Das Land fördert vier Projekte zur Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch. Mit der Reduzierung von Tierversuchen ist ein wichtiges Tierschutzziel zu erreichen.
„Es ist unser erklärtes Ziel, die Zahl und die Belastung von Versuchstieren in Baden-Württemberg weiter zu verringern. Daher fördern wir auch in diesem Jahr wieder geeignete Projekte zur Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch“ sagte der Minister für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Peter Hauk.
Baden-Württemberg ist ein wichtiger Standort der biomedizinischen Forschung. Dies bringt es auch mit sich, dass in vielen Forschungseinrichtungen Tierversuche durchgeführt werden. In manchen Bereichen, beispielsweise in der angewandten medizinischen Forschung, gibt es noch keine ausreichenden Alternativen. Bestimmte Versuche, beispielsweise zur Prüfung der Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneistoffen, seien gesetzlich vorgeschrieben. „Jeder Versuchsantrag wird von den zuständigen Behörden geprüft und nur bei Erfüllung der strengen rechtlichen Voraussetzungen genehmigt. Wir stehen aber auch zu unserer Verantwortung, Alternativen zu entwickeln. Daher fördern wir gezielt die Entwicklung und Anwendung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch in der wissenschaftlichen Forschung und Ausbildung“, betonte Minister Hauk.
Vier Projekte erhalten eine Förderung
Eine Bewertungskommission aus Vertreterinnen und Vertretern des Tierschutzes und der Wissenschaft hat in der diesjährigen Ausschreibung vier Forschungsprojekte ausgewählt, die eine Förderung erhalten:
Projektleitung: Dr. med. David Messerer
Institut für Klinische und Experimentelle Trauma-Immunologie, Universitätsklinikum Ulm
Sepsis (Blutvergiftung) ist ein hochprävalentes Krankheitsbild mit weltweit 50 Millionen Erkrankten beziehungsweise elf Millionen Todesfällen jährlich. Ein wichtiger Aspekt der Pathophysiologie von Sepsis ist die überschießende Immunantwort des Patienten auf Bakterien, Viren und weitere Pathogene, welche auch durch die aktuelle Coronaviruspandemie weiter in den Fokus gerückt ist. Das Projekt adressiert direkt den Bedarf einer gezielten Immunmodulation während einer Sepsis. Die Umsetzung erfolgt dabei in einem durch den Antragsteller entwickelten Ex-Vivo-Vollblutmodell in parallelem Abgleich mit Untersuchungen an Blutproben von Patienten mit Sepsis. Insgesamt soll in diesem Antragsvorhaben ein Verfahren etabliert werden, um immunologische Therapieansätze durch Nutzung eines tierversuchsfreien Vollblutmodells translational relevant zu erforschen.
Projektleitung: Prof. Dr. Ute Schepers
Institut für Funktionelle Grenzflächen, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Ziel des Projektes ist die Etablierung eines Chips, mit dessen Hilfe das Verhalten menschlicher Zellen auf potenzielle Medikamente anhand der natürlichen Physiologie vorausgesagt werden kann. Entnommene Zellproben von Patienten wie Tumorgewebe sollen im VitaPrint Chip kultiviert werden. So können personalisierte Darmmodelle erzeugt werden, die es ermöglichen, geeignete Medikamente speziell auf den Patienten oder einer Krankheit angepasst zu entwerfen, um bisher verwendete Tierversuchsmodelle zu vermeiden. Das Modell hat ein erhebliches Potenzial für die Arzneimittelentdeckung, Diagnostik und regenerative Medizin.
Projektleitung: Dr. Christian Schmees
Tumorbiologie, Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen
Im dem Projekt sollen patientenabgeleitete Mikrotumormodelle aus Frischgewebe nach Entfernung von Tumoren des Zentralen Nervensystem isoliert, auf verschiedenen Ebenen eingehend charakterisiert und als Modellsystem für individualisierte Wirkstofftests validiert werden. Langfristig sollen diese Wirkstofftests die parallelisierte Testung neuartiger Wirkstoffe im Vergleich zu Standardtherapien ermöglichen und somit einen Beitrag zur Ausweitung und Implementierung personalisierter Behandlungskonzepte in der Tumortherapie leisten.
Projektleitung: Priv.-Doz. Dr. Anette Affolter
Universitätsklinik für Hals- Nasen und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie
Universität Heidelberg – Medizinische Fakultät Mannheim
Um das Therapieansprechen bei Patienten mit Kopf- und Halstumoren zu verbessern, ist es notwendig, die Tumore und ihre Umgebung besser zu charakterisieren, mögliche molekulare Marker zu identifizieren und potentielle Zielstrukturen für innovative Therapiestrategien zu testen. Im Rahmen des geplanten Projektes soll ein Kombinationsmodell aus Kopf-Hals-Plattenepithelkarzinom-Gewebeproben und Bindegewebsäquivalenten als 3D-organotypische Ko-Kultur optimiert und verfeinert werden. Dieses kombinierte Modell stellt einen bisher einmaligen Ansatz zur Generierung eines Testsystems für Tumorentitäten dar. Es vermittelt ein besseres Verständnis der grundlegenden Prinzipien bei Therapieversagen sowie eine effizientere Etablierung und Optimierung von individualisierten Therapiekonzepten. Es ist zu erwarten, dass ein grundsätzlicheres Verständnis der komplexen Vorgänge bei Therapieresistenz über den Fachbereich der Kopf-Hals-Onkologie hinaus auch für andere Tumorentitäten mit analoger Ätiologie und Behandlungskonzepten von hoher wissenschaftlicher und klinischer Relevanz sein wird.
„Allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich um eine Förderung beworben haben, möchte ich ausdrücklich für ihr Engagement danken. Sie leisten mit Ihrer Arbeit einen wertvollen Beitrag zum Tierschutz“, so Hauk.
Das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz fördert jährlich Arbeiten zur Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch. Die Forschungsprojekte müssen in Baden-Württemberg oder unter Beteiligung von Einrichtungen aus Baden-Württemberg durchgeführt werden.