In seiner Regierungserklärung im Landtag hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann den Angriffskrieg in der Ukraine als eine Zeitenwende bezeichnet. Der russische Präsident Putin greife damit auch uns an und der Krieg habe auch Folgen für unsere Freiheit, Sicherheit und Wohlstand.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat im Landtag eine Regierungserklärung zum Krieg in der Ukraine gehalten. Dabei zeigte er auf, dass dieser Angriffskrieg auch für unser Leben in Deutschland und in Baden-Württemberg nicht ohne Folgen bleiben werde. Er versicherte gleichzeitig, dass Baden-Württemberg an der Seite der Ukraine stünde und das Land, dort wo es möglich sei, unterstütze. Auch tue die Landesregierung gemeinsam mit dem Bund und den Kommunen alles dafür, die Folgen des Krieges für Deutschland und Baden-Württemberg abzufedern und die richtigen Konsequenzen aus der durch Putin veränderten Weltordnung zu ziehen.
„Wir fangen an zu begreifen, dass Putin mit diesem Angriffskrieg nicht nur die meint, die er gerade unmittelbar angreift, sondern auch uns. Unsere Art zu leben, unsere Demokratie und unsere regelbasierte internationale Ordnung. Und wir erkennen, dass nicht nur ukrainische Dörfer und Städte in Trümmern liegen. Auch die Prinzipien, die wir mit Russland in den vergangenen Jahrzehnten vereinbart haben, liegen in Trümmern. Auch unsere Friedensordnung liegt in Trümmern“, umriss Kretschmann zu Beginn der Regierungserklärung die Folgen des Krieges.
Konsequenzen für Freiheit, Sicherheit und Wohlstand
„Und es dämmert uns, wie tiefgreifend die Konsequenzen all dessen sind. Für unsere Freiheit, unsere Sicherheit und für unseren Wohlstand. Und zwar nicht deshalb, weil wir das so wollen. Sondern deshalb, weil es uns von außen so aufgezwungen wird“, so Kretschmann weiter.
Kretschmann machte auch klar, dass man sich auf eine Zeit der Konfrontation sowie auf härtere Zeiten und auch auf harte Einschnitte einstellen müsse. Dabei könne der Staat zwar viel tun, aber er könne nicht alles und jedes ausgleichen und kompensieren. Man müsse akzeptieren, dass hier jede und jeder von uns seinen Beitrag leisten müsse.
Kretschmann beleuchtete in seiner Regierungserklärung die unterschiedlichen Lebensbereiche, auf die der Krieg Auswirkungen habe. Zuvorderst standen die vielen aus der Ukraine geflüchteten Menschen.
Kretschmann bezeichnete die Fluchtbewegungen aus der Ukraine als die größte Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Zahlen geben ihm Recht. Insgesamt sind gut zehn Millionen Menschen aus der Ukraine auf der Flucht, davon haben bereits vier Millionen die Ukraine verlassen. Ein Großteil der Geflüchteten sind Frauen, Kinder und ältere Menschen. Dabei finden die meisten bisher Schutz in den direkten Nachbarstaaten wie Polen und Moldau. Alleine das arme Moldau hat, bei gerade mal 2,6 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern, fast 400.000 Menschen aus der Ukraine aufgenommen.
Angesichts dieser Zahlen sagte Kretschmann: „Es ist wirklich beeindruckend, was diese Länder gerade leisten. Sie verdienen unsere Hochachtung!“
Auch in Baden-Württemberg sei die Bereitschaft, den geflüchteten Menschen zu helfen, sehr hoch, betonte Kretschmann. „Über 90 Prozent der Baden-Württemberger finden es richtig, dass wir Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet aufnehmen. Und nicht nur das. Viele Menschen packen selbst mit an. Sie nehmen Flüchtlinge bei sich zu Hause auf und unterstützen sie und ihre Kinder. Herzlichen Dank dafür! Das ist ein Lichtblick in diesen dunklen Zeiten.“
Kretschmann mahnte aber gleichzeitig auch, dass diese Herausforderung kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf sei. „Diesen Zusammenhalt, diesen Bürgergeist und dieses gemeinsame Handeln werden wir in den kommenden Monaten noch dringend brauchen.“ Man werde für längere Zeit eine wachsende Zahl von geflüchteten Menschen unterbringen müssen.
