Den Landesforschungspreis 2022 erhalten die Physikerin Prof. Dr. Anke-Susanne Müller vom Karlsruher Institut für Technologie und Prof. Dr. Stefan Pfister vom Kindertumorzentrum Heidelberg. Der Preis für mutige Wissenschaft geht nach Konstanz und Tübingen.
Die Physikerin Prof. Dr. Anke-Susanne Müller vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und Prof. Dr. Stefan M. Pfister vom Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ) erhalten den Landesforschungspreis Baden-Württemberg 2022. Die mit jeweils 100.000 Euro verbundene Auszeichnung für Spitzenleistungen in der Grundlagenforschung und in der Angewandten Forschung gilt als höchstdotierter Forschungspreis eines Bundeslandes. Den Preis für mutige Wissenschaft teilen sich die Wirtschaftswissenschaftlerin Dr. Katrin Schmelz von der Universität Konstanz und die Archäologin Dr. Sireen El Zaatari von der Universität Tübingen.
„Prof. Dr. Anke-Susanne Müller und Prof. Dr. Stefan M. Pfister zählen zu den führenden Forschungspersönlichkeiten in Baden-Württemberg. Beide erfahren weltweit allerhöchste Hochachtung. Mit dem Landesforschungspreis drücken wir unsere Anerkennung für ihre exzellente wissenschaftliche Arbeit und ihr Engagement aus“, sagte Wissenschaftsministerin Petra Olschowski anlässlich der Preisverleihung am Donnerstag, 27. Oktober 2022, in Stuttgart. „Da Wissenschaft, Forschung und Innovation immer auch vom Mut leben, neue Wege einzuschlagen, den Blick auf ungewöhnliche Zusammenhänge zu werfen und die eigenen Ideen auch in ungewohnten Allianzen umzusetzen, belohnen wir Dr. Katrin Schmelz und Dr. Sireen El Zaatari zudem mit dem Preis für mutige Wissenschaft.“
Die Preisträgerinnen und Preisträger
Prof. Dr. Anke-Susanne Müller (50) vom Institut für Beschleunigerphysik und Technologie des KIT und ihr multidisziplinäres Team haben bahnbrechende Beiträge zur Erzeugung von hochintensiven, ultrakurzen Elektronenpaketen in Teilchenbeschleunigern geleistet. Teilchenbeschleuniger sind unverzichtbare Werkzeuge in der Grundlagenforschung, für die angewandte Forschung und für Diagnose und Therapie in der Medizin. Der Schlüssel zur Realisierung der nächsten oder sogar übernächsten Generation von Beschleunigern ist ein tiefgreifendes Verständnis der nichtlinearen Dynamik von Teilchenstrahlen fernab des Gleichgewichts. Müller und ihr Team sind Pioniere in der präzisen Vermessung und Modellierung solcher Strahlen. Beeindruckt hat die Kommission unter anderem die dazu notwendige Entwicklung von Hardware- und Softwarekomponenten, die es erlauben, Teilchenstrahlen zum Beispiel auch mit Hilfe von künstlicher Intelligenz zu kontrollieren. Müller war die treibende Kraft hinter diesen technologischen Fortschritten und den dadurch ermöglichten physikalischen Erkenntnissen, von denen bereits viele Beschleuniger in Europa profitieren. Anke-Susanne Müller fasst es selbst folgendermaßen zusammen: „Ziel unserer Arbeit ist es, die nichtlineare Dynamik von Elektronenstrahlen zu beherrschen und damit Teilchenbeschleuniger stabiler, kompakter und auch energieeffizienter zu machen. Grundlagenforschung in der Beschleunigerphysik kommt hier direkt der Anwendung zugute.”
