Mit insgesamt rund 1,6 Millionen Euro fördern das Land und die Vector Stiftung den Aufbau von sechs Modellprojekten zum sogenannten „Housing First“-Ansatz für wohnungslose Menschen in Baden-Württemberg.
Das baden-württembergische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration und die Vector Stiftung fördern von 2024 bis 2026 den Aufbau von sechs Modellprojekten zum sogenannten „Housing First“ für wohnungslose Menschen in Baden-Württemberg mit insgesamt rund 1,6 Millionen Euro (500.000 Euro davon von der Vector Stiftung). Ausgewählt wurden die Standorte Herrenberg, Esslingen am Neckar, Gemeindeverbund Mittleres Schussental, Reutlingen, Freiburg im Breisgau und Heidelberg.
„Am Anfang steht die Wohnung – ohne Vorbedingungen und mit unbefristetem Mietvertrag. Wenn die Wohnung gefunden ist, werden begleitende sozialpädagogische Hilfen angeboten und es entstehen Vertrauen und Raum, an den Themen der ehemals wohnungslosen Menschen zu arbeiten. Das ist der zentrale Ansatz von ,Housing First‘“, erklärte Sozialminister Manne Lucha anlässlich der Vorstellung der Projekte bei einer Landespressekonferenz in Stuttgart.
„Wir wollen den Ansatz, der bereits in den USA und in anderen europäischen Staaten wie zum Beispiel Finnland erfolgreich ist, nach Baden-Württemberg holen und hier an sechs städtischen und ländlichen Standorten ausprobieren“, so Lucha weiter.
Erste Erfahrungen gibt es bereits in Stuttgart. Hier fördert die Stadt zusammen mit der Vector Stiftung seit Mai 2022 das Projekt Housing First Stuttgart, welches vom Caritasverband für Stuttgart zusammen mit der Ambulanten Hilfe, der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart und der Sozialberatung Stuttgart umgesetzt wird. Das Projekt läuft sehr erfolgreich und es wurden in gut 1,5 Jahren bereits 18 ehemals wohnungslose Haushalte, auch mit Kindern, in unbefristete Mietverhältnisse vermittelt.
„Housing First“-Ansatz nachhaltig verankern
Die sechs ausgewählten Projekte haben nun drei Jahre Zeit, „Housing First“ in ihren Kommunen und Landkreisen zu erproben. Neben der Vermittlung von Wohnraum an wohnungslose Menschen haben die Projekte auch das Ziel, das „Housing-First“-Konzept nachhaltig im Gesamtsystem der Wohnungsnotfallhilfe in den Kommunen und Landkreisen zu verankern und ein starkes Netzwerk aufzubauen.
Edith Wolf, Vorständin der Vector Stiftung, erläuterte ihr Engagement: „Wir setzen uns seit vielen Jahren gegen Wohnungslosigkeit ein. Neben unserer eigenen Sozialimmobilie setzen wir in unseren Projekten grundsätzlich auf unbefristete Mietverträge ohne Koppelung an Betreuung. Ein unbefristeter Mietvertrag bietet große Sicherheit. Im zweiten Schritt lassen sich dann auch die Gründe für den Wohnungsverlust bearbeiten. Die Kooperation mit dem Sozialministerium ist für uns eine einmalige Chance, den erfolgreichen Ansatz ,Housing First‘ in Baden-Württemberg weiter zu erproben und zu verbreiten.“
Übersicht der Projekte
Landkreis: Landkreis Böblingen
Projektträger: Stadt Herrenberg, Amt für Schule, Sport, Jugend und Soziales, Abteilung Jugend und Soziales
Orte: Herrenberg und Teilorte
Schwerpunkt: Personen in ordnungsrechtlicher Unterbringung
Fördersumme: 268.312,71 Euro
Kurzbeschreibung:
Das geplante Projekt „Erst.Ein.zu.Hause“ richtet sich an wohnungslose Personen, welche sich bereits länger als zwölf Monate in der ordnungsrechtlichen Unterbringung befinden. Ziel ist es, die Wohnungslosigkeit zu beenden und mit den Betroffenen einen Weg in ein selbstständiges Leben zu erarbeiten. Die Betroffenen sollen im ersten Schritt eine eigene Wohnung auf dem freien Wohnungsmarkt erhalten. Um eine gelingende Reintegration zu ermöglichen, werden im Anschluss flexible und individuelle wohnbegleitende Hilfen erarbeitet, die sich an den individuellen Herausforderungen der Betroffenen orientieren.
