Anlässlich der siebten Jahresveranstaltung des Strategiedialogs Automobilwirtschaft Baden-Württemberg in Berlin haben Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die Spitzen des Automobilsektors an den Bund appelliert, die notwendigen Weichenstellungen für eine erfolgreiche Transformation vorzunehmen.
Am Donnerstag, 7. Dezember 2023, hat die siebte Jahresveranstaltung des Strategiedialogs Automobilwirtschaft BW (SDA BW) in Berlin stattgefunden. Im Rahmen des sogenannten Top-Levels-Meetings, das jährlich auf Einladung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann tagt, hat das Land ein Impulspapier (PDF) an die Bundesregierung adressiert. „Wir erleben momentan eine Zeit der Polykrisen – den Krieg in der Ukraine, globale Konflikte und ein schwieriges wirtschaftliches Umfeld. Und nun schwebt auch noch das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts wie ein Damokles-Schwert über der Transformation unserer Automobilwirtschaft. Diese große Herausforderung wird nur gelingen, wenn Wirtschaft und Politik auf eine gemeinsame Zukunfts- und Transformationsagenda setzen“, so Kretschmann. „In unserem Impulspapier appellieren wir daher an den Bund, die notwendigen Weichenstellungen für eine erfolgreiche Transformation vorzunehmen.“
Die Unternehmen bräuchten ein schnelles Signal und Planungssicherheit von der Bundesregierung, so Kretschmann. „Der Bund muss an den Investitionen in Zukunftstechnologien festhalten, die Projekte des Klima- und Transformationsfonds müssen kommen. Denn unser Standort steht in einem harten Wettbewerb mit China und den USA. Beide investieren gerade massiv und sichern sich dadurch Standortentscheidungen.“
Das Impulspapier zeigt konkrete Handlungsempfehlungen auf, um das Vertrauen in den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder zu stärken und Anreize für Investitionen zu schaffen. „Hierfür benötigen wir bezahlbare Energiepreise, Bürokratieabbau auf allen Ebenen und die bestmöglichen Rahmenbedingungen für Forschung und Innovationen“, so Kretschmann.
Der Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, sagte: „Die Automobilwirtschaft ist ein wichtiger industrieller Pfeiler unseres Landes. Damit dies so bleibt, unterstützen wir Unternehmen und Beschäftigte bei der notwendigen Transformation. Aktuell arbeiten wir bei der Aufstellung des Haushalts intensiv an Lösungen für die Förderung von Zukunftsinvestitionen. Und es braucht auch bei der Wirtschaft Anstrengungen, damit wettbewerbsfähige und bezahlbare Elektrofahrzeuge am Standort Deutschland hergestellt werden und Produktion und Beschäftigung gesichert werden.“
EU-Förderpolitik soll auch Transformationsregionen unterstützen
Mit Blick auf die Förderpolitik der Europäischen Union sagte Kretschmann, man müsse auch die europäischen Stärken stärken. Der Befristete Krisen- und Transformationsrahmen TCTF sei für Transformationsregionen wie Baden-Württemberg nur bedingt geeignet. So gingen wichtige Zukunftsinvestitionen regelmäßig an Baden-Württemberg vorbei. „Eine größere Berücksichtigung von innovativen Regionen wie unserem Land würde zu einer Schubkraft für ganz Europa führen. Das EU-Beihilferecht verhindert nicht nur regelrecht, dass sich neue Unternehmen hierzulande ansiedeln – bei uns ansässige Unternehmen verlagern ihre Produktion auch in andere Länder. Diesen Trend müssen wir schnellstmöglich stoppen. Ansiedlungen von neuen Zukunftstechnologien sind zentral für Regionen wie Baden-Württemberg, um mit neuer Wertschöpfung den absehbaren Abbau von Stellen zu kompensieren.“
Auf Einladung von Ministerpräsident Kretschmann nahmen am heutigen Top-Level-Meeting Spitzenvertreterinnen und -vertreter großer Automobilhersteller und Zulieferunternehmen sowie hochrangige Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft teil. Die Landesregierung war vertreten durch Innenminister Thomas Strobl, Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, Umweltministerin Thekla Walker, Verkehrsminister Winfried Hermann und Forschungsministerin Petra Olschowski. Seitens des Bundes nahmen der Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, Robert Habeck, und der Parlamentarische Staatssekretär im Ministerium für Digitales und Verkehr, Michael Theurer, teil. Der EU-Kommissar für Beschäftigung und soziale Rechte, Nicolas Schmit, war dem Treffen live aus Brüssel zugeschaltet.
