Eine neue Website bündelt die Informationsangebote zur Deportation der jüdischen Bevölkerung in das Lager Gurs. Dadurch wird ermöglicht, dass sich Bürgerinnen und Bürger über das Schicksal der mehr als 6.000 deportierten Jüdinnen und Juden gut informieren können.
Die vorhandenen Informationsangebote zur Deportation der jüdischen Bevölkerung Südwestdeutschlands in das südfranzösische Lager Gurs sind jetzt auf der zentralen Website gebündelt. Die Seite wird am 27. Januar 2023, dem Internationalen Holocaust-Gedenktag, freigeschaltet. Dort sind die Informationsangebote des Landesarchivs Baden-Württemberg, des baden-württembergischen Kultusministeriums, der Landeszentralen für politische Bildung in Mainz und Saarbrücken, des Bezirksverbands Pfalz sowie der Stadtverwaltung Karlsruhe vernetzt. Ein weiterer Link führt auch zur Gedenk- und Bildungsstätte „Haus der Wannsee-Konferenz“ in Berlin, das mit finanzieller Unterstützung der südwestdeutschen Länder eine Ausstellung zum Thema Gurs erarbeitet hat. Darüber hinaus steht dort auch der neue Dokumentarfilm „DAS ELEND VERGESSEN – Künstler hinter Stacheldraht in Gurs“ zum Abruf bereit.
„Mit den neuen Angeboten wollen wir ermöglichen, dass man sich über das Schicksal der mehr als 6.000 deportierten Jüdinnen und Juden gut informieren kann, auch wenn man nicht direkt vor Ort am Fuß der Pyrenäen sein kann. Dies ist ein wichtiger Beitrag für eine zeitgemäße Erinnerungskultur und gerade für junge Menschen von Bedeutung“, sagt Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper. Die neue Website wurde vom Landesarchiv Baden-Württemberg im Auftrag der Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Saarland sowie der Kommunen, aus denen die Deportierten stammten, erarbeitet. Das Landesarchiv hatte bereits zuvor im landeskundlichen Informationssystem LEO-BW eine umfangreiche Datenbank mit den Biogrammen der Jüdinnen und Juden eingerichtet. Auch im Saarland existiert seit 2020 mit eine Internetseite zur Geschichte des Lagers Gurs, die entsprechende Lernmaterialien anbietet. Das Zentrum bildet eine Datenbank, die alle im Lager Gurs internierten Saarländerinnen und Saarländer verzeichnet.
Länderübergreifender Zugang zu Informationen der Deportation
„Das multimediale Angebot schafft einen länderübergreifenden Zugang und verbindet das Gedenken und Erinnern an die Verschleppten und Ermordeten mit der Dokumentation und Aufarbeitung ihrer Schicksale,“ sagt Prof. Dr. Gerald Maier, der Präsident des Landesarchivs. Die Israelitische Religionsgemeinschaft Baden (IRG Baden) als Dachverband der zehn jüdischen Gemeinden im Landesteil Baden unterstützt das Vorhaben ausdrücklich.
„Historische Kenntnis schafft Verbundenheit mit den persönlichen Schicksalen und stärkt das Bewusstsein für die Notwendigkeit, das Wissen zu bewahren und weiterzutragen. Deswegen ist es wichtig, dass insbesondere junge Menschen Zugang zu vertrauenswürdigen Informationen und Quellen erhalten, um sich über die Geschehnisse vor 80 Jahren in Gurs aus erster Hand ein eigenes Bild machen zu können“, sagt der Vorsitzende Rami Suliman und erklärt: „Wir danken den drei beteiligten Bundesländern, dem Landesarchiv Baden-Württemberg und insbesondere dem federführenden Kultusministerium des Landes Baden-Württemberg dafür, diesen Weg moderner Erinnerungskultur mit immer neuen Ideen unbeirrt zu gehen und auch den Erhalt der – nach jüdischem Glauben – ewigen Gräber der durch die Deportation verstorbenen Jüdinnen und Juden konsequent weiterzuverfolgen.“
Auf der Internetseite sind auch neue Filmdokumentationen über die Gedenkstätte in Gurs und die umliegenden Lagerfriedhöfe zu sehen. Dazu kommen zwei Produktionen des Autors Dietmar Schulz, die sich mit dem Schicksal der Menschen und unter anderem mit der Musik im Lager beschäftigen – darunter sein neuer 40-minütiger Dokumentarfilm über das Leben von Künstlerinnen und Künstlern in Gurs.
