Bei der zweitägigen Online-Tagung „Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland“ im Generallandesarchiv Karlsruhe diskutieren Expertinnen und Experten über rechtsextremistische Strukturen in der Gesellschaft.
„Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke, der Anschlag auf die Synagoge in Halle und die rassistisch motivierten Morde in der Innenstadt von Hanau haben gezeigt, dass rechtsextremistisches Gedankengut in tödlicher Gewalt enden kann – der Rechtsextremismus ist die größte Bedrohung für unsere Gesellschaft und Demokratie“, sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer anlässlich der zweitägigen Online-Tagung „Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland“ im Generallandesarchiv Karlsruhe. Im vergangenen Jahr hat das Wissenschaftsministerium dort – auch als Konsequenz aus dem NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags – eine Dokumentationsstelle eingerichtet, die Informationen über rechtsextremistische Strukturen und Netzwerke sammelt und der Zivilgesellschaft und Forschung zugänglich macht.
Bei der Tagung diskutieren Expertinnen und Experten über rechtsextremistische Strukturen in der Gesellschaft, die neue Dokumentationsstelle wird in der Wissenschaftslandschaft vernetzt und die notwendigen Vorarbeiten für eine künftige Forschungsstelle Rechtsextremismus werden weiter vorangetrieben. Den Abschluss der zweitägigen Tagung bildet eine prominent besetzte Gesprächsrunde, an der unter anderem die Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz Beate Bube, der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. Peter Frank sowie der Präsident des Landeskriminalamts Ralf Michelfelder teilnehmen.
„Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit – ´das wird man ja noch sagen dürfen` – erleben wir täglich Konsensverschiebungen im öffentlichen Diskurs und die Verrohung der Sprache. Rechtsextremismus bleibt sich im Kern, im Hass auf das Andere, treu – doch er zeigt sich uns mit immer neuen Gesichtern und in immer neuer Gestalt. Deshalb ist es so wichtig, nicht nur das Zurückliegende zu erforschen, zu verstehen und daraus Lehren zu ziehen, sondern auch die Gegenwart zu dokumentieren, zu analysieren, zu erforschen und mögliche Gegenmaßnahmen zu entwickeln.“ Über rassistische Hetze, Hasskommentare und Gewaltaufrufe fungiere das Internet oftmals als Brandbeschleuniger.
Größte Sammlung ihrer Art in Deutschland
Rund 2.500 Ordner, eine umfangreiche Datenbank und eine große Zahl von Publikationen und Zeitschriften aus dem rechten politischen Spektrum: Mit der Sammlung des renommierten Journalisten Anton Maegerle verfügt die neue Dokumentationsstelle über die größte Sammlung zu rechtsextremen und rechtsterroristischen Personen, Netzwerken und Denkstrukturen in Deutschland. Mit zwei Politolog*innen hat der Aufbaustab zum Jahresbeginn die Arbeit aufgenommen. Diese erschließen und dokumentieren die umfangreichen Unterlagen.
„Auf Basis der großzügigen Spende von Anton Maegerle bauen wir hier eines der größten Archive zu rechtsextremistischen Dokumenten auf. Die neue Dokumentationsstelle führt die beeindruckende Sammlung weiter und nimmt dabei auch neue Formen rechten Denkens und Agierens auf, wie Reichsbürger, die Querdenken-Bewegung oder auch Verschwörungsmythen“, kündigte Bauer an. Der Standort Karlsruhe biete mit der Generalbundesanwaltschaft, dem Bundesgerichtshof, dem neuen „Forum Recht“ und dem außerordentlich engagierten Generallandesarchiv ein ganz besonderes Umfeld. Weiteres Ziel sei es, eine eigene Forschungsstelle Rechtsextremismus in Baden-Württemberg zu etablieren.