SDA BW ist erfolgreicher Schulterschluss zwischen Wirtschaft und Politik
„Als Allianz, die sich der konkreten Lösung von Herausforderungen verpflichtet hat, haben wir uns mit dem SDA BW schon vor fast sieben Jahren auf den Weg gemacht. Dieses Format ist ein gutes Beispiel für einen erfolgreichen Schulterschluss zwischen Wirtschaft und Politik“, so Ministerpräsident Kretschmann. Als Landesregierung ebne man politisch den Weg hin zu einer erfolgreichen Transformation auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene. „Mit den fachlich betroffenen Ministerien haben wir als erstes Land eine Weiterbildungsoffensive auf den Weg gebracht. Wir bleiben am Fachkräftethema dran und werden mit unserer Fachkräfteinitiative wo notwendig Lücken schließen. Wir rollen unsere aktive Ansiedlungsstrategie aus und arbeiten weiter an unserer digitalen Flächendatenbank mit begehrten Gewerbeflächen für interessierte Unternehmen. Auch beim Ausbau der Erneuerbaren Energien sind wir auf einem guten Weg: Die Windkraft nimmt in Baden-Württemberg richtig Fahrt auf und den Ausbau der Solarkraft haben wir verdoppelt. In die Wasserstofftechnologie investieren wir seitens des Landes eine halbe Milliarde Euro. Außerdem schließen wir in ganz Europa Wasserstoffpartnerschaften. Bei der Ladeinfrastruktur liegt Baden-Württemberg an der Spitze. Wir brauchen aber einen landes- und EU-weiten Rollout von Infrastruktur für die E-Mobilität. Nicht zuletzt packen wir das Thema Entbürokratisierung an – mit einem neu aufgestellten Normenkontrollrat, einer neuen Entlastungsallianz und einem Masterplan für die digitale Transformation der Verwaltung.“
Letter of Intent zur Direct Air Capture aus BW unterzeichnet
Im Rahmen der Veranstaltung unterzeichneten Ministerpräsident Kretschmann, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, Lutz Meschke, und das Geschäftsführende Vorstandsmitglied des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW), Prof. Dr. Frithjof Staiß, einen Letter of Intent zu Direct Air Capture (DAC) aus Baden-Württemberg (PDF). Mithilfe der technologischen Innovation DAC kann CO2 aus der Atmosphäre entnommen werden. Anschließend kann dieses etwa als Rohstoff für nachhaltige Kraftstoffe oder Kunststoffe nutzbar gemacht oder im Boden gespeichert werden. Diese innovative Technologie kann fortan neue Geschäftsfelder für Unternehmen aus Baden-Württemberg erschließen und eine wichtige Stellschraube bei der Bekämpfung des Klimawandels sein. „Entscheidend für den Markterfolg von DAC aus Baden-Württemberg wird auch der zielgerichtete Technologietransfer von der angewandten Forschung in die Industrie sein“, so Prof. Dr. Staiß. „Wir unterstützen als ZSW diesen Prozess mit der produktorientierten Entwicklung von DAC-Verfahren sowie Dialogformaten, mit denen Unternehmen aus Baden-Württemberg in der Breite für die Technologie aktiviert werden.“
Weitere Stimmen zur siebten Jahresveranstaltung des SDA BW
„Nur durch intensiven Austausch zwischen Wissenschaft und Wirtschaft gelingt es, neue Technologien schnell in die Anwendung zu bringen. Vor allem aber brauchen wir einen ehrlichen Umgang mit den Herausforderungen, dialogbereite Partner sowie positive Botschaften, um einen gesellschaftlichen Konsens für den notwendigen Wandel erreichen zu können. Der Strategiedialog Automobilwirtschaft bietet uns dafür einen guten Rahmen. Wir konnten unter anderem gemeinsam Handlungsempfehlungen für die Erhöhung akademischer MINT-Fachkräfte erarbeiten und sind aktuell dabei diese umzusetzen. Dazu gehört auch eine bundesweite Kampagne, die wir im Frühjahr 2024 starten, um für das hervorragende Studium und die anschließenden vielseitigen Karrieremöglichkeiten in Baden-Württemberg zu werben.“
„Die automobile Wertschöpfung verändert sich mit immer größerer Dynamik und Intensität. Gerade Baden-Württemberg als traditionsreicher Automobilstandort ist davon massiv betroffen. Die Unternehmen, vor allem der Mittelstand, leiden unter hohen Energiepreisen und einem enormen Bürokratieaufwand. Wirtschaftspolitik muss wieder in den Fokus rücken. Notwendig ist eine Politik für Wachstum und wirtschaftliche Dynamik, eine Politik, die die Rahmenbedingungen für Investitionen und Innovationen deutlich verbessert.“
„Die Transformation der Automobilwirtschaft ist ein Prozess, den es aktiv zu gestalten gilt. Der Strategiedialog von Baden-Württemberg ist dafür ein guter Rahmen, um die die Automobilwirtschaft bei den Herausforderungen zu begleiten und zu unterstützen. Auf Bundesebene arbeiten wir mit Hochdruck an verschiedenen Stellschrauben: Nach wie vor ist dabei der Ausbau der Tank- und Ladeinfrastruktur – insbesondere der Aufbau des Deutschlandnetzes – unerlässlich, um unser Ziel von 15 Millionen E-Autos bis 2030 zu erreichen. Neben Laden spielt für den Verbraucher der Preis eine wichtige Rolle, ich erhoffe mir durch die stetige Verbesserung der Rahmenbedingungen auch Verbesserungen bei der angebotsseitigen Kostenstruktur."