Prof. Dr. Stefan Pfister (48) wird für seine herausragenden Beiträge zur Erforschung und Entwicklung neuer Diagnose- und Therapieverfahren bei kindlichen Hirntumoren geehrt. Mit seinem Team am Hopp-Kindertumorzentrum KiTZ, am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) hat er mehrere Software Pakete mit künstlicher Intelligenz entwickelt, durch die Hirn- und andere Tumoren aufgrund ihrer epigenetischen Eigenschaften sehr präzise molekular klassifiziert werden können – in vielen Fällen deutlich besser als mit herkömmlichen Methoden der pathologischen Diagnostik. Diese dienen nun als Grundlage, dass Patienten überall auf der Welt der jeweils besten verfügbaren Therapie zugeführt werden können. Die neue Klassifikations-Methode hat inzwischen sehr weitgehenden Eingang in die Klassifikationen der Weltgesundheitsorganisation WHO für Hirntumoren und für Pädiatrische Tumoren gefunden, die Pfister als Mitherausgeber begleiten durfte. Diese Krebsarten-übergreifenden Arbeiten basieren direkt auf Vorarbeiten der Gruppe zu den molekulargenetischen Grundlagen verschiedener Hirntumorarten und anderer Tumoren im Kindesalter. Dabei entdeckte die Gruppe um Pfister unter anderem zwei neue Gene, die zu erblichen Formen von Hirntumoren führen können. Mehrfach gelang es auch, Erkrankungsmechanismen aufzudecken, welche für verschiedene Krebsarten relevant sind. Über seine Arbeit sagt Stefan M. Pfister selbst: „Krebs bei Kindern ist immer noch vergleichsweise wenig erforscht, aber die vergangenen Jahre haben bereits gezeigt, was wir mit modernen molekulargenetischen Analysen, KI-gestützten Methoden und patientenspezifischen Tumormodellen für unsere jungen Patientinnen und Patienten erreichen können Diese bergen ganz neue Chancen für eine moderne Kinderkrebsmedizin der Zukunft. Und durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit unseren regionalen, nationalen und internationalen Partnern möchte ich dazu beitragen, dass krebskranke Kinder weltweit auch Zugang dazu erhalten.“
Dr. Katrin Schmelz (44) hat sich schon zu Pandemiebeginn auf kontroverse Fragen zur Corona-Politik eingelassen. Mit ihren Erkenntnissen zur Akzeptanz von freiwilligen oder verpflichtenden Maßnahmen begab sie sich in circa 300 internationalen Medienauftritten in die hitzigen Diskussionen entgegengesetzter Corona-Standpunkte, allen voran zur Impfpflicht. Ihre Forschung stellt die Grundannahmen ihrer Disziplin in Frage: Sie zeigt, dass äußere Anreize und Pflichten manchmal kontraproduktiv sein können, weil Menschen soziale Motivationen haben, die durch Anreize und Druck untergraben werden können. Schmelz bringt psychologische Erkenntnisse und unkonventionelle Fragen in die Wirtschaftswissenschaften ein. Ihre Forschung trägt zu einem neuen Verhaltensmodell für die Politikgestaltung bei. Dabei ist es ihr Anliegen, wissenschaftsbasierte politische Entscheidungen zu ermöglichen und deren Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu verbessern. Ihre empirischen Ergebnisse lösten sowohl bei Befürworter:innen als auch bei Gegner:innen der Corona-Regeln Unmut aus, was in persönlichen Beschimpfungen und Bedrohungen aus beiden Lagern gipfelte. Katrin Schmelz sagt: „Die Leute wollten, dass ich mich positioniere. Meine Forschung hat aber sowohl das Pro als auch das Contra der Maßnahmen aufgezeigt, insbesondere bei der Impfpflicht. Ich bin Wissenschaftlerin und keine Politikerin. Politikerinnen und Politiker sowie Bürgerinnen und Bürger brauchen fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse, um zu verstehen und abwägen zu können, welche Auswirkungen die zur Debatte stehenden Maßnahmen haben. Das gilt auch für andere gesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimawandel. Deshalb müssen wir die entscheidenden Fragen stellen und die Wahrheiten, die unsere Forschung hervorbringt, vermitteln – auch wenn sie manchmal unbequem sind."