Infobox Flüchtlingshilfe
Seit Beginn des Krieges sind in Baden-Württemberg bisher 50.000 Schutzsuchende registriert worden. Bisher haben 11.000 Menschen Aufnahme in den Landeserstaufnahmeeinrichtungen gefunden. Dafür hat das Land in den bestehenden Erstaufnahmeeinrichtungen zusätzlich 2.500 Plätze und in der reaktivierten Unterbringung in Meßstetten weitere 800 Plätze geschaffen. Zudem hat das Land in Messehallen vorläufige Unterkünfte aufgebaut, in denen über 2.300 weitere Menschen unterkommen können. So hat die Landesregierung die Kapazitäten der Landeserstaufnahme von gut 6.000 auf 12.000 Plätze verdoppelt. Derzeit baut die Landesregierung daran, weitere Kapazitäten zu schaffen.
Das Land hat zudem sein Integrationsmanagement auf die aus der Ukraine geflüchteten Menschen ausgeweitet. Die rund 1.200 Integrationsmanager in den Städten und Gemeinden nehmen sich der Geflüchteten an, helfen ihnen, sich vor Ort zurechtzufinden, und unterstützen sie in allen Fragen des Alltags.
Das Sozialministerium finanziert gezielt Sprachkurse für die Schutzsuchenden aus der Ukraine. Darüber hinaus sind die psychosozialen Zentren des Landes auf die Geflüchteten aus der Ukraine vorbereitet, von denen viele traumatisiert sind. Die Zentren gewinnen bereits Traumahelferinnen und -helfer und suchen Dolmetscherinnen und Dolmetscher. Zudem bieten sie erste Gruppentherapien an.
Die Landesregierung hat sich mit den kommunalen Landesverbänden darauf verständigt, dass das Land die Kosten für die privat bei Freunden oder Bekannten untergebrachten Menschen übernimmt, und dass die Kommunen die Kosten für Wohnung und Lebensunterhalt erstattet bekommen.
Mit dem Bund ist das Land gerade in Verhandlungen über eine faire Verteilung der Kosten für die Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten. Dies wird auch Thema bei der Konferenz der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten mit dem Bundeskanzler am 7. April 2022 sein. Baden-Württemberg fordert, dass der Bund für 100 Prozent der Unterkunftskosten sowie für einen substantiellen Teil der Aufwendungen von Kommunen und Ländern für Kita, Schule und Integration aufkommt – denn die Hälfte der Flüchtlinge aus der Ukraine sind Kinder. Der Bund muss sich auch bei einem Wechsel vom Asylbewerber-Leistungsgesetz zu Hartz IV – auch für die ersten Monate bis zum Aufenthaltstitel finanziell bewegen.
Ministerpräsident Kretschmann hat einige Tage vor der Regierungserklärung die Landeserstaufnahme in Sigmaringen besucht und dort mit Geflüchteten gesprochen. Er machte klar, dass hinter jeder Zahl ein konkretes menschliches Schicksal stehe.
Er berichtete eindrücklich vom Schicksal einer aus Kiew geflüchteten Familie: „Nach Kriegsbeginn war die kleine Familie zunächst in Kiew geblieben. Mit ihrem vier Jahre alten Mädchen und ihrem neun Monate alten Baby hatten sie über eine Woche verzweifelt im Keller ausgeharrt, um sich vor den russischen Bomben zu schützen. Dann begann eine abenteuerliche Flucht. In den überfüllten Zug in Richtung Polen konnten sie nur durch ein Fenster einsteigen. Und nach einem Umweg über Italien hat die Familie nun Schutz in Sigmaringen gefunden. Der Bericht ging mir unter die Haut. Denn solche Erzählungen kenne ich noch von meinen Eltern: Die waren nach dem Zweiten Weltkrieg selbst Flüchtlinge. Und haben noch Jahrzehnte später über die Schrecken von Krieg, Flucht und Vertreibung gesprochen. Und über meinen älteren Bruder, den ich nie kennengelernt habe, weil er als Säugling auf der Flucht gestorben ist. Dass nun heute, im Jahr 2022, wieder Familien vor einem brutalen Krieg mitten in Europa fliehen müssen, ist nur schwer auszuhalten.“
Umso wichtiger sei es, dass Baden-Württemberg seiner humanitären Pflicht nachkomme, und man den Menschen hier Schutz biete, sich um sie kümmere und sie unterstütze.