„Mercedes-Benz hat es sich zur Aufgabe gemacht, das weltweit steigende Bedürfnis nach individueller Mobilität auf nachhaltige Weise zu erfüllen. So wollen wir unseren Beitrag leisten für den Wandel hin zu einer CO2-neutralen Gesellschaft. Schon heute haben wir eines der breitesten Angebote an Elektroautos und werden es in den nächsten Jahren mit faszinierenden und effizienten Fahrzeugen weiter ausbauen. Zudem investieren wir massiv in den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Unter anderem wollen wir bis Ende des Jahrzehnts weltweit mehr als 10.000 eigene Schnellladepunkte installieren. Für einen zügigen Hochlauf der E-Mobilität brauchen wir die richtigen Rahmenbedingungen, über die wir in enger Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik beraten.“
„Porsche steht für Innovationen und die Entwicklung von Zukunftstechnologien. Auch im Bereich der Nachhaltigkeit. Deshalb freuen wir uns darauf, das Direct-Air-Capture-Verfahren künftig gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg und weiteren Partnern vorantreiben zu können. DAC kann weltweit zu einer wichtigen Klima-Technologie werden, wenn wir dafür gemeinsam den Weg zur industriellen Produktion und Anwendung ebnen.“
„Die neuesten Zahlen aus der Strukturstudie BW 2023, die jüngst von e-mobil vorgestellt wurden, sind besorgniserregend für den Automobilstandort Baden-Württemberg. Laut der Studie werden bis 2040 bis zu 30 Prozent der Arbeitsplätze in Gefahr sein, das Optimierungspotenzial durch generative Künstliche Intelligenz ist dabei noch nicht eingepreist. Das sollte uns keine Angst bereiten, vielmehr müssen wir die generative KI als Chance begreifen, um den Standort Baden-Württemberg auszubauen und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Damit die Automobilwirtschaft in Baden-Württemberg auch weiterhin stark ist und beliebte, schnelle und schöne Autos bauen kann. Von den Unternehmen erwartet die IG Metall Baden-Württemberg, dass sie die Beschäftigten auf allen Ebenen qualifiziert, damit die neue generative KI genutzt und kombiniert werden kann. Dabei sollte es selbstverständlich sein, dass die Beschäftigten hier vor Ort qualifiziert werden und somit die Arbeitsplätze hier zukunftssicher sind. Nur so kann der Wohlstand erhalten bleiben. Die Politik muss dabei rechtliche Rahmenbedingungen schaffen und bei Themen wie Datenschutz ein gesundes Mittelmaß wählen und nicht überregulieren. Das schadet sonst der ganzen Industrie und dem Wirtschaftsstandort.“
„Der InnovationsCampus Mobilität der Zukunft (ICM) ist eine der größten Initiativen zur Förderung von Forschung in Mobilität und Produktion in Deutschland und stellt eine einzigartige Plattform für die Forschenden in Baden-Württemberg dar. Disziplin- und hochschulübergreifend entwickeln wir mit ca. 300 Forscherinnen und Forschern Lösungen für eine emissionsfreie und ressourcenschonende Mobilität und Produktion. Wir verfolgen beispielsweise die Vision des 3D-Drucks von E-Antrieben, designen hocheffiziente E-Motoren ohne seltene Erden, erforschen flexible und wandelbare Produktion und arbeiten an selbstlernenden und sicheren Softwaresystemen. Nahezu täglich erleben wir dabei, wie durch Innovationen und Forschung wirtschaftlicher Erfolg unter Einhaltung ökologischer Verantwortung möglich wird.“
Der Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg
Alleine in Baden-Württemberg sind knapp 500.000 Arbeitsplätze von der Transformation der Automobilwirtschaft betroffen – nicht nur bei den großen Automobilherstellern, sondern auch bei den kleinen und mittleren Unternehmen im Zuliefererbereich, im Handel und in Werkstätten. Das Ziel des Strategiedialogs Automobilwirtschaft Baden-Württemberg (SDA BW) ist es, das Land zum Vorreiter einer klima- und umweltschonenden Mobilität und da-mit auch bei neuen Technologien zu einem weltweit führenden Automobil- und Mobilitätsstandort zu machen. Dafür hat die Landesregierung schon 2017 dieses Dialogformat mit der Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zur Mobilität der Zukunft gestartet. Der SDA BW lebt von der intensiven Zusammenarbeit von rund 300 Partnern aus ganz Baden-Württemberg. Im Spitzengremium sind neben der Landesregierung viele Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft vertreten.
Letter of Intent zu Direct Air Capture (DAC) aus Baden-Württemberg
Sechster Fortschrittsbericht Strategiedialog Automobilwirtschaft BW, Dezember 2023 (PDF)
Publikationsübersicht 2023 Strategiedialog Automobilwirtschaft BW (SDA)