Ziel: Starke Forschungsstelle Rechtsextremismus
„Wir stehen in Baden-Württemberg nun vor der spannenden Herausforderung, die bestehenden Kompetenzen und Ressourcen des Landes sinnvoll einzubinden, zu bündeln und zu ergänzen. Unser Ziel ist eine eigene Forschungsstelle Rechtsextremismus.“ Mithilfe der Tagung werde der aktuelle Forschungsstand im Bereich Rechtsextremismus zusammengetragen und Lücken und Handlungsbedarfe identifiziert, so Bauer weiter. Bereits im November hatte ein Expertenhearing wichtige Erkenntnisse gebracht: So sei eine feste institutionelle Struktur mit unbefristeten Stellen als Kern erforderlich. Die Einbindung in den Hochschulkontext sei ebenso wichtig wie die Anbindung an die Karlsruher Dokumentationsstelle. Und schließlich brauche es ein breites Netzwerk von Partnern für eine wissenschaftliche, unabhängige Forschung.
Auf Basis des Expertenhearings und der Ergebnisse der zweitägigen Tagung erarbeite das Wissenschaftsministerium ein Konzept für die künftige Forschungsstelle Rechtsextremismus. „Wir haben in dieser Legislaturperiode die notwendigen Vorarbeiten geleistet und den Phänomen- und Forschungsbereich mit Unterstützung hochkarätiger Expertinnen und Experten umfassend aufgearbeitet. Die Gründlichkeit hat sich ausgezahlt. In der nächsten Legislaturperiode muss nun die Schaffung der künftigen Forschungsstelle Rechtsextremismus ganz oben auf der Agenda stehen – und auch finanziell dauerhaft verankert werden mit einem festen Personalkörper“, forderte Bauer. Schließlich sei die Dokumentation und Erforschung von Rechtsextremismus von zentraler, überparteilicher „und leider auch zeitloser Bedeutung. Ich hoffe auf eine breite gesellschaftliche wie politische Unterstützung.“
Zur Tagung
Die demokratischen Fraktionen im Landtag haben die Tagung durch einen Beschluss zum aktuellen Haushalt ermöglicht. Ministerin Theresia Bauer spricht heute gegen 17.15 Uhr.
Den Eröffnungsvortrag um 15.15 Uhr hält Prof. Dr. Andreas Wirsching, Direktor des Instituts für Zeitgeschichte, München.
Eine prominent besetzte Gesprächsrunde, an der u.a. die Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz Beate Bube, der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Dr. Peter Frank sowie der Präsident des Landeskriminalamts Ralf Michelfelder teilnehmen werden, diskutiert am Donnerstag (28. Januar) ab 14.30 Uhr zum Abschluss der Tagung die aktuellen Herausforderungen, mit denen sich der Rechtsstaat konfrontiert sieht.
Dokumentationsstelle
Die Dokumentationsstelle sammelt Materialien und Wissen zum Thema Rechtsextremismus, wertet diese aus und stellt sie zur Verfügung. Sie hat darüber hinaus die Aufgabe, die Entwicklungen des Rechtsextremismus zu erforschen und diese zur Prävention pädagogisch zu vermitteln, um auch der Verrohung der Sprache und der Anschlussfähigkeit von Konsensverschiebungen im öffentlichen Diskurs entgegenzutreten. Diesem Bereich kommt besondere Bedeutung zu. So wird auch das Internet zunehmend für rassistische Hetze, Hasskommentare und Gewaltaufrufe missbraucht. Das Land finanziert die Dokumentationsstelle 2020 und 2021mit jeweils 115.000 Euro.
Das Archiv Anton Maegerle
Der Journalist, der nach massiven Drohungen unter dem Namen „Anton Maegerle“ publiziert und öffentliche Auftritte meidet, hat seine Sammlung seit den frühen 1980er Jahren zusammengetragen. Maegerle, der in der Presse als einer der „wichtigsten Nazi-Jäger dieses Landes“ bezeichnet wurde, erhielt zahlreiche Preise, darunter 2007 und 2020 den von der Journalistenvereinigung „Netzwerk Recherche“ gestifteten „Leuchtturm-Preis“.