Der Ministerpräsident sprach in seiner Regierungserklärung auch die Wohnraumsituation in Baden-Württemberg an: „Auch wenn die Geflüchteten lieber heute als morgen in ihre Heimat zurückkehren wollen, müssen wir ihnen die Chance geben, bei uns ein echtes Zuhause zu finden. Trotz des angespannten Wohnungsmarktes in vielen Teilen unseres Landes.“ Dabei dürfe es aber nicht zu einem Verdrängungswettbewerb zwischen den neu angekommenen Menschen und denen, die bereits jetzt kaum eine bezahlbare Wohnung finden können, kommen.
Infobox Wohnungsmarkt
Die Landesregierung dreht an mehreren Stellschrauben gleichzeitig: Zum einen setzt die Landesregierung auf eine Vereinfachung und Beschleunigung der baurechtlichen Verfahren und die Absenkung der administrativen Hürden beim Bau von Wohnraum für Geflüchtete.
Zum anderen will die Landesregierung das Programm „Wohnraum für Geflüchtete“ neu auflegen. Dafür braucht es jedoch eine Einigung mit dem Bund über die Verteilung der Geflüchtetenkosten, um die notwendigen finanziellen Spielräume zu haben. Mit dem Programm möchte das Land die Kommunen – wie schon in der letzten Flüchtlingskrise – beim schnellen Bau von Flüchtlingsunterkünften unterstützen.
Neben diesen kurzfristigen Maßnahmen baut das Land mittel- und langfristig mehr Sozialwohnungen. Dies hat die Landesregierung bereits vor der Krise auf der Agenda gehabt. Dafür hat die Landesregierung die Landeswohnraumförderung in den vergangenen Jahren Schritt für Schritt erhöht. 2022 investiert Baden-Württemberg mit 370 Millionen so viel in den sozialen Wohnungsbau wie noch nie zuvor in der Geschichte des Landes. Zudem hat die Bundesregierung angekündigt, die Mittel für die soziale Wohnraumförderung zu erhöhen.
Das nächste große Themengebiet, das der Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung ansprach, war die Bildung. Vor allem die Kinder und Jugendlichen, die aus der Ukraine zu uns kommen, sollen schnellstmöglich in Bildungs- und Betreuungsangeboten unterkommen. Aber auch Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollen eine möglichst gute Unterstützung bekommen.
Kretschmann betonte, dass Kita und Schule unglaublich wichtig seien, um Kindern Halt und Stabilität in der Fremde zu geben. „Der geregelte Ablauf bringt ein Stück Normalität zurück in den Alltag. Und der Unterricht und der Kontakt mit anderen Kindern bietet die Chance, all das Schlimme, was die Kinder erlebt haben, für ein paar Stunden am Tag hinter sich zu lassen.“
Kretschmann sagte mit Blick zurück auf die Situation in 2015, dass vieles zugleich einfacher und schwieriger sei. „Schwieriger, weil wohl deutlich mehr Kinder und Jugendliche aus der Ukraine zu uns kommen werden und wir schon jetzt händeringend nach Lehrkräften suchen. Aber auch einfacher, weil die Kinder aus einem Land mit einem hohen Bildungsniveau und einem ähnlichen Schulsystem kommen. Vor allem aber, weil wir viel besser vorbereitet sind als 2015.“
Ebenso wie die Kinder und Jugendlichen will das Land auch die Studierenden und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Ukraine für die Dauer ihres Aufenthalts möglichst gut unterstützen, kündigte Kretschmann an.
Infobox Bildungspolitik
Das Kultusministerium und die Schulen im ganzen Land bemühen sich nach Kräften, die Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine gut zu integrieren. Hierzu hat das Kultusministerium eigens einen Sonderstab eingerichtet. Das Land ist zudem besser auf die Situation vorbereitet als in der Flüchtlingskrise 2015.
Das Land hat bewährte Konzepte und erfahrene Lehrkräfte, die inzwischen genau wissen, wie gute Integration in der Schule funktioniert. Das Land hat zudem im Haushalt die Mittel für die Lehrkräfte in den Vorbereitungsklassen verstetigt.
Bisher hat Baden-Württemberg knapp 6.000 Kinder und Jugendliche aus der Ukraine an seinen Schulen aufgenommen. Die Schulen suchen gemeinsam mit der Schulverwaltung und den Kommunen nach passenden Lösungen für das jeweilige Kind.
