Das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft hebt mit sofortiger Wirkung den Anlieferstopp auf Deponien für freigemessene Abfälle aus dem Rückbau kerntechnischer Anlagen auf. Ein Gutachten belegt, dass keine zusätzlichen Risiken durch Deponierung von unbelastetem Bauschutt aus dem Rückbau von Kernkraftwerken entstehen. Das teilte Umweltminister Franz Untersteller mit.
„Wir haben detailliert berechnen lassen, ob von abgelagerten freigemessenen Abfällen bei der Nachnutzung einer stillgelegten Deponie eine zusätzliche Gesundheitsgefahr ausgeht. Das ist nicht der Fall, weder für Erwachsene noch für Kleinstkinder, weder bei einer landwirtschaftlichen Nachnutzung noch bei einer Überbauung mit Straßen oder einer Freizeitanlage. Für ein Anlieferungsverbot für freigemessene Abfälle auf Deponien besteht deshalb kein Grund mehr“, sagte Untersteller.
Die Anlieferung freigemessener Abfälle auf Deponien war aus Vorsorgegründen Ende Juni vorübergehend ausgesetzt worden. Zuvor hatte die Atomaufsicht im Land festgestellt, dass die Strahlenschutzverordnung die wesentliche Frage, ob auch die Nachnutzung von still gelegten Deponien mit freigemessenen Abfällen ohne zusätzliches Strahlenrisiko möglich ist, nicht ausreichend beantwortet. Ob von deponierten freigemessenen Abfällen ein Risiko ausgeht, wenn beispielsweise eine landwirtschaftliche Nachnutzung geplant ist, ist vor Erlass der Strahlenschutzverordnung nicht berechnet worden. Diese Berechnungen hat das Öko-Institut im Auftrag des Umweltministeriums jetzt für die baden-württembergischen Deponien nachgeholt.
Berechnet worden sind für alle relevanten Radionuklide verschiedene Szenarien:
- Landwirtschaftliche Nachnutzung
- Forstwirtschaftliche Nachnutzung
- Nachnutzung für Freizeitangebote
- Nachnutzung durch Wohn- oder Industriebebauung
- Nachnutzung durch Überbauung mit Verkehrsflächen
Außerdem wurden zusätzliche Analysen für den Fall durchgeführt, dass die Abdichtung der Deponie nach 100 Jahren undicht wird.
In allen berechneten Fällen lag die Dosis durch Direktstrahlung aus dem Deponiekörper deutlich unter den als unbedenklich geltenden 10 Mikrosievert (10 µSv). Die natürliche Belastung beträgt für jeden Bewohner Deutschlands im Durchschnitt etwa 2.100 Mikrosievert im Jahr, also 210 Mal so viel. Das 10 µSv -Konzept muss auch bei der Nachnutzung von Deponien eingehalten sein.
Umweltminister Franz Untersteller: „10 Mikrosievert im Jahr ist ein Wert weit unter der natürlichen Strahlung, der wir alle jeden Tag ausgesetzt sind. Von einer Belastung auf einem Flug nach Amerika ganz zu schweigen. Es ist ein extrem niedrig angesetzter Vorsorgewert. Da dieser Wert auch bei einer Nachnutzung nur zu einem Bruchteil erreicht wird, besteht absolut kein Grund zur Sorge!“
Es sei ein Gebot der Vorsorge und Vorsicht gewesen, dass er die Anlieferung freigemessener Abfälle aus dem Rückbau kerntechnischer Anlagen in ganz Baden-Württemberg untersagt habe, bis genau dieser Beweis der Unbedenklichkeit auch unter Berücksichtigung der möglichen Deponienachnutzungen erbracht worden sei, führte Untersteller aus. „Für die Deponien in Baden-Württemberg und für die Menschen, die in der Region solcher Deponien leben, wollten wir Klarheit und Sicherheit. Beides ist jetzt da.“
Freimessung von radioaktiven Abfällen
Mit der Freimessung von radioaktiven Abfällen wird über die Freigabe dieser Abfälle entschieden, das heißt über deren Entlassung aus der atomrechtlichen Überwachung.
Beim Vorgang des Freimessens wird die radioaktive Strahlung von Abfällen geprüft. Material, dessen Aktivität nachweislich die Freigabewerte der Strahlenschutzverordnung unterschreitet, gilt als freigemessen und kann nach § 29 StrlSchV freigegeben werden. Danach fällt das Material nicht mehr unter das Atomrecht, sondern unter das Abfallrecht.
Die Überwachung des Freimessvorgangs erfolgt durch unabhängige Sachverständige der Atomaufsicht und Kameraaufzeichnung. In Baden-Württemberg ist das übliche Überwachungsprogramm aufgrund einer zusammen mit den Landkreisen entwickelten Handlungsanleitung deutlich verschärft worden, um auch nur theoretisch vorstellbaren Missbrauch auszuschließen.
Beim Abriss eines Kernkraftwerks können circa 97 Prozent der Gesamtmasse freigegeben oder herausgegeben werden.
Für die Freigabe muss das so genannte 10 µSv-Kriterium eingehalten werden. Dieses Konzept geht davon aus, dass eine Freigabe von Stoffen, die zum Beispiel beim Betrieb eines Kernkraftwerks angefallen sind und für die eine Deponierung vorgesehen ist, dann verantwortet werden kann, wenn dies maximal zu einer zusätzlichen Strahlenbelastung führt, die im Bereich von 10 µSv (10 Mikrosievert = 0,01 Millisievert) für die effektive Dosis von Einzelpersonen im Jahr liegt. Diese Dosis gilt als unbedenklich, sie liegt bei etwa 0,5 Prozent der natürlichen Strahlenbelastung.