Um Kinder in Baden-Württemberg noch besser vor sexueller Gewalt und Missbrauch zu schützen, setzt die Landesregierung vor dem Hintergrund des Missbrauchsfalls in Staufen eine hochkarätig besetzte Kommission aus Ministerien und externen Experten ein.
Kinder und Jugendliche in Baden-Württemberg müssen nachhaltig und dauerhaft vor Gewalt geschützt werden. Um dies – gerade vor dem Hintergrund des jahrelangen Missbrauchs eines Jungen in Staufen – in der Umsetzung zu verbessern, hat der Ministerrat eine „Kommission Kinderschutz zur Aufarbeitung des Missbrauchsfalls in Staufen und zur Weiterentwicklung des Kinderschutzes“ eingerichtet. Das interministerielle Expertengremium unter Vorsitz des Ministeriums für Soziales und Integration soll es sich zur Aufgabe machen, eine vorbehaltslose und umfassende Analyse des Handelns aller beteiligten Institutionen und der rechtlichen Bestimmungen auf mögliche Defizite im Kinderschutz im Land vorzunehmen und binnen eines Jahres ein Konzept für Verbesserungen und zur Weiterentwicklung vorzulegen.
Rolle des Staates als Wächter und Beschützer von Kindern
„Kinder sind das Wertvollste, was unsere Gesellschaft zu bieten hat. Sie sind unsere Zukunft. Sie sind aber zugleich auch die Schwächsten in der Gesellschaft und bedürfen eines besonderen Schutzes. Die schrecklichen und unfassbaren Sexualverbrechen im Fall Staufen, bei dem das Vertrauen eines Kindes in seine engsten Bezugspersonen auf das Grauenhafteste zerstört worden ist, haben uns alle zutiefst erschüttert. Es macht mich fassungslos, dass Menschen, dass eine Mutter zu so einem Verbrechen fähig sein können. Aber es zeigt eben auch, dass die Rolle des Staates als Wächter und Beschützer unserer Kinder von überragender Bedeutung ist“, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Thomas Strobl im Anschluss an die Kabinettssitzung.
„Dass ein kleiner Junge über Jahre auf schwerste Art und Weise von seiner eigenen Mutter und deren Lebensgefährten sexuell missbraucht wurde und auch Dritten zum Missbrauch überlassen wurde, ist abscheulich und nicht in unserer Vorstellungs-DNA“, sagte Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha. „Die Lehre aus diesem Verbrechen muss und kann nur sein, alles dafür zu tun, die Kinder bei uns in Baden-Württemberg künftig noch besser vor Gewalt und Missbrauch zu schützen. Wir werden in der Kommission eine umfassende Analyse der Verfahrensstrukturen im Land vornehmen und daraus Handlungsbedarfe für eine weitere Verbesserung des Kinderschutzes erarbeiten.“
Kommission setzt sich aus Vertretern von fünf Ministerien und externen Experten zusammen
Bereits nach Bekanntwerden des Staufener Missbrauchfalls hat die Landesregierung angekündigt, im Lichte dieses Verbrechens die landesweiten Behörden- und Verfahrensstrukturen zu durchleuchten. Grundlage dafür sollte der Bericht der so genannten Vor-Ort-Arbeitsgruppe aus Oberlandesgericht Karlsruhe, Amtsgericht Freiburg und Landratsamt Breisgau-Hochschwarzwald sein, der inzwischen vorliegt.
Die jetzt eingesetzte Kommission Kinderschutz setzt sich zu gleichen Teilen aus je einem Vertreter beziehungsweise einer Vertreterin des Sozial-, Innen-, Justiz-, Kultus- und des Staatsministeriums sowie aus fünf hochkarätige Expertinnen und Experten aus Praxis und Wissenschaft zusammen. Die Auftaktsitzung der Kommission ist für den 9. November 2018 vorgesehen.
„Der Schutz der Kinder steht für uns an oberster Stelle. Es ist für alle Beteiligten immer eine Gratwanderung zu prüfen, ob, wann und wie in das Grundrecht der Eltern und Erziehungsberechtigten zum Schutz des Kindes eingegriffen werden kann. Ich verspreche mir von der Kommission entsprechende Empfehlungen für alle an solch einem Verfahren beteiligten Institutionen und Personen“, sagte Innenminister Strobl.
„Politik und Gesellschaft müssen alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, um Gewalt gegen und sexuellen Missbrauch an Kindern zu verhindern“, sagte Sozial- und Integrationsminister Lucha. „Dazu gehört auch, dass wir die Kommunikationsstrukturen aller an den Kinderschutz-Verfahren Beteiligten genau unter die Lupe nehmen und nachbessern. Die Richtschnur dabei sollte sein: Jeder muss künftig von jedem alles Wichtige wissen.“ Lucha verwies in diesem Zusammenhang auf die „Ampel der Achtsamkeit“, die Teil des Kinderschutzkonzeptes ist, das Sozialministerium, Kommunale Landesverbände und Landesjugendamt (KVJS) bereits Ende 2017 gemeinsam beschlossen hatten.
Mitglieder der Experten-Kommission
Die beteiligten Ministerien haben einvernehmlich folgende Expertinnen und Experten für die Kommission Kinderschutz benannt:
- Professor Dr. Jörg M. Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie Universitätsklinikum Ulm
Professor Dr. Jörg M. Fegert ist Kinder- und Jugendpsychiater, Psychotherapeut und Hochschullehrer und insbesondere im Kinderschutz mit großer Expertise ausgestattet. Von 2010 bis 2012 war er als Experte Mitglied am Runden Tisch sexueller Kindesmissbrauch und leitete die wissenschaftliche Begleitforschung der Anlaufstelle der Unabhängigen Beauftragten zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs. Er leitet das „Kompetenzzentrum Kinderschutz in der Medizin“ in Baden-Württemberg (com-can). Er ist u.a. Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Familienfragen beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. - Klaus Pflieger, Generalstaatsanwalt a.D.
Generalstaatsanwalt a.D. Klaus Pflieger kennt die Ermittlungsbehörden in Bund und Land aus eigener Tätigkeit in Schlüsselpositionen von der Basis bis zur Spitze. Er ist als erfahrener Ermittler und Behördenchef sowie langjähriger Vorstandsvorsitzender des Verbands der Bewährungs- und Straffälligenhilfe Württemberg e.V. ausgewiesener Experte auf den Gebieten der Strafverfolgung, der Verwaltung und Resozialisierung. - Petra Sandles, Vizepräsidentin des Bayerischen Landeskriminalamtes.
Vizepräsidentin Sandles war in verschiedenen operativen und strategischen Bereichen der Kriminalitätsbekämpfung tätig. Für die Arbeit der Kommission Kinderschutz ist gerade dieser breite und vor allem auf verschiedenen Ebenen entstandene Erfahrungshorizont von großem Wert. - Professorin Dr. Sabine Walper, Deutsches Jugendinstitut (DJI) München
Professorin Dr. Walper ist Diplom-Psychologin und seit 2012 Forschungsdirektorin beim Deutschen Jugendinstitut in München, das auf dem Bereich der Kinder-, Jugend- und Familienforschung über langjährige Erfahrung verfügt. Sie war mehrere Jahre stellvertretende Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH), das vom Bundesfamilienministerium eingerichtet wurde, um den Schutz von Kindern vor Vernachlässigung und Misshandlung zu verbessern. - Gerd Weinreich, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Oldenburg a.D.
Vorsitzender Richter a.D. Weinreich war langjähriger Vorsitzender eines Familiensenats und arbeitet jetzt als Rechtsanwalt. Er ist Herausgeber und Autor zahlreicher familienrechtlicher Publikationen. Außerdem ist er Mitglied in der Wissenschaftlichen Vereinigung für Familienrecht und im Deutschen Familiengerichtstag.