Die Kinder kommen – wenn sie über Deutsch-Kenntnisse verfügen – in eine ganz normale Regelklasse und erhalten zusätzliche Sprachkurse. Wenn Sie nicht über Deutsch-Kenntnisse verfügen, gehen sie zunächst in eine der Vorbereitungsklassen, die es an vielen allgemeinbildenden und beruflichen Schulen gibt – die sogenannten Vorbereitungsklassen (VKL)-Klassen und das Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen (VABO-Klassen). Solche Vorbereitungsklassen legen den Schwerpunkt darauf, dass die Kinder schnell die deutsche Sprache lernen, damit sie schnell in Regelklassen wechseln können. Zudem sollen die Kinder ergänzend an Unterricht in ukrainischer Sprache teilnehmen können, den ukrainische Lehrkräfte erteilen.
Derzeit gibt es über 2.000 Vorbereitungsklassen an den allgemeinbildenden und beruflichen Schulen im Land. Es ist geplant, diese weiter aufzustocken, um den Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine so gut wie möglich gerecht zu werden. Das Kultusministerium sucht mit einer eigens eingerichteten zentralen Plattform Lehrkräfte, Pensionäre, Studierende, Erzieherinnen, Dolmetscher – aber auch ukrainische Lehrerinnen und Lehrer. Bis jetzt haben sich schon über 600 Freiwillige beim Kultusministerium gemeldet.
Da viele der Kinder aus der Ukraine traumatisiert sind, will das Land die Zahl der Schulpsychologinnen und Schulpsychologen aufstocken.
Um die Kleinsten so schnell wie möglich in die Kitas und die Kindertagesbetreuung zu integrieren, ist das Kultusministerium im engen Austausch mit den Kommunen und freien Kita-Trägern. Dabei spricht sich das Kultusministerium dafür aus, Schritt für Schritt vorzugehen. So sollen zunächst den Kindern niedrigschwellige Angebote wie Spielgruppen gemacht werden, um sie dann nach und nach in die Kitas aufzunehmen und dort in den Alltag zu integrieren. Damit das gelingt, möchte das Land gezielt pädagogisches Personal unter den ukrainischen Geflüchteten gewinnen.
Für die Studierenden sowie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bringt das Land ebenfalls eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg. So vergibt das Land ein Gebührenstipendium für geflüchtete ukrainische Studierende und erlässt ihnen damit in diesen Kriegszeiten die Studiengebühren. Mit einem vom Land geschaffenen Überbrückungsfonds können die Hochschulen ukrainische Studierende sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Notfällen unterstützen. Das Land hat eine Kontaktstelle für geflüchtete Kulturschaffende eingerichtet und fördert gezielt Projekte, an denen Künstlerinnen und Künstler aus der Ukraine mitwirken. Die Baden-Württemberg-Stiftung flankiert diese Maßnahmen mit Unterstützung für geflüchtete Studierende, verfolgte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und Kulturschaffende aus der Ukraine, Russland und Belarus. Darüber hinaus ist die Landesregierung mit der Baden-Württemberg-Stiftung im Gespräch über Unterstützungsangebote für Journalistinnen und Journalisten aus der Ukraine und Russland.
Die Integration der geflüchteten Menschen in den Arbeitsmarkt befinde sich noch im Frühstadium, sagte der Ministerpräsident mit Blick auf die Arbeitssituation. Jedoch erleichtere die Aktivierung der Massenzustrom-Richtlinie durch die Europäische Union die Situation. Durch sie erhielten aus der Ukraine geflüchtete Menschen auch ohne Asylantrag einen Schutzstatus und könnten Arbeit aufnehmen.
Kretschmann sieht darin nicht nur einen Segen für die Menschen, sondern auch eine Chance für das Land. Ersten Schätzungen nach seien die Geflüchteten überdurchschnittlich hoch qualifiziert. Gleichzeitig bestünde im Land eine hohe Nachfrage nach Fachkräften. Kretschmann wies darauf hin, dass die Stellen im Land bereitstünden, die Geflüchteten möglichst gut bei ihrer Suche nach Arbeit zu unterstützen.
Ministerpräsident Kretschmann hat in seiner Regierungserklärung klargestellt, dass die öffentliche Sicherheit im Land bislang nicht durch den russischen Angriffskrieg und dessen Folgen beeinträchtigt sei. „Damit das weiterhin so bleibt, bleiben wir wachsam – vor allem im Bereich der Cybersicherheit. Denn in den letzten Jahren gab es aus Russland immer wieder Attacken auf Regierungen anderer Staaten.“
Da Russland seinen Krieg auch im Internet führe, zahle es sich aus, dass Baden-Württemberg sich in den vergangenen Jahren so gut für die Bekämpfung von Cyberkriminalität aufgestellt habe. „Unsere Sicherheitsbehörden beobachten kontinuierlich die Lage und tauschen sich eng mit den Cybercrime-Stellen von Bund und Ländern aus“, sagte Kretschmann im Landtag.