Quantitative Ziele:
- Schaffung von Austauschplattformen mit Klientinnen und Klienten sowie Vermieterinnen und Vermietern
- Elf in der Regel alleinstehende Personen werden in elf Wohnungen vermittelt und sind Ende 2026 noch im Mietverhältnis
Qualitative Ziele:
- Vermittlung einer eigenen Wohnung über das Projektende hinaus
- Vorhaltung eines ergänzenden Angebots wohnbegleitender Hilfen (auch ohne mietvertragliches Verhältnis)
- Vernetzung und gemeinsame Konzeptentwicklung
Landkreis: Landkreis Esslingen
Projektträger: Stadt Esslingen am Neckar, Amt für Soziales, Integration und Sport
Ort: Esslingen am Neckar
Schwerpunkt: Wohnungslose Personen
Fördersumme: 264.564,00 Euro
Kurzbeschreibung:
Das Projekt Housing First Esslingen (HFE) ist in Esslingen ein neuer Ansatz, um der Wohnungslosigkeit in Esslingen entgegenzuwirken. Insbesondere obdachlosen Personen mit multiplen Problemlagen aus Esslingen soll Housing First eine Alternative zu den bestehenden Versorgungsstrukturen der Stadt Esslingen bieten. Das Projekt HFE will neue Perspektiven für die HFE-Teilnehmenden ermöglichen (zum Beispiel Soziale Teilhabe, Stabilisierung und Struktur). Zudem sollen die Öffentlichkeit für das Thema Wohnungsnot sensibilisiert und ehrenamtlich Engagierte gewonnen werden.
Quantitative Ziele:
- Insgesamt werden 15 Wohnungen vermittelt (2024 = 3; 2025/2026 = je 6)
- Mindestens zwölf Wohnungen sind Ende 2026 noch an dieselben Personen vermietet
Qualitative Ziele:
- Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Wohnungslosigkeit
- Partizipation von Betroffenen
- Durchmischung von Bevölkerungsschichten durch gemeinsame Aktionen
- Aufbau eines multiprofessionellen Teams, Einbeziehung von Ehrenamt und Studierenden
- Vernetzung und Wissensaustausch zwischen Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartnern
Landkreis: Landkreis Ravensburg
Projektträger:Diakonieverbund DORNAHOF & ERLACHER HÖHE e.V.
Orte:
- Ravensburg
- Weingarten
- Baindt
- Baienfurt
- Berg
Schwerpunkt:
- Wohnungslose Personen
- Projekt im ländlichen Raum
- aufsuchende Arbeit
Fördersumme: 265.044,11 Euro
Kurzbeschreibung:
Das Housing First Projekt verfolgt das Ziel, die Wohnraumversorgung für besonders benachteiligte Personen zu verbessern. Das Angebot wird eingebettet in das bestehende regionale Gesamthilfesystem zur Überwindung von Wohnungslosigkeit. Der DORNAHOF Ravensburg engagiert sich seit 1983 als Einrichtung der Wohnungsnotfallhilfe. Durch die gute Vernetzung im sozialen System werden Basisangebote nach Paragrafen 67 folgende Sozialgesetzbuch (SGB) XII vorgehalten in Verbindung mit Hilfen nach SGB zwei sowie ergänzenden Angeboten. Aufgrund langjähriger Zusammenarbeit mit Streetwork Arkade e.V. wurde eine enge Kooperation vereinbart.
