34 Fälle (2021: 28). „Die Entwicklung verdeutlicht ganz klar: Die Gefahr von rechtsaußen ist da und sie ist ganz real, auch bei uns in Baden-Württemberg. Der Kampf gegen Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus muss eine unserer obersten Aufgaben bleiben“, so Innenminister Thomas Strobl. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten insgesamt ging hingegen leicht zurück auf 1.410 Verfahren (2021: 1.482).

Einstufung der AfD als Verdachtsfall

Seit Juli 2022 hat das Landesamt für Verfassungsschutz den Landesverband der AfD in Baden-Württemberg als Verdachtsfall eingestuft. Zuvor hatte das Verwaltungsgericht Köln die Erhebung der Gesamtpartei AfD zum Beobachtungsobjekt durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigt. Maßgeblich dafür waren der Einfluss des formal aufgelösten „Flügels“ sowie der „Jungen Alternative“ (JA). Unter anderem der dort vertretene ethnisch-homogene Volksbegriff steht im Widerspruch zu zentralen Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Entsprechende Positionen wurden auch im Berichtsjahr durch Mitglieder und Funktionäre des baden-württembergischen Landesverbands verbreitet.

In Baden-Württemberg wurde die „Junge Alternative Baden-Württemberg“ bereits im November 2018 zum Beobachtungsobjekt erhoben und wird aktuell als Verdachtsfall bearbeitet. Im Berichtsjahr 2022 trat die JA in Baden-Württemberg in verschiedenen Regionen in Erscheinung, beispielsweise mit Banneraktionen, Flyerverteilungen oder mit der Teilnahme an Demonstrationen. Während personelle und inhaltliche Überschneidungen zur rechtsextremistischen „Identitären Bewegung“ (IB) im Jahr 2022 scheinbar in den Hintergrund traten, machte eine Veranstaltung der JA im Mai 2023 deutlich, dass nach wie vor Verbindungen zwischen den Organisationen bestehen.

Linksextremismus in Baden-Württemberg

„Der Krieg in der Ukraine prägte auch die Agitation der linksextremistischen Szene in Baden-Württemberg: Die Entscheidungen der Bundesregierung zur militärischen Unterstützung der Ukraine und zur Einrichtung eines Sondervermögens für die Bundeswehr rückten den ‚Antimilitarismus‘ verstärkt in den linksextremistischen Fokus. In Baden-Württemberg kam es in diesem Zusammenhang zu mehreren Straftaten“, erklärte Minister Thomas Strobl.

Insgesamt waren im Jahr 2022 im Land rund 2.690 Personen dem linksextremistischen Spektrum zuzuordnen. Das stellt einen leichten Rückgang im Vergleich zum Jahr 2021 (2021: 2.790) dar. Die Gruppe an Personen, die davon als gewaltorientierte Linksextremisten einzuschätzen sind, ist leicht angewachsen, auf 870 Personen (2021: 860).

Bei den linksextremistischen Straftaten war mit 352 Fällen ein deutlicher Rückgang festzustellen (2021: 659). Ausschlaggebend für diese Entwicklung war unter anderem, dass anders als noch 2021 kein politisches Großereignis wie die Bundestagswahl oder die Landtagswahl in Baden-Württemberg stattfand. Auch linksextremistisch motivierte Gewalttaten verzeichneten die Sicherheitsbehörden 2022 mit insgesamt 39 deutlich weniger als im Jahr zuvor (2021: 62) und damit so wenige wie in den vergangenen fünf Jahren nicht. Die überwiegende Mehrheit der linksextremistischen Straf- und Gewalttaten im Jahr 2022 kann dem Handlungsfeld „Antifaschismus“ zugerechnet werden.

Bedrohung durch den Islamistischen Extremismus besteht weiter

„Es besteht weiterhin das Risiko, dass Angehörige der jihadistischen Szene Anschläge verüben. Dem IS-Ableger in Afghanistan, dem ‚IS Provinz Khorasan‘, ist es gelungen, seine Aktivitäten erheblich auszuweiten. Die Gruppierung ist bemüht, ihre Netzwerke und Kapazitäten vor Ort und international auszubauen. Durch die Ausbreitung steigt auch das Risiko möglicher Anschläge in Europa und Deutschland: Der ‚IS Provinz Khorasan‘ rief seine Anhänger wiederholt zu Attentaten in westlichen Ländern auf“, mahnte Innenminister Thomas Strobl. Die vom islamistischen Terrorismus ausgehende Gefährdung stuft das Landesamt für Verfassungsschutz unverändert hoch ein. Ende Juni 2022 wurden in mehreren Ländern Exekutivmaßnahmen gegen Mitglieder der verbotenen Vereinigung „Kalifatstaat“ durchgeführt. Durchsucht wurden dabei auch zehn Objekte in Baden-Württemberg, vor allem im Raum Weinheim und Mannheim, alle aufgrund des Verdachts eines Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot.

Insgesamt geht das Landesamt für Verfassungsschutz für 2022 von 4.070 Islamisten in Baden-Württemberg aus. Das sind 160 Personen weniger als 2021. Damit ist der Personenkreis erstmals seit 2014 zurückgegangen, insbesondere im Bereich der salafistischen Szene. Hier sank die Anzahl der Anhänger von 1.350 auf 1.200 Personen. „Die Gefahr besteht freilich weiterhin. Wir müssen gerade auch davon ausgehen, dass der Rückgang auch darauf zurückzuführen ist, dass die Szene in der Pandemie durchaus weniger präsent war. Das islamistische Personenpotential in Baden-Württemberg befindet sich weiterhin auf einem konstant hohen Niveau. Und wir stellen gerade auch fest, dass die salafistische Szene, die in den Jahren 2020 und 2021 stark durch die Pandemielage beeinträchtigt war, ihre Aktivitäten wieder verstärkt aufgenommen hat“, warnt der Innenminister. Öffentlichkeitswirksame Betätigungsfelder sind Seminar- und Vortragsveranstaltungen und vermehrt die „Street Da’wa“ (Straßenmissionierung) durch Infostände in Fußgängerzonen. Parallel dazu haben sie aber auch ihre digitalen Formate und Kanäle weiter ausgebaut.

Sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern

Durch die verstärkte Bearbeitung und den damit verbundenen Erkenntnisgewinn im Bereich des türkischen Rechtsextremismus stuft das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg mehr Personen dem auslandsbezogenen Extremismus zu als noch im Vorjahr: Die Zahl stieg von 4.640 auf 4.840 Extremisten.

Verfassungsschutzbericht 2022 (PDF)

Verfassungsschutz Baden-Württemberg

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