Anlässlich des runden Jubiläums feiert Deutschland 50 Jahre Tierschutzgesetz – ein Gesetz zwischen Tierschutz und Tiernutzung.
Am 24. Juli 1972, vor genau 50 Jahren, wurde das Tierschutzgesetz (TierSchG) im Bundesgesetzblatt verkündet. Es löste das Reichstierschutzgesetz von 1933 ab und entstand aus dem ethischen Tierschutzgedanken heraus. Das neue Tierschutzgesetz bot den Tieren nicht ausschließlich Schutz ihres Wohlbefindens, sondern auch erstmals Schutz ihres Lebens an sich. Es gilt für alle Tiere vom Insekt bis zum Primaten. Es betrifft somit 214 Mllionen landwirtschaftlich genutzte Tiere, circa 35 Millionen Heimtiere, 42 Millionen Versuchstiere, 200.000 Zootiere sowie eine unbekannte Zahl von Wildtieren in Deutschland. Es regelt unter anderem die Haltung und das Töten von Tieren sowie Tierversuche und gibt die Möglichkeit, genauere Vorschriften für den Umgang mit Tieren zu erlassen.
Vor dem Hintergrund bestehender, nicht als verhaltensgerecht einzustufenden, Haltungsformen stellt sich die Frage, ob das Tierschutzgesetz die Tiere nach seinem Wortsinn tatsächlich schützt oder ob sich dahinter vielmehr, wie häufig unterstellt, ein Tiernutzgesetz verbirgt.
Kein Schmerz, Leiden oder Schaden ohne vernünftigen Grund
„Wenn man über das Tierschutzgesetz spricht, muss man den Grundsatz des §1 TierSchG hervorzuheben. Er enthält einen wesentlichen Charakter des Rechtstextes und unterscheidet das deutsche Tierschutzgesetz gegenüber vergleichbaren Gesetzen aus Österreich und der Schweiz“, erklärt die Landesbeauftragte für Tierschutz Dr. Julia Stubenbord am 22. Juli 2022 in Stuttgart. Im zweiten Satz heiß es: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“
Als sogenannter unbestimmter Rechtsbegriff bedarf der „vernünftige Grund“ naturgemäß einer Auslegung, die sich im Laufe der Zeit verändert hat. So ist das Töten eines Tieres um es zu essen weiterhin noch ein vernünftiger Grund, das Töten allein aus wirtschaftlichen Abwägungen, wie es bei den männlichen Küken praktiziert wurde, seit einigen Jahren nicht mehr und somit verboten.
Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert
Seit nun 20 Jahren ist Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert und hat damit Verfassungsrang. „Die Staatszielbestimmung erlaubt eine wesentlich tierfreundlichere Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe, die zahlreich im TierSchG vorkommen. Das Tierschutzgesetz gilt für jedes Tierindividuum und kann vor Gericht eingeklagt werden“, resümiert Stubenbord. Wurde der Schutzgedanke des Gesetzes früher automatisch relativiert, weil dem Schutzziel Grundrechte mit Verfassungsrang, wie die Freiheit Wissenschaft entgegenstanden, ist Tierschutz heutzutage selbst ein Grundrecht mit Verfassungsrang und verlangt zumindest eine Abwägung sich entgegenstehender Grundrechte. Seit der Etablierung des Tierschutzes im Grundgesetz kann sich Tierschutz gegen die Freiheit der Berufsausübung, der Wissenschaft und der Kunst sowie dem Recht auf Eigentum zumindest behaupten, der Schutzgedanke des Tierschutzgesetzes kann im Ergebnis besser verfolgt werden.
Obwohl sich das steigende Bewusstsein der Öffentlichkeit für Tierschutzbelange zumindest im Rechtstext widerzuspiegeln scheint, sieht die Realität in der Praxis vielfach schlechter aus. Fehlende Mindestanforderungen bei der Haltung vieler Tierarten erschweren Tierschutzkontrollen der Ämter. Teilweise sind bestehende Mindestanforderungen zu gering, sodass die Tiere nicht verhaltensgerecht gehalten werden. Auch die personelle Ausstattung der Veterinärämter ist für eine konsequente Überprüfung der Vorschriften in den meisten Regionen der Bundesrepublik nach wie vor unzureichend. So schnell wie möglich müssen die Weichen gestellt werden, den praktischen Tierschutzvollzug zu stärken, um die Einhaltung des Tierschutzgesetzes zuverlässig überprüfen zu können. Ein Gesetz ist schließlich nur so gut, wie dessen Umsetzung.