Der in Berlin vorgestellte Bildungstrend 2015 des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) bestätigt den Handlungsbedarf Baden-Württembergs bei der Qualitätsverbesserung von Unterricht und Schule. Die IQB-Studie hat bundesweit die Kompetenzen in den Fächern Deutsch und Englisch in der Sekundarstufe I verglichen. Zusätzlich wurden in einigen Ländern, darunter Baden-Württemberg, Kompetenzen im Fach Französisch überprüft.
Insgesamt nahmen mehr als 37.000 Schülerinnen und Schüler der neunten Jahrgangsstufe von circa 1.700 Schulen aus allen Bundesländern teil. Die Studie überprüft, inwieweit die Schülerinnen und Schüler die Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz (KMK) erreichen und in welchen Bereichen Steuerungsbedarf besteht.
In Baden-Württemberg hatten etwa 160 Schulen teilgenommen, darunter Haupt- und Werkrealschulen, Realschulen und Gymnasien; Gemeinschaftsschulen wurden nicht überprüft, da diese zum Zeitpunkt der Datenerhebung im Frühjahr 2015 noch keine neunte Jahrgangsstufe hatten. Bei den Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund wurden nur diejenigen mit einbezogen, die mindestens ein Jahr den Regelunterricht der getesteten Klassen besucht haben.
Dramatischer Abwärtstrend seit dem Ländervergleich 2009
Bei der erstmaligen Überprüfung der Fächer Deutsch und Englisch im Jahr 2009 belegte Baden-Württemberg noch einen Spitzenplatz. In nahezu allen getesteten Fächern erreichte Baden-Württemberg damals direkt hinter Bayern den zweiten Platz. Lediglich im Kompetenzbereich Lesen im Fach Deutsch lag Baden-Württemberg hinter Bayern und Sachsen auf dem dritten Rang – in nahezu allen Testbereichen dennoch signifikant über dem Bundesdurchschnitt.
Im Ländervergleich 2015 zeigt sich ein anderes Bild: Im Fach Deutsch rutscht Baden-Württemberg im Kompetenzbereich Lesen von Platz drei auf Platz 13, beim Zuhören von Platz zwei auf Platz 14 und bei der Orthografie von Rang zwei auf Rang zehn. Im Fach Englisch hat sich Baden-Württemberg zwar wie alle Länder verbessert, der Zuwachs ist im Vergleich mit den anderen Ländern aber am geringsten, so dass sich auch hier die Platzierungen verschoben haben: In Englisch Leseverstehen von Rang zwei auf Rang neun und in Englisch Hörverstehen von Platz zwei auf Platz sieben.
Qualität und Leistung aus den Augen verloren
„In den vergangenen Jahren wurde in Baden-Württemberg viel zu viel über Schulstrukturen gestritten. Die Themen Qualität und Leistung hat man völlig aus den Augen verloren. Das war ein Fehler, den wir mit der IQB-Studie nun quittiert bekommen“, sagt Kultusministerin Susanne Eisenmann mit Blick auf den dramatischen Abwärtstrend. Sie fügt hinzu: „Der Leistungsgedanke muss wieder eine stärkere Rolle spielen. Die Studie führt uns drastisch vor Augen, dass wir uns auf die Kernkompetenzen konzentrieren sollten, statt immer mehr Schulversuche zuzulassen.“
Durch die Ergebnisse von 2009 und nun von 2015 ist es erstmals möglich, Entwicklungstrends in Deutsch und in Englisch zu erkennen. „Für Baden-Württemberg bereiten diese Anlass zur Sorge. Die weitreichenden strukturellen Veränderungen unseres Schulsystems der zurückliegenden Jahre haben den Schulen und Lehrerinnen und Lehrern Zeit und Aufmerksamkeit entzogen. Zeit und Aufmerksamkeit, die für die Weiterentwicklung des Unterrichts gefehlt haben. Einen zentralen Ansatz sehe ich deshalb darin, dass wir endlich für mehr Ruhe und Stabilität in den Schulen sorgen müssen“, betont die Kultusministerin.
Keine einfachen Antworten auf komplexe Fragen
Bei der Analyse dieser Entwicklung, betont Ministerin Eisenmann, seien voreilige Urteile wenig hilfreich: „Es gibt keine einfachen Antworten auf diese komplexen Fragen. Auch reflexhafte Forderungen nach mehr Lehrerstellen helfen uns nicht weiter. Wir müssen uns die einzelnen Ergebnisse in Ruhe anschauen. Die Ursachen für die schlechten Ergebnisse sind vielfältig, deshalb müssen Maßnahmen in mehreren Bereichen ansetzen und einzelne Schritte gut aufeinander abgestimmt sein.“ Auch die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung im Jahr 2012 kann das Ergebnis nicht beeinflusst haben, da die getesteten Schülerinnen und Schüler zu diesem Zeitpunkt bereits in den weiterführenden Schulen waren.
Die IQB-Studie gebe nun wertvolle Hinweise, wo nachgesteuert werden müsse. Das Kultusministerium entwickle derzeit ein strategisches Bildungscontrolling mit dem Ziel, Schulen gezielt dabei zu unterstützen, sich qualitativ weiterzuentwickeln. „Bei der Analyse werden wir auch auf die Schulen zugehen, die für Baden-Württemberg an der Studie teilgenommen haben. Es geht aber nicht darum, diese Schule an den Pranger zu stellen, sondern darum, dass wir gemeinsam nach den Ursachen für das schlechte Abschneiden suchen müssen. Hier sind wir auf Hinweise aus den Schulen angewiesen“, betont Eisenmann. In diesem Zusammenhang müsse auch die Fremdevaluation an den allgemein bildenden Schulen hinterfragt werden.
Einen Ansatzpunkt sieht die Ministerin in der Stärkung der Fachlichkeit: „Wir müssen auch die Lehramtsausbildung unter dem Gesichtspunkt der Fachlichkeit der Lehrkräfte kritisch überprüfen. Das gleiche gilt für die Wirksamkeit der Lehrerbildungsreform zum Wintersemester 2015/2016, die eine Erhöhung der fachwissenschaftlichen Anteile versprochen hat.“
Auch von der angekündigten Überprüfung des Rechnungshofs verspricht sich Ministerin Susanne Eisenmann Anhaltspunkte: „Wir müssen die Stellen und Ressourcen, die wir haben, so effizient wie möglich einsetzen – und vor allem da, wo sie tatsächlich gebraucht werden. Einfach so weiterzumachen wie bisher, halte ich für unverantwortlich“, sagt Eisenmann.