Mit einem neuen Konzept für die gymnasiale Oberstufe gibt es mehr Qualität, mehr Flexibilität und mehr Raum für individuelle Begabungen beim Abitur in Baden-Württemberg. Dabei betont es die besondere Bedeutung der Grundlagenfächer und Fremdsprachen, legt aber auch einen verstärkten Fokus auf die Naturwissenschaften.
Die Landesregierung hat dem Konzept des Kultusministeriums zur Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe und der Abiturprüfung zugestimmt. „Das Konzept betont weiterhin die besondere Bedeutung der Grundlagenfächer Deutsch, Mathematik und Fremdsprachen. Darüber hinaus erhalten die Naturwissenschaften ein stärkeres Gewicht. Und gleichzeitig ermöglicht es die Weiterentwicklung der gymnasialen Oberstufe den Schülerinnen und Schülern, neue individuelle Schwerpunkte je nach Begabung und Interessen zu setzen“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Anschluss an die Sitzung des Ministerrats.
Neues Konzept soll besser auf Studium oder Ausbildung vorbereiten
Die Verbesserungen schlagen sich nieder in deutlich flexibleren Möglichkeiten der Kurs- und Prüfungsfächerwahl, einem Mehr an Unterrichtszeit in den Leistungsfächern und einer Stärkung der Naturwissenschaften. „Mit der Neuausrichtung wollen wir die Abiturientinnen und Abiturienten besser auf ein Studium oder auf eine berufliche Ausbildung vorbereiten und leisten somit einen Beitrag zur Sicherung des Wissenschafts- und Wirtschaftsstandorts Baden-Württemberg“, betonte der Ministerpräsident.
Die geplanten Neuregelungen gelten erstmals für Schülerinnen und Schüler, die im Jahr 2019 in die Kursstufe (Abiturjahrgang 2021) eintreten. Die Kursstufe beginnt bei G8 mit Klasse 11, bei G9 mit Klasse 12. Das Kultusministerium rechnet für die neue Oberstufe ab dem Schuljahr 2019/20 mit einem Mehrbedarf von 65 Deputaten. Diese sind im Regierungsentwurf des Haushalts für die Jahre 2018 und 2019 bereits enthalten.
Differenzierung und Förderung der Leistungsstarken
„Baden-Württemberg wählt bei der Neukonzeption der Kursstufe einen Weg, der das bisherige System gymnasialer Bildung konsequent qualitativ stärken soll. Mehr Qualität, mehr Flexibilität, mehr Raum für individuelle Begabungen. Das sind die Leitgedanken des neuen Konzepts“, sagte Kultusministerin Susanne Eisenmann. Das Konzept differenziert zwischen Leistungsfächern und Basisfächern und eröffnet dadurch neue Möglichkeiten zur Förderung der Schülerinnen und Schüler im Spitzenbereich.
Statt wie bislang fünf, belegen die Schülerinnen und Schüler künftig drei Leistungsfächer auf erhöhtem Niveau. Diese drei Leistungsfächer werden fünfstündig – statt wie bislang vierstündig – unterrichtet und im Abitur schriftlich geprüft. Als erstes und zweites Leistungsfach wählen die Schülerinnen und Schüler zwei Fächer aus Deutsch, Mathematik, Fremdsprache und Naturwissenschaft. Das dritte Leistungsfach wählen sie frei. „Die zusätzliche Stunde in den Leistungsfächern dient der Vertiefung und Übung – und soll denjenigen Schülern, die sich bewusst für diese Fächer entschieden haben, mehr Raum für Spitzenleistungen ermöglichen“, betont die Kultusministerin. „Das Mehr an Unterrichtszeit soll auch dazu beitragen, komplexe Themen systematisch und zusammenhängend vermitteln zu können.“
Die übrigen, nicht als Leistungsfächer gewählten Fächer, werden als Basisfächer belegt – wobei Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen und auch die Naturwissenschaften als Basisfächer dreistündig unterrichtet werden. Die anderen Basisfächer bleiben zweistündig. Die Profile naturwissenschaftlicher oder sprachlicher Bereich werden auch in der Kursstufe fortgesetzt, indem entweder zwei Fremdsprachen und eine Naturwissenschaft oder eine Fremdsprache und zwei Naturwissenschaften belegt werden müssen. Die Fächer Musik, Bildende Kunst und Sport sind auch als Leistungsfächer wählbar.
Mehr Raum für Spezialisierung
„Das Konzept geht besser auf die Begabungen der Schülerinnen und Schüler ein und erlaubt ihnen, die Fächer, die sie besonders interessieren, zu vertiefen und ihre individuellen Stärken zur Geltung zu bringen“, so die Ministerin. Deutsch, Mathematik und Fremdsprache stellten unverändert den Wissenskern gymnasialer Bildung dar. „Gleichzeitig wollen wir die Naturwissenschaften stärken, die im neuen Konzept den Fächern Deutsch, Mathematik und Fremdsprache gleichgestellt werden. Schülerinnen und Schülern mit Begabungen im MINT-Bereich können künftig einen stärkeren Schwerpunkt auf diese Fächer legen und ihre naturwissenschaftlichen Interessen vertiefen“, sagt die Ministerin. „Damit setzt Baden-Württemberg ein deutliches Signal für die Naturwissenschaften an den Gymnasien.“
Die neue Abiturprüfung
Das Konzept sieht drei schriftliche und zwei mündliche Prüfungen statt wie bislang vier schriftliche und eine mündliche Prüfung vor. Die schriftliche Prüfung erfolgt in allen drei Leistungsfächern. Deutsch und Mathematik sind als Prüfungsfächer (schriftlich oder mündlich) verpflichtend. Die bisherige Präsentationsprüfung als mündliche Prüfung wird abgeschafft. Diese Form der mündlichen Prüfung habe sich nach Auffassung zahlreicher Lehrkräfte und Fachleute als nur bedingt sinnvoll erwiesen, so die Ministerin.
Stattdessen haben die beiden mündlichen Prüfungen künftig das Format einer „klassischen“ mündlichen Prüfung. Sie besteht aus 20 Minuten Vorbereitung und 20 Minuten Prüfung. Dieses Format habe sich über Jahrzehnte bewährt und bereite gut auf die Prüfungskultur an den Universitäten und auf die Herausforderungen im Berufsleben vor. Außerdem wird die sogenannte Null-Punkte-Regelung neu eingeführt: Die Abiturprüfung ist nur dann bestanden, wenn in keinem der fünf Prüfungsteile null Punkte erzielt wurden. Wird eine der schriftlichen Prüfungen mit null Punkten bewertet, so besteht die Möglichkeit, eine freiwillige zusätzliche mündliche Prüfung in diesem Fach abzulegen.
Bessere Vergleichbarkeit des Abiturs
Maßgeblich für die gymnasiale Oberstufe und die Abiturprüfung sind in allen Ländern die Vereinbarungen der Kultusministerkonferenz. Diese Vereinbarungen sollen die Vergleichbarkeit der Leistungsanforderungen zwischen den Bundesländern erhöhen.
Zu nennen sind hier beispielsweise die seit 2012 vorliegenden Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife für die Fächer Deutsch, Mathematik und die fortgeführten Fremdsprachen Englisch und Französisch. Diese werden künftig um die Bildungsstandards der drei naturwissenschaftlichen Fächer Physik, Chemie und Biologie erweitert. „Auch insofern ist die Akzentuierung der Naturwissenschaften in Baden-Württemberg folgerichtig und konsequent“, so Eisenmann. Bereits im März 2012 hatte die Kultusministerkonferenz für die genannten Fächer den Aufbau eines gemeinsamen Pools von standardbasierten Abiturprüfungsaufgaben beschlossen, der den Ländern als Angebot für den Einsatz im Abitur seit dem Schuljahr 2016/17 zur Verfügung steht.
Die Kultusministerkonferenz hatte im Juni 2016 festgelegt, dass ab 2019 in der Kursphase nur noch maximal vier Fächer mit erhöhtem Anforderungsniveau erlaubt sind. Dies macht eine Neukonzeption der Kursstufe in Baden-Württemberg mit derzeit fünf Fächern auf diesem erhöhten Anforderungsniveau notwendig.
In Baden-Württemberg gibt es 378 öffentliche allgemein bildende Gymnasien, die von knapp 270.000 Schülerinnen und Schülern besucht werden (Schuljahr: 2016/17).
Die wichtigsten Änderungen im Überblick
So sehen Abiturprüfung und Oberstufe an den Gymnasien derzeit aus:
Abiturprüfung:
Die Schülerinnen und Schüler legen vier schriftliche und eine mündliche Prüfung ab, die Fächer Deutsch, Mathematik und eine Fremdsprache sind als Prüfungsfächer vorgegeben. Die mündliche Prüfung hat das Format der Präsentationsprüfung mit zehn Minuten Vortrag und zehn Minuten Colloquium. Das Prüfungsthema ist den Schülern im Voraus bekannt. Die mündliche Prüfung kann durch eine besondere Lernleistung ersetzt werden. Zum Beispiel durch einen Seminarkurs oder eine erfolgreiche Teilnahme an einem Wettbewerb. Es ist möglich, die Abiturprüfung zu bestehen, wenn eine Prüfung mit null Punkten bewertet wurde.
Kurswahl in der Oberstufe:
Die Kernfächer sind vierstündig. Die Schüler belegen fünf Kernfächer, dabei gibt es folgende Vorgaben bei der Belegung:
- Deutsch
- Mathematik
- Fremdsprache
- Fremdsprache oder Naturwissenschaft
- Frei wählbar
Alle anderen Fächer werden zweistündig unterrichtet.
So sehen Abiturprüfung und Oberstufe an den Gymnasien künftig aus:
Abiturprüfung:
Die Schülerinnen und Schüler legen in den drei gewählten Leistungsfächern je eine schriftliche und zwei mündliche Prüfung in den Basisfächern ab. Deutsch und Mathematik sind als mündliche oder schriftliche Prüfungsfächer verpflichtend. Die mündlichen Prüfungen haben künftig das Format einer „klassischen“ mündlichen Prüfung. Sie besteht aus 20 Minuten Vorbereitung und 20 Minuten Prüfung – bestehend aus zehn Minuten Vortrag und zehn Minuten Colloquium. Es ist weiterhin möglich, eine der beiden mündlichen Prüfungen durch eine besondere Lernleistung zu ersetzen. Zum Beispiel durch einen Seminarkurs oder eine erfolgreiche Teilnahme an einem Wettbewerb.
Null-Punkte-Regelung: Eine Abiturprüfung gilt als nicht bestanden, wenn ein Prüfungsteil – eine der drei schriftlichen Prüfungen oder eine der beiden mündlichen Prüfungen – insgesamt mit null Punkten bewertet wurde. Wird eine der schriftlichen Prüfungen mit null Punkten bewertet, besteht die Möglichkeit, hier eine freiwillige zusätzliche mündliche Prüfung in diesem Fach abzulegen, um die Prüfungsnote zu verbessern.
Kurswahl in der Oberstufe:
Leistungsfächer: Die neuen Leistungsfächer sind fünfstündig. Die zusätzliche fünfte Stunde kann zur Übung und Vertiefung genutzt werden. Es gibt folgende Vorgaben bei der Belegung: Als erstes und zweites Leistungsfach wählen die Schüler zwei Fächer aus Deutsch, Mathematik, Fremdsprache und Naturwissenschaft. Das dritte Leistungsfach wählen die Schüler frei. Die Profile – naturwissenschaftlicher oder sprachlicher Bereich – werden auch in der Kursstufe fortgesetzt, indem entweder zwei Fremdsprachen und eine Naturwissenschaft oder eine Fremdsprache und zwei Naturwissenschaften belegt werden müssen. Die Fächer Musik, Bildende Kunst und Sport sind auch als Leistungsfächer wählbar.
Basisfächer: Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen und Naturwissenschaften werden als Basisfächer dreistündig unterrichtet. Die übrigen Fächer werden zweