Unter dem Vorsitz Baden-Württembergs haben die für Kinder-, Jugend- und Familienpolitik zuständigen Ministerinnen und Minister sowie Senatorinnen und Senatoren der Länder per Video-Konferenz unter anderem den Kinderschutz in der Corona-Krise und die anstehende Reform der Kinder- und Jugendhilfe diskutiert.
Unter dem Vorsitz Baden-Württembergs hat am heutigen Mittwoch (27. Mai) die erste Video-Konferenz in der Geschichte der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) stattgefunden. Ursprünglich sollten die für Kinder-, Jugend- und Familienpolitik zuständigen Ministerinnen und Minister sowie Senatorinnen und Senatoren der Länder gemeinsam mit Bundesministerin Dr. Franziska Giffey in Pforzheim an der Enz tagen. Aufgrund der Corona-Pandemie musste kurzerhand auf einen digitalen Konferenzbetrieb umgeschwenkt werden.
Schwerpunkte der digitalen JFMK waren der Kinderschutz unter den Vorzeichen der Corona-Pandemie, die schrittweise Wiedereröffnung der Kitas, die Kinder- und Jugendarbeit beziehungsweise die Jugendsozialarbeit sowie die anstehende Reform der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII-Reform).
Stimmen zur diesjährigen Konferenz
„Unser diesjähriges JFMK-Motto ,Starke Kinder – Chancenreichʽ ist in diesen ungewöhnlichen und unsicheren Zeiten aktueller denn je. Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft. Deshalb müssen wir ihnen trotz und gerade wegen aller Einschränkungen aufgrund von Covid-19 noch mehr zuhören, sie teilhaben lassen, ihre Belange in den Mittelpunkt stellen und sie schützen. Gerade weil viele der üblichen Kontrollmechanismen in den vergangenen Wochen nicht funktioniert haben, weil Kinder keinen Kontakt zu Lehrerinnen und Lehrern und zu Freunden hatten, weil Jugendlichen die üblichen Rückzugsräume außerhalb ihrer Familien fehlten, steht unsere Gesellschaft vor einer riesigen Herausforderung: Kein Kind darf abgehängt werden, keines vom Radar verschwinden. Wenn Kinder in der Anonymität verschwinden, haben wir ein sehr großes Problem. Besonders für benachteiligte Kinder und für Kinder in Familien in schwierigen Lebenslagen stellt die Isolation und der Wegfall der üblichen Hilfesysteme eine große Gefahr dar. Das Dunkelfeld häuslicher, oft verdeckter Gewalt ist derzeit massiv gewachsen. Deshalb haben wir heute intensiv darüber diskutiert, wie wir neue Netze knüpfen und alte Schutzmechanismen an die neuen Gegebenheiten anpassen können. Zentral ist auch die schrittweise Wiedereröffnung der Kitas, der Kinder- und Jugendarbeit sowie der Jugendsozialarbeit. Denn: Wir müssen den jungen Menschen im Land dringend eine Perspektive geben.
Ein weiteres wichtiges Thema der Konferenz war die Reform des SGB VIII. Nachdem das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz unter anderem wegen einer nicht ausreichenden Beteiligung der Länder in der vergangenen Legislaturperiode gescheitert ist, begrüßen wir die bisherige Beteiligung der Länder und Verbände bei der Erarbeitung der Grundlagen für die lange versprochene SGB-VIII-Reform. Es ist gut, dass Ministerin Giffey uns heute angekündigt hat, dass ihr Gesetzentwurf jetzt vorliegt und in die Ressortabstimmung auf Bundesebene geht. Der Erfolg der wichtigen und längst überfälligen großen Reform, insbesondere der Regelungen zum Pflegekinderwesen, zum Kinderschutz und zur inklusiven Lösung, hängt in meinen Augen wesentlich von einer frühzeitigen Beteiligung und einer engen Abstimmung mit den Ländern ab. Allen Beteiligten ist an einer zügigen neuen Fassung des SGB VIII sehr gelegen.
Bei all den drängenden Themen der Gegenwart dürfen wir aber nicht vergessen, auch in die Vergangenheit zu blicken. Die Verschickungskinder haben bis in die 80er Jahre hinein großes Leid erfahren. Teilweise noch im Kleinkindalter wurden sie in Kuren geschickt und wochenlang von ihren Eltern getrennt. Nicht nur der Trennungsschmerz war groß. Für viele Kinder wurde ihre Kur zum Albtraum, der bis heute anhält. Sie mussten ihr Erbrochenes essen, wurden zur Strafe im Keller eingesperrt, durften nachts nicht zur Toilette. Wir haben heute formal den Beschluss gefasst, dass wir das Leid der Verschickungskinder von damals anerkennen. Es bestand zudem Einigkeit darin, dass die Geschehnisse in den Heimen, die Anzahl der Betroffenen und die institutionellen, strukturellen, individuellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen umfassend aufgeklärt werden müssen.“
„Während der vergangenen Wochen wurden die Rechte von Kindern sehr stark eingeschränkt: der Zugang zu Bildung, ihre Chance zu freier Entfaltung und ihre Teilhabe an der Gesellschaft. Diese Entscheidungen haben Erwachsenen getroffen, die Auswirkungen für Kinder kamen erst sehr spät in den Blick. Dabei müssen die Bedürfnisse und die Rechte der Kinder beim staatlichen Handeln zentral im Blick sein. Damit das für die Zukunft sichergestellt wird, müssen die Kinderrechte jetzt möglichst schnell im Grundsetz verankert werden. Als Inhaber eigener Rechte dürfen sie nicht übergangen werden. Bei sie betreffenden Angelegenheiten sind Kinder anzuhören und zu beteiligen. Die Erziehungsaufgabe der Eltern wird dadurch nicht beeinträchtigt, vielmehr muss auch Eltern der Rücken dafür gestärkt werden. Dies gilt nicht nur für die Zeit der Corona-Krise, sondern weit darüber hinaus.“
„Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe leisten gerade in dieser Situation einen unverzichtbaren Beitrag, um die Krise zum Wohle der Kinder und Jugendlichen gut zu bewältigen. Dafür danke ich ihnen! Es ist bemerkenswert, wie pragmatisch und professionell sich die Fachkräfte der Jugendhilfe auf die Situation eingestellt haben, damit Kinder, Jugendliche und ihre Eltern auch weiterhin die Hilfen bekommen, die sie brauchen. Und sie haken nach, wenn es nötig ist. Gerade dort, wo schon vor der Corona-Pandemie hoher Unterstützungsbedarf bestand, ist auch jetzt besondere Aufmerksamkeit geboten. Hier ist unsere gesamte Gesellschaft gefordert, Signale von Kindeswohlgefährdungen wahrzunehmen und an die zuständigen Stellen weiterzugeben. Wir sind uns alle darüber einig, dass wir weiter wachsam bleiben müssen.
Mein größtes Anliegen ist, die Rechte von Kinder und Jugendlichen zu stärken und sie umfassend zu schützen. Zum effektiven Schutz von Kindern und Jugendlichen und zur Sicherstellung des Kindeswohls müssen deshalb im Zusammenhang mit der geplanten Reform des Kinder- und Jugendhilferechts auch über das SGB VIII hinaus alle gesetzlichen Handlungsbedarfe umgesetzt werden, die erforderlich sind. So müssen bestehende Schutzlücken dringend geschlossen werden. Besonders wichtig ist mir dabei, die bundesgesetzliche Klarstellung der Handlungspflicht, wenn die Einbindung des Jugendamtes oder anderer Stellen zur Sicherstellung des Kindeswohls erforderlich ist. Denn kein Signal darf verloren gehen! Nur durch Handlungsklarheit kann es auch Handlungssicherheit geben.“
„Der Stufenplan der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) von Ende April zeigt, dass wir bei unserem Handeln auch besonders das Interesse und das Wohl der Kinder im Blick haben. Bereits zu diesem Zeitpunkt hat die JFMK damit eine vorsichtige und behutsame Rückkehr zur Normalität aufgezeigt. Nach den ersten positiven Ergebnissen aus der Studie des Uniklinikums Heidelberg und seiner Partner zur Rolle von Kindern im Übertragungsgeschehen kann Baden-Württemberg dementsprechend von der dritten zur vierten Stufe des gemeinsamen Plans übergehen und bis spätestens Ende Juni die Kindertageseinrichtungen wieder vollständig öffnen“, sagt Staatssekretär Volker Schebesta, MdL. Er ergänzt: „Solche Schritte sind wichtig, um Familien mit kleineren Kindern eine echte Perspektive geben zu können und auch die Eltern zu entlasten, die in den vergangenen Wochen eine Doppelbelastung schultern mussten. Ebenso ist uns auch der Gesundheitsschutz der pädagogischen Fachkräfte ein sehr wichtiges Anliegen. Deswegen soll in Baden-Württemberg auch eine Strategie für Testungen der eingesetzten Erzieherinnen und Erzieher entwickelt werden.“
„Der Gesetzentwurf für ein neues SGB VIII zur Modernisierung der Kinder- und Jugendhilfe ist soweit fertig, dass wir in Kürze mit der regierungsinternen Abstimmung beginnen können. Das ist ein wichtiger Schritt für mehr Kinderschutz. Der breite Beteiligungsprozess des vergangenen Jahres hat die Basis dafür geliefert. Gemeinsam mit Wissenschaft und der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe, mit der Behindertenhilfe, der Gesundheitshilfe und den Ländern und Kommunen haben wir beraten, welche Verbesserungen nötig sind. Wir wollen einen besseren Kinder- und Jugendschutz, mehr Beteiligung von jungen Menschen, Eltern und Familien. Es geht um die Stärkung von Pflege- und Heimkindern, die Hilfen aus einer Hand für Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung sowie um mehr Prävention vor Ort. Bund und Länder sind hier gemeinsam in der Verantwortung.
Kinderschutz ist auch Gesundheitsschutz. Das ist gerade auch in der Corona-Krise deutlich geworden. Es ist gut, dass die Jugend- und Familienminister der Länder sich für eine schrittweise und verantwortungsvolle weitere Öffnung von Kitas ausgesprochen haben. Die enge Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund ist dabei sehr wertvoll."