Kretschmann hob hervor, dass sich Putins Krieg gegen ein Land richte, das sich der Europäischen Union zugewandt habe. Ein Land, das sich bei allen Schwächen und Rückschlägen demokratisiert und modernisiert habe. „Natürlich macht Baden-Württemberg keine eigene Außenpolitik. Unsere Landesverfassung gibt uns aber den klaren Auftrag, uns für die Einheit und Zusammenarbeit in Europa einzusetzen. Auch deswegen nutzen wir alle Möglichkeiten, um der Ukraine unsere Solidarität zu zeigen und den Menschen dort nach Kräften zu helfen.“
So sei Europa-Staatssekretär Florian Hassler im laufenden Austausch mit den Generalkonsuln der Ukraine und ihrer Anrainerstaaten sowie mit der ukrainischen Community im Südwesten. Zu konkreten Hilfeleistungen zählten unter anderem 350.000 Euro für Mütter- und Familienzentren in den Nachbarstaaten der Ukraine und Hilfstransporte mit Ausrüstung für Ersthelfer und Krankenhäuser in der Ukraine im Wert von über fünf Millionen Euro.
Kretschmann bezeichnete den Krieg in der Ukraine auch im Hinblick auf die Sicherheitslage in Europa als eine Zeitenwende, „weil wir nicht mehr nur über Bedrohungslagen reden, sondern über einen tatsächlichen Krieg, der uns zwingt, unsere Sicherheit neu zu definieren.“
Kretschmann anerkannte, dass die Strategie, die Sicherheit in Europa durch eine enge Zusammenarbeit und wirtschaftspolitische Verflechtungen mit Russland zu garantieren, gescheitert sei. „Zugleich haben wir unsere Wehrhaftigkeit vernachlässigt und uns energiepolitisch abhängig gemacht.“
Kretschmann mahnte an, dass sich Europa in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik sowie in der Energie- und Wirtschaftspolitik neu aufstellen müsse. Europa müsse daher auch die militärische Zusammenarbeit auf eine neue Stufe stellen, da man in der Lage sein müsse, sich selbst zu verteidigen. Kretschmann sieht Deutschland und Frankreich hier klar in einer Führungsrolle.
In der Folge des Krieges in der Ukraine müsse sich Deutschland und Baden-Württemberg auch in der Wirtschafts- und Energiepolitik kurz- und langfristig auf andere Zeiten einstellen. Kurzfristig seien dies die direkten Folgen des Krieges und die Rückwirkungen der Sanktionen gegen Russland. Kretschmann wies darauf hin, dass die Bundesregierung umfangreiche Hilfen für betroffene Unternehmen vorbereite und auch die Strukturen im Land diesen Unternehmen zur Verfügung stünden.
Kretschmann zeigte sich überzeugt, dass die Sanktionen richtig seien, auch wenn sie viele Schlüsselbranchen wie die Automobilwirtschaft, den Maschinenbau, die Gesundheitswirtschaft und die Chemieindustrie beträfen. Er begrüßte, dass die Bundesregierung und namentlich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck alles dafür tue, um für einen Gas-Stopp gerüstet zu sein. Und dass Habeck gleichzeitig alles dafür unternehme, um die Abhängigkeit von russischem Öl, russischer Kohle und russischem Gas so schnell wie möglich zu reduzieren.
„Bis Ende des Jahres werden wir unabhängig von russischem Öl sein und beim Gas ist die Abhängigkeit von 55 auf 40 Prozent gesunken, bis Ende des Jahres könnten es 30 Prozent sein. Bei der Kohle hat die EU nun die Initiative ergriffen, den Import russischer Kohle vollständig zu stoppen“, berichtete Kretschmann an.