Das Lager Gurs
Am 22. Oktober 1940 wurde die jüdische Bevölkerung der Städte und Gemeinden in Baden und der damaligen Saarpfalz mit neun Eisenbahnzügen in das unter Kontrolle des Vichy-Regimes stehende Lager Gurs in der Nähe von Pau in Frankreich deportiert. Die sogenannte Wagner-Bürckel-Aktion, benannt nach den damaligen Gauleitern, gilt als erste systematische Deportation von Jüdinnen und Juden und als Testlauf für die Deportationen in die Vernichtungslager, wie sie im Rahmen der Wannsee-Konferenz konzipiert wurde. Insgesamt wurden 6.576 Personen deportiert, davon: aus Baden 5.617, aus dem heutigen Rheinland-Pfalz 825 und aus dem heutigem Saarland 134 Personen. Von Gurs wurden die Menschen in weitere Außenlager, wie zum Beispiel nach Rivesaltes oder Noé oder Portet-sur-Garonne, deportiert. Viele starben geschwächt auf dem Weg in diese Lager. Sie wurden jeweils vor Ort bestattet. Weitere wurden schließlich in den Vernichtungslagern Osteuropas ermordet, nur wenige überlebten – zum Teil mit Hilfe der französischen Résistance.
Die drei Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland sowie die Heimatorte der Deportierten haben sich zum Ziel gesetzt, die Erinnerung an die nach Gurs Deportierten und die Gräber der in Südfrankreich Bestatteten zu erhalten. Hierzu ist ein Kuratorium eingerichtet. Operativ nimmt die Aufgabe das baden-württembergische Kultusministerium wahr und kooperiert dabei eng mit dem Bund, der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden sowie mit französischen Dienststellen.
Das Leben von Musikerinnen und Musikern, Malerinnen und Malern, Schriftstellerinnen Schriftstellern sowie Schauspielerinnen und Schauspielern im französischen Lager Gurs ist Thema eines neuen Filmes „DAS ELEND VERGESSEN – Künstler hinter Stacheldraht in Gurs“. Die 40-minütige Dokumentation von Dietmar Schulz schildert die Lebensläufe der Künstlerinnen und Künstler sowie ihre vielfältigen Aktivitäten im Lager. Ein großer Teil des Materials war bisher unveröffentlicht. Gedichte und Briefe stammen aus Archiven in Deutschland, Frankreich, der Schweiz, den Vereinigten Staaten von Amerika und Israel. Es ist die erste Film-Dokumentation über das vielfältige Kulturleben im Lager Gurs.
„Die Leute vergaßen das Elend und waren für wenige Stunden glücklich.“ So beschrieb Anni Ebbecke in ihren Erinnerungen die Reaktion ihrer Mithäftlinge bei den Konzerten im Lager Gurs. Sie lebten unter erbärmlichen Umständen hinter Stacheldraht. Im größten Internierungslager in Südfrankreich lebten auch mehrere Künstlerinnen und Künstler, die im Lager Konzerte, Kabarett-Abende und Theater-Aufführungen für ihre Mitgefangenen organisierten, um ihnen Hoffnung und neuen Lebensmut zu geben. Zu ihnen gehörten etwa der aus Karlsruhe stammende Musiker Hans Ebbecke, verheiratet mit Anni Blum aus Bergzabern. Der junge Pianist und Komponist Alfred Cahn aus Speyer übte mit einem Kinderchor das wohl bekannteste Lied über Gurs „Wir sind ganz junge Bäumchen“ ein. Eugen Fried aus Ingenheim in der Pfalz schrieb zahlreiche Gedichte über das triste Lagerleben, und Liesel Felsenthal aus Kaiserslautern zeigte den Lageralltag auf 18 Aquarellen.
Der Autor des Films, Dietmar Schulz, war ab 1973 erster Korrespondent der Deutschen Presse-Agentur in der DDR. Anschließend war er unter anderem Korrespondent des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) in Peking und in Tel Aviv sowie bis 2008 Redakteur in der Hauptredaktion Außenpolitik der ZDF-Zentrale. Zuvor produzierte er im Auftrag der Länder Baden-Württemberg, Saarland und Rheinland-Pfalz bereits den Film „DER HÖLLE ENTKOMMEN – Kinder von Gurs überleben im Versteck“. Mehr als 417 Kinder und Jugendliche konnten, oft buchstäblich in letzter Minute, gerettet werden.