Dr. Sireen El Zaatari (45) ist im Libanon aufgewachsen, als Frau in einer vom Krieg gebeutelten und zunehmend restriktiv und chaotisch werdenden Gesellschaft. Trotz all dieser Probleme entschied sie sich, Archäologin zu werden und die durch den Krieg beendete paläolithische Forschung im Libanon wiederzubeleben. Dafür musste sie ihr Land verlassen, um in den USA zu studieren. Über befristete Anstellungen in Leipzig, Athen und Beirut führte sie ihr Weg schließlich an die Universität Tübingen. Sie ist unter anderem Empfängerin eines ERC Consolidator Grants (REVIVE) und arbeitet mit ihrem internationalen Team daran, die paläolithische und paläoanthropologische Forschung im Libanon wiederaufzubauen. Dafür führt sie unter schwierigen politischen und sozialen Bedingungen Feldstudien durch. Trotz der widrigen Umstände hält sie an ihren Forschungszielen konsequent fest und erzielte stets hervorragende Forschungsergebnisse. Diese kommentiert Sireen El Zaatari so: „Wir sind noch in einem frühen Stadium des Projekts, aber wir konnten uns bereits vergewissern, dass es im Libanon ein großes Potenzial für die Forschungsarbeiten und neue Funde gibt – trotz aller Veränderungen der Landschaft, die in den vergangenen fast 50 Jahren vorgenommen wurden. Jetzt, zu Beginn unserer Feld- und Fundstudien, sind wir sehr zuversichtlich, dass wir unser Wissen über die Wanderungen unserer Vorfahren über die Kontinente der Alten Welt – Afrika, Asien und Europa – erweitern können.“
Landesforschungspreis Baden-Württemberg
Der Landesforschungspreis würdigt seit 1989 alle zwei Jahre herausragende wissenschaftliche Leistungen aller Disziplinen. Bisherige Preisträgerinnen und Preisträger kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen – von der Biologie über die Philologie bis zur Finanzwissenschaft. Als höchstdotierter Forschungspreis eines Bundeslandes werden je 100.000 Euro an eine Forscherin oder einen Forscher aus der Grundlagenforschung und eine Wissenschaftlerin oder einen Wissenschaftler aus der anwendungsbezogenen Forschung vergeben. Die Preisträgerinnen und Preisträger erhalten die Möglichkeit, ein Forschungsvorhaben ihrer Wahl anzugehen.
Preis für mutige Wissenschaft
Mit dem Preis für mutige Wissenschaft unterstützt das Land Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Mut im Denken und Handeln beweisen, unkonventionelle Ansätze verfolgen oder auf Umwegen herausragende Forschungsleistungen erbracht haben. Der mit 30.000 Euro verbundene Preis soll ein Signal dafür setzen, wie sehr innovative Wissenschaft davon lebt, dass Forscherinnen und Forscher auch Rückschläge oder Scheitern in Kauf nehmen – und wie wichtig die Bereitschaft zum Risiko ist. Der Preis wird seit 2016 vergeben.
Beide Auszeichnungen werden in Kooperation des Ministeriums mit der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Landesakademie von Baden-Württemberg) vergeben. Die Zuständigkeit der Akademie gilt insbesondere für die Ausschreibung, das Nominierungsverfahren sowie die Bewerbung der Preise. Der Präsident der Akademie leitet die Sitzung des Auswahlausschusses, der den Fördervorschlag an das Ministerium gibt.
Landeslehrpreis 2021
Das Land verleiht den Landesforschungspreis und den Preis für mutige Wissenschaft im jährlichen Wechsel mit dem Landeslehrpreis, mit dem die besten Hochschullehrenden ausgezeichnet werden. Aufgrund der Einschränkungen während der Pandemie wurde ein Teil der Preisträgerinnen und Preisträger von 2021 im Rahmen der Verleihung des Landesforschungspreises gewürdigt.