Quantitative Ziele:
- Einrichtung eines Beirats: dreimal jährlich
- Jährlich sollen fünf Wohnungen akquiriert werden = 15 Wohnungen insgesamt
- Mindestens 70 Prozent der Personen nehmen weiterhin Unterstützungsleistungen an
- Alle sollen Ende 2026 noch im Mietverhältnis sein
Qualitative Ziele:
- Einbindung in kommunales Gesamtkonzept: Augenmerk auf Gesamtproblematik
- Vernetzung und gemeinsame Erarbeitung von Handlungs- und Lösungsmöglichkeiten
- Vermittlung von Wohnraum
- Angebot hochflexibler, multiprofessioneller, unbefristeter Unterstützung wird vorgehalten
- Wahl- und Entscheidungsfreiheit der Betroffenen
- Vernetzung
Landkreis: Landkreis Reutlingen
Projektträger: Hilfe zur Selbsthilfe GmbH
Ort: Reutlingen
Schwerpunkt: Junge wohnungslose Menschen unter 25 Jahren
Fördersumme: 272.639,70 Euro
Kurzbeschreibung:
Durch das Projekt soll der Housing-First-Ansatz exemplarisch im Kontext der Mobilen Jugendarbeit erprobt und erfolgreich in die Beratungsarbeit unseres Reutlinger Fachteams der Mobilen Jugendarbeit implementiert und dauerhaft verankert werden. Zur Wohnraumakquise soll hierfür eine enge Projektpartnerschaft mit dem Reutlinger Wohnwerk e.V. sowie eine verstärkte Kooperation mit der städtischen GWG eingegangen werden. Zur Sicherung der Mietverhältnisse soll zusätzlich ein Pool ehrenamtlicher Wohnungspaten aufgebaut sowie eng mit dem Netzwerk ambulante Wohnungssicherung (NAWO) kooperiert werden.
Quantitative Ziele:
- Beratung/Clearing bei mindestens 50 Personen
- Davon werden mind. zwölf Personen in Wohnraum vermittelt; dafür werden acht bis zwölf Wohnungen benötigt
- Davon mindestens neun bis zehn Personen halten Kontakt zu Projektmitarbeitenden und nehmen Unterstützungsleistungen in Anspruch
- Davon mindestens neun sind noch Ende 2026 im Mietverhältnis
Qualitative Ziele:
- Integration eines HF-Konzepts in die Mobile Jugendarbeit
- Ausbau und Verstetigung der Zusammenarbeit mit WohnWerk e.V. und auch der städtischen GWG hinsichtlich Wohnraumakquise und Garantien für Vermieterinnen und Vermieter
- Aufbau Pool von ehrenamtlichen Wohnungspatinnen und -paten und Schulung in Zusammenarbeit mit dem NAWO
- Sicherstellung der Weiterfinanzierung
Stadtkreis: Stadtkreis Freiburg
Projektträger: Diakonisches Werk Freiburg
Ort: Freiburg im Breisgau
Schwerpunkt: Wohnungslose Frauen mit Gewalterfahrungen
Fördersumme: 281.397,30 Euro
Kurzbeschreibung:
In Deutschland sind schätzungsweise ein Drittel der wohnungslosen Menschen Frauen, von denen wiederum 90 Prozent von Gewalt betroffen sind. Die bestehenden Angebote der Gewalthilfe stoßen bei wohnungslosen Frauen an ihre Grenzen, während in der Wohnungslosenhilfe Gewalterfahrungen kaum behandelt werden können. Deshalb ist das Projektziel die Einführung eines Housing-First-Angebots für Frauen, die Gewalt erlebt haben.
Quantitative Ziele:
- Vermittlung von mindestens zehn Wohnungen
- Angebot von gezielten Unterstützungsleistungen bei allen Personen
Qualitative Ziele:
- Sensibilisierung für Housing First und Gewalthilfe, Bestandsaufnahme und Informationsaustausch zu Hilfeangeboten
- Schaffung von sicherem und schützendem Wohnraum für Frauen mit Gewalterfahrungen
- Stärkung der Selbstwirksamkeit von Frauen durch Anwaltschaft und Unterstützung
Stadtkreis: Stadtkreis Heidelberg
Projektträger: Stadt Heidelberg, Amt für Soziales und Senioren
Ort: Heidelberg
Schwerpunkt:
- Wohnungslose Personen
- Projekt im großstädtischen Raum
Fördersumme: 299.569,50 Euro
Kurzbeschreibung:
Durch das Projekt „Housing First Heidelberg“ sollen Menschen mit komplexen Problemlagen und in verfestigter Wohnungslosigkeit bedingungslos dauerhaft in ein „normales“ privates Mietverhältnis mit allen Rechten und Pflichten vermittelt werden. Die Teilnehmenden erhalten aktiv ergänzende Angebote, um weitere individuelle Problemlagen anzugehen, die Entscheidung über deren Nutzung liegt jedoch bei den Teilnehmenden. Dadurch sollen Stabilität, Sicherheit und Vertrauen entstehen, die letztlich in ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Leben führen und persönliche Selbsthilfekräfte wieder aktivieren.
Quantitative Ziele:
- Jährlich fünf bis sechs Wohnungen vermittelt = insgesamt 15 bis 18 Wohnungen
- Elf bis dreizehn Personen davon sind Ende 2026 noch immer im Mietverhältnis
- Einmal wöchentlich soll ein Kontakt stattfinden
Qualitative Ziele:
- Wohnraumakquise und Vermittlung von Wohnungen mit unbefristetem Mietvertrag
- Bereitstellen von verlässlichen Ansprechpersonen für Vermietende
- Wertschätzende, bestärkende und befähigende Zusammenarbeit mit Teilnehmenden ohne Zwang und Sanktionen
- Öffentlichkeitsarbeit und Einbeziehung von Multiplikatorinnen/Multiplikatoren
- Unterstützungsleistungen vor, während und auch bei Beendigung des eingegangenen Mietverhältnisses
Wohnungsnot in Baden-Württemberg
Anzahl wohnungsloser Menschen in Baden-Württemberg: Bundesweit wird seit 2022 jährlich eine statistische Erfassung wohnungsloser Menschen durchgeführt. Dabei können allerdings nur diejenigen verlässlich gezählt werden, die in Einrichtungen der Wohnungsnotfallhilfe untergebracht sind. In Baden-Württemberg waren es zum Stichtag 31. Januar 2023 rund 76.500 Personen.
„Housing First“-Ansatz: Der „Housing First“-Ansatz wurde ursprünglich in den USA entwickelt und wird als erfolgreicher Ansatz in der Bekämpfung von Wohnungslosigkeit zum Beispiel in Finnland und Österreich umgesetzt. Auch in Deutschland verbreiten sich seit 2018 „Housing First“-Ansätze in verschiedenen Städten und gelten in der Wohnungsnotfallhilfe als ein Erfolgsmodell, wohnungslose Menschen dauerhaft in Wohnraum zu vermitteln.
Vector Stiftung
Die Vector Stiftung wurde 2011 als unternehmensverbundene Stiftung gegründet. Die Stiftung besitzt 60 Prozent der Anteile der Vector Informatik GmbH und finanziert ihre Tätigkeit aus der Dividende, die sie aus dieser Beteiligung erhält. 150 Projekte fördert die Vector Stiftung durchschnittlich mit jährlich etwa zwölf Millionen Euro. Seit 2011 hat sie mehr als 80 Millionen Euro für ihre gemeinnützige Arbeit eingesetzt. Die Vector Stiftung ist auf den Gebieten Forschung, Bildung und Soziales Engagement in Baden-Württemberg tätig. Der Förderschwerpunkt liegt in technikwissenschaftlichen Forschungsprojekten, in der MINT-Bildung (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) sowie in der Bekämpfung der Wohnungs- und Jugendarbeitslosigkeit.