„Für das Klima sind manche Maßnahmen natürlich Teufelszeug, die wir gerade ergreifen müssen, zum Beispiel das Flüssiggas, das wir nun einkaufen müssen“, warnte Kretschmann. „Gerade deshalb lautet die große Aufgabe: Erneuerbare Energien, grünen Wasserstoff und Energieeffizienz noch sehr viel beherzter, sehr viel konsequenter und sehr viel schneller voranzutreiben, als wir es ohnehin schon geplant hatten.“
Kretschmann mahnte an, dass die Zeiten, in denen man ästhetische Aspekte und kleinteilige Bedenken in den Vordergrund gestellt habe, nun endgültig vorbei seien. „Denn es geht nun nicht mehr nur um das Klima, das schon wahrlich Grund genug wäre. Es geht auch um unsere nationale Sicherheit und es geht um unsere Freiheit“, fand Kretschmann deutliche Worte.
Kretschmann kam in seiner Regierungserklärung zu dem Fazit, dass diese Krise die gesamte Gesellschaft betreffe. „Und sie trifft uns zu einer Zeit, in der wir alle von Corona erschöpft sind und es im Gebälk unserer Demokratie knirscht. Wir alle hoffen, dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet wird. Aber wir wissen nicht, ob es so kommt.“
Er gehe davon aus, dass die Auseinandersetzung zwischen demokratischen und autoritären Staaten viele Jahre prägen wird. Eine Auseinandersetzung, die, so Kretschmann, nicht nur militärisch geführt werde, sondern alle Lebensbereiche betreffe. Er hob aber auch hervor, dass die liberalen Demokratien stark seien.
„Demokratien sind autoritär geprägten Systemen überlegen. Eben weil sie den wichtigsten Wert menschlicher Existenz nach ganz vorne stellen: Die Freiheit. Und weil sie auf die wichtigsten Ressourcen bauen, die wir Menschen haben: Vernunft und Empathie. All das wird in autoritären Staaten nicht geschätzt oder sogar unterdrückt. Und wer diese menschlichen Stärken geringschätzt, wird auf Dauer scheitern“, machte Kretschmann klar.
Kretschmann fügte hinzu: „Scheitern wird auch, wer auf eine so perfide Lügenpropaganda gegenüber der Welt und der eigenen Bevölkerung setzt wie Putin. Auch wer auf die Zerstörung des öffentlichen Raums setzt, ohne den es keine Politik mehr geben kann, sondern nur noch rohe Gewalt.“
Er sagte aber auch, dass man sich im Klaren darüber sein müsse, dass diese Zeitenwende Zumutungen für das Gemeinwesen, aber auch für jede und jeden Einzelnen bereithalte. Er kündigte an, dass sich der Strukturwandel der Wirtschaft und der Abschied von fossilen Rohstoffen beschleunigen werde. „Die Herstellung von Resilienz und Wehrhaftigkeit kosten Wohlstand und Geld, das wir in anderen Bereichen nicht mehr ausgeben können.“
Dafür müsse man gemeinsam handeln. „Wir brauchen die Unternehmen und die Bürgerinnen und Bürger, um das zu wuppen. Ihren Bürgersinn, ihr Engagement, und ihre Kreativität. Und das bedeutet auch: Das Gemeinwohl wird einen höheren Stellenwert bekommen.“ Kretschmann verwies auf Aristoteles, der den Menschen als „Zoon politikon“ – ein soziales Wesen bezeichnet hat. Aus der Freiheit des Einzelnen, die nicht absolut sein könne, erwachsen auch Bürgerpflichten und Verantwortlichkeiten für das Ganze. „Wir müssen uns aufeinander verlassen. Und wir müssen uns aufeinander verlassen können. Der Zusammenhalt, der daraus erwächst, ist das Fundament unserer Freiheit und unserer Werteordnung“, unterstrich Kretschmann im Landtag.
„Es macht mich zuversichtlich, dass ich große Tatkraft und große Solidarität sehe, wohin ich auch blicke: in der Bürgerschaft, Wirtschaft und in Bund, Ländern und Gemeinden. Ich sehe mit großer Dankbarkeit die breite Unterstützung der Sanktionen, eine riesige Hilfsbereitschaft der Menschen in diesem Land. Und habe das Gefühl, dass wir in den letzten Wochen als Gesellschaft enger zusammengerückt sind. Ich sehe die Chance für einen neuen republikanischen Geist des Miteinanders und des gemeinsamen Handelns. Und diese Einigkeit gibt es nicht nur in Deutschland. Sondern auch zwischen den westlichen Demokratien, die schnell und entschlossen auf Putins Angriff reagiert haben und zusammengerückt sind. Diese Einigkeit der Demokratien ist entscheidend“, resümierte Kretschmann.