In vier Modellkommunen wurde seit 2019 ein Mobilitätspass diskutiert, der für ein verbessertes Angebot im öffentlichen Personennahverkehr sorgen soll. Nun hat das Verkehrsministerium ein Gutachten vorgestellt, das neue Wege zur Finanzierung des öffentlichen Nahverkehrs aufzeigt.
Ein Gutachten im Auftrag des Verkehrsministeriums zeigt neue Wege zur Finanzierung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) auf. Seit 2019 ist dafür in vier Modellkommunen ein Mobilitätspass diskutiert worden. Das Gutachten wurde heute der Öffentlichkeit vorgestellt.
Verkehrsminister Winfried Hermann sagte: „Wir brauchen eine Verdopplung der Nachfrage im ÖPNV bis 2030 in Baden-Württemberg, um die Klimaschutzziele zu erreichen. Für ein verbessertes Angebot benötigen die Kommunen mehr Mittel für Investitionen wie auch für einen ausgeweiteten Betrieb. Ein Mobilitätspass ist dafür ein sinnvoller Ansatz, den wir den Städten und Kreisen gerne anbieten wollen. Die Grundidee eines Mobilitätspasses ist es, dass zum Beispiel die Kraftfahrzeug-Halterinnen und -Halter einen wesentlichen Beitrag bezahlen, für den sie auch ein ÖPNV-Ticket beziehungsweise eine entsprechende Ermäßigung bekommen, den Mobilitätspass. Je nach der Höhe der Beiträge oder der Abgaben kann eine Verbesserung des ÖPNV-Angebotes und eine Ticketermäßigung finanziert werden. Es sollen die Kommunen entscheiden, ob und wenn ja, welches Modell eines Mobilitätspasses sie einführen wollen.“
Kommunen entscheiden selbst über Finanzierung
Untersucht wurden sowohl in Großstädten als auch im ländlichen Raum modellhaft die Einnahmepotentiale und die damit finanzierbaren Angebotsverbesserungen im öffentlichen Personennahverkehr sowie die administrative Ausgestaltung. In einem Rechtsgutachten wurde zudem die rechtliche Umsetzung der drei Instrumente betrachtet. Sie könnten durch eine Rechtsänderung des Landtags erfolgen.
Das Verkehrsministerium will mit den Erkenntnissen eine Rechtsgrundlage schaffen, damit alle Kommunen selbst über die Einführung des für sie passenden Finanzierungsinstruments entscheiden können. Ein Leitfaden und Informationsangebote sollen die Umsetzung unterstützten. So kann vor Ort die passende Finanzierungsform für mehr Busse und Bahnen gestaltet werden.
Einnahmen durch den Mobilitätspass
In den vier Modellkommunen wurde ein Mobilitätspass diskutiert, der zur ÖPNV-Nutzung für einen günstigen Preis berechtigt und dessen Einnahmen Verbesserungen im ÖPNV-Angebot ermöglichen. Die Abgabepflicht kann durch die Kommunen für die Einwohnerinnen und Einwohner, für die Kraftfahrzeug-Halter oder für die Kraftfahrzeug-Nutzer ausgestaltet werden, die jeweils eine Gegenleistung erhalten. Die Ergebnisse der Beiträge für Einwohner und Kraftfahrzeug-Halter im Überblick: Bei Gebühren für die Kraftfahrzeug-Nutzung von circa 40 Euro pro Monat sind ähnliche Verbesserungen im ÖPNV möglich:
Mobilitätspass für: | Erwachsene Einwohner: | Kraftfahrzeug-Halter: | Nutzen: |
Bad Säckingen | Zehn Euro | 30 Euro | Taktverkehr Innenstadt plus On-Demand-Verkehr Stadtteile |
Mannheim/Heidelberg | 30 Euro | 40 Euro | Nulltarif im Stadtverkehr für Einwohner* |
Tübingen | 17 Euro | 57 Euro | Nulltarif im Busverkehr für alle* |
Stuttgart | 20 Euro | 30 Euro | 100 Millionen Euro zusätzlich für Ausbau des Angebots |
* Inklusive Angebotsausweitung. Erläuterung: Der Nulltarif erfordert jeweils eine Ausweitung des Angebots. Dies ist in der Berechnung berücksichtigt und enthalten.
Stimmen zum Mobilitätspass
Raoul Schmidt-Lamontain, Dezernent für Klima, Umweltschutz und Mobilität, bei der Stadt Heidelberg, hob hervor: „Auch die Stadt Heidelberg begrüßt es, wenn der Landtag Baden-Württemberg Rechtsgrundlagen schafft, die den Kommunen die Möglichkeit eröffnen, einen Mobilitätspass, ob als Abgabe, Beitrag oder Gebühr umgesetzt, zu erheben. Zu prüfen wäre auch eine zweckgebundene Arbeitgeberabgabe entsprechend des französischen Modells „versement mobilité“. Danach möchte die Stadt Heidelberg im Detail weitere Optionen prüfen, die über die bisherigen Modelle hinausgehen werden.“
Marcus Geithe, Geschäftsführer der MKB Mannheimer Kommunalbeteiligungen GmbH, die unter anderem den Nahverkehr steuert: „Wir unterstützen die Initiative des Verkehrsministeriums zur Einführung neuer und nachhaltig stabiler Finanzierungsquellen für den ÖPNV ausdrücklich. Die Erstellung des Gutachtens hat gezeigt, dass es verschiedene Elemente gibt, die es sowohl politisch als auch vom Steuerungseffekt in verkehrlicher und finanzieller Hinsicht sowie der Belastung der Bürger weitergehend zu bewerten gilt. Wichtig ist, dass die Modelle nicht die bewährten Verkehrstarifverbünde in Frage stellen. Ferner sollte für die Umsetzung ein breiter Konsens zwischen den verschiedenen Gebietskörperschaften geschaffen werden, der in die Gesetzgebung einfließen muss. Dies verhindert einen Flickenteppich und stärkt die kommunale Selbstverwaltung.“
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer sagte: „Damit der ÖPNV, das Rückgrat der nachhaltigen Mobilität, sein Potenzial voll entfalten kann, muss die Finanzierung deutlich breiter verankert werden. Das Projekt Mobilitätspass hat mir gezeigt, dass mit einer breiten Basis große Verbesserungen erreicht werden können. Nachdem Instrumente wie Nahverkehrsabgabe oder Mobilitätspass jedoch noch nicht verfügbar sind, werden wir in Tübingen in einem ersten Schritt auf eine Erhöhung der Parkgebühren für den ÖPNV-Ausbau setzen.“
Der Bürgermeister von Bad Säckingen, Alexander Guhl, erklärte: „Wir begrüßen, dass mit dem Projekt Mobilitätspass ausgetretene Pfade verlassen wurden und neue ÖPNV-Finanzierungsmöglichkeiten ohne Denkverbote untersucht werden konnten. Die Verkehrswende kann nur funktionieren, wenn es auch Konzepte für den ländlichen Raum gibt. Was für die jeweilige Stadt oder Gemeinde das Richtige ist, muss vor Ort entschieden werden. Es wäre hierzu wünschenswert, wenn eine Gesetzesgrundlage für die Einführung eines Mobilitätspasses geschaffen würde. Wir sind grundsätzlich überzeugt davon, dass eine hohe Akzeptanz erreicht werden kann, sofern ein für alle Beitragszahler greifbarer Nutzen etwa in Form eines verbesserten Angebots transparent dargelegt wird. Mit dem Mobilitätspass kann der innerörtliche ÖPNV in Bad Säckingen als attraktives Angebot ausgestaltet werden.“
Dr. Michel Münter, Leiter des Referats Strategische Planung und Nachhaltige Mobilität der Stadt Stuttgart sagte: „Die Landeshauptstadt hat sich gerne an dem Gutachten zum Mobilitätspass beteiligt. Die Untersuchung hat das Themenfeld umfassend aufgearbeitet, spannende Ergebnisse erbracht und wir haben aus der Arbeit eine Reihe von neuen Erkenntnissen mitgenommen. Die Potenziale eines Mobilitätspasses für Stuttgart müssen nun ausführlich diskutiert werden.“
Gudrun Heute-Bluhm, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Städtetags Baden-Württemberg, sagte: „Wir danken den Modellkommunen für ihr Engagement für die Studie. Sie haben dazu beigetragen, dass nun solide Fakten über ergänzende Instrumente zur Verkehrsfinanzierung vorliegen, die es nun mit allen Beteiligten zu diskutieren gilt.“
Dazu der Hauptgeschäftsführer des Landkreistages Baden-Württemberg, Prof. Dr. Alexis von Komorowski erklärte: „Mobilitätspass-Modelle können ein geeignetes Instrument sein, um den ÖPNV über zusätzliche Einnahmen zu stärken. Damit muss allerdings auch ein Plus an Angebot und Qualität verbunden sein, um den ÖPNV für die Bürgerinnen und Bürger attraktiver zu machen. Zur Umsetzung der Verkehrswende im Sinne der Klima-schutzziele sehen wir den Mobilitätspass als einen Baustein innerhalb eines übergeordneten Landesmobilitätskonzepts an.“
Der Erste Beigeordnete des Gemeindetags Baden-Württemberg, Steffen Jäger: sagte: „Die wirksame Gestaltung einer klimagerechten Verkehrswende wird viel Geld kosten, das ist unbestritten. Es ist daher richtig, Ansätze zu entwickeln, die helfen können, diesen Finanzbedarf zielgerichtet und sozial verträglich zu decken. Ein Mobilitätspass ist dabei eine Möglichkeit, die nun ermittelten Ergebnisse müssen daher genau geprüft werden. Als Gemeindetag sind wir jedoch der klaren Überzeugung, dass die Gestaltung der Verkehrswende ganzheitlich und flächendeckend erfolgen muss und mögliche Instrumente in ein übergreifendendes Landesmobilitätskonzept integriert werden müssen. Denn es muss gelingen, die Verkehrswende in ganz Baden-Württemberg zu gestalten – in den Metropolen genauso wie in den ländlichen Räumen.“
Drei mögliche Instrumente
In den beiden Gutachten wurden drei Instrumente betrachtet:
Mobilitätspass für Einwohnerinnen und Einwohner („Bürgerticket“)
- Verpflichtende, monatlicher Beitrag der Einwohner eines
Erhebungsgebietes - Dafür erhalten Einwohner vergünstigte oder kostenfreie
ÖPNV-Nutzung (Mobilitäts-Guthaben)
Mobilitätspass für Kraftfahrzeug-Halter („Nahverkehrsabgabe“)
- Verpflichtende, monatlicher Beitrag der Kraftfahrzeug-Halter eines
Erhebungsgebietes - Dafür erhalten Kraftfahrzeug-Halter vergünstigte oder kostenfreie
ÖPNV-Nutzung (Mobilitäts-Guthaben)
Mobilitätspass für Kraftfahrzeug-Nutzer („Straßennutzungsgebühr“)
- Gebühr bei Nutzung definierter Straßen mit Kraftfahrzeug
- Dafür erhalten Kraftfahrzeug-Nutzer vergünstigte ÖPNV-Nutzung
(Mobilitäts-Guthaben)