Vor zehn Jahren ist die UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland in Kraft getreten. Um gemeinsam das bislang Erreichte zu reflektieren und die Herausforderungen der Zukunft zu diskutieren, lud das Land zu einer Feierstunde ein.
Im Jahr 2009 wurde die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) durch die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert. Dieses Menschenrechtsdokument fordert die umfassende Teilhabe von Menschen mit Behinderungen in allen Gesellschaftsbereichen und das selbstverständliche Miteinander von Menschen mit und ohne Behinderungen. 10 Jahre UN-BRK sind auch für das Land ein Grund, das bislang Erreichte zu reflektieren und die Herausforderungen der Zukunft zu diskutieren. Rund 150 Gäste waren dazu zu einer Feierstunde in die Sparkassenakademie im Stuttgarter Europaviertel zusammengekommen, darunter auch der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Jürgen Dusel, sowie die Landes-Behindertenbeauftragte Stephanie Aeffner.
Anspruch und Verpflichtung für die umfassende Teilhabe von Menschen mit Behinderungen
„Menschen mit Behinderungen wollen das, was wir uns alle wünschen: gleiche Rechte und gleiche Chancen. Sie wollen in der Mitte unserer Gesellschaft leben, in einer Gesellschaft ohne Barrieren, ohne Diskriminierung, ohne Ausgrenzung. Mit dem Recht, eine gute Bildung zu bekommen, sich frei und ungehindert von einem Ort zum anderen zu bewegen, ein selbstbestimmtes Leben in der Gemeinschaft zu führen, Arbeit zu finden“, sagte Sozial- und Integrationsminister Manne Lucha bei der Veranstaltung. „Dieses Menschenrechtsdokument ist uns Anspruch und Verpflichtung, die umfassende Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen.“
Vieles sei in Baden-Württemberg bereits erreicht worden. Als Meilensteine bei der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention bezeichnete Lucha das neue Landes-Behindertengleichstellungsgesetz mit der darin verankerten Pflicht zur Bestellung von Kommunalen Behindertenbeauftragten durch die Stadt- und Landkreise sowie das Bundesteilhabegesetz. Lucha: „In diesen sperrigen Begriffen stecken ganz konkrete Verbesserungen für Menschen mit Behinderungen. Wir gestalten einen Paradigmenwechsel, weg vom Prinzip der Fürsorge hin zu gleichberechtigter Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Mehr Teilhabe, mehr Gleichberechtigung, mehr Selbstbestimmung – das sind unsere Ziele. Nicht die Einrichtung steht im Mittelpunkt, sondern die Betroffenen selbst. Jede und jeder soll die passgenaue Hilfe bekommen, die sie oder er für eine Teilhabe braucht und muss nicht gegen den eigenen Willen das Gesamtpaket einer Einrichtung annehmen. Daran arbeiten wir mit Hochdruck.“
Inklusion beginnt in den Köpfen
Zu den zahlreichen Maßnahmen zur Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zählten beispielsweise auch die Förderung ambulanter Wohngemeinschaften für Senioren und Menschen mit Behinderungen, barrierefreie Krankenhäuser, mehr Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen in der Verwaltung, die Änderung des Schulgesetzes zur Inklusion und vieles mehr. „Vieles ist angestoßen, vieles ist erreicht, aber wir haben noch ein gutes Stück Weg vor uns“, betonte Lucha gerade auch im Hinblick auf die Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen in Industrie und öffentlicher Verwaltung oder auch beim Thema Inklusion an Schulen.
Als Erfolg wertete der Sozialminister das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom April dieses Jahres zum Wahlrecht von Menschen mit Betreuungsbedarf: „Das Gericht kippte den pauschalen Ausschluss betreuter Menschen mit Behinderungen oder psychischen Krankheiten bei Wahlen und bekräftigte das, wofür ich mich stets eingesetzt habe: Menschen mit Behinderungen pauschal vom Wahlrecht auszuschließen – das ist glatt verfassungswidrig.“ Diese und viele weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen seien gut und wichtig. „Doch das allein reicht nicht. Inklusion beginnt bei uns allen in unseren Köpfen. Wir sollten endlich lernen, Unterschiede als Geschenk und als Chance zu sehen, die wir nutzen müssen“, so Lucha abschließend.
Landes-Behindertengleichstellungsgesetz
Im Jahr 2015 hat Baden-Württemberg eines der bundesweit modernsten Gleichstellungsgesetze auf den Weg gebracht. Es orientiert sich am Prinzip der Teilhabe und nicht am Prinzip der Fürsorge. Als erstes Bundesland hat Baden-Württemberg die 44 Stadt- und Landkreise verpflichtet, kommunale Behindertenbeauftragte zu bestellen. Das Land fördert die kommunalen Behindertenbeauftragten mit 2,8 Millionen Euro jährlich und stärkt dadurch die Rechte der Menschen mit Behinderungen vor Ort in den Kreisen. Auch die Befugnisse der Landes-Behindertenbeauftragten wurden festgeschrieben.
Beauftragte der Landesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen
Landes-Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
Ebenfalls 2015 wurde der Landesaktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gemeinsam von allen Ministerien im Land erarbeitet und vom Ministerrat beschlossen. Der Plan ist eine Selbstverpflichtung der Landesregierung und legt konkrete Maßnahmen fest, um die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu stärken. Beispiele für solche Maßnahmen sind u.a. barrierefreie Krankenhäuser, mehr Arbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen in der Verwaltung oder die Änderung des Schulgesetzes zur Inklusion. Ab Mitte 2020 wird das Land den Aktionsplan durch ein unabhängiges Forschungsinstitut evaluieren lassen.
Wohnen / WG-Förderprogramm
Menschen mit Behinderungen müssen wählen können, wo und wie sie wohnen wollen. Die Wahl darf nicht auf besondere Wohnformen beschränkt sein. Diese Wahlmöglichkeit stärkt das Land ab 2020 mit einer neuen Förderung. Mit dem Programm „Gemeinsam unterstützt & versorgt wohnen“ sind jährliche Investitionen von 15 Millionen Euro in neue Wohnformen für Seniorinnen und Senioren und Menschen mit Behinderungen sowie mit Unterstützungs- und Versorgungsbedarf geplant.
Umsetzung Bundesteilhabegesetz (BTHG)
Mit der Unterzeichnung der UN-BRK wurde der Grundstein des Bundesteilhabegesetzes gelegt. Menschen mit Behinderungen sollen selbst entscheiden können, wie, wo und mit wem sie leben möchten. Nicht mehr die Schwere der Behinderung sollte ihre Zukunftsperspektive bestimmen, sondern ihre eigenen Wünsche und Ziele – wie bei Menschen ohne Behinderungen auch. Außerdem soll der Übergang oder die Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt erleichtert werden. Dazu arbeiten in Baden-Württemberg Integrationsamt, Ministerium für Soziales und Integration, Kultusministerium, Werkstätten, Schulen, Bundesagentur für Arbeit, Stadt- und Landkreise eng zusammen und schaffen eine Alternative zur Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen. Das geht beispielsweise über Lohnkostenzuschüsse – finanziert aus Mitteln der Ausgleichsabgabe. Die Arbeitgeber haben damit mehr Planungssicherheit und Menschen mit Behinderungen werden nachhaltig unterstützt. So wurden seit 2005 bislang durch das Programm „Arbeit Inklusiv“ rund 4.800 sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse für schwerbehinderte Menschen mit wesentlichen Behinderungen im Land geschaffen, etwa 650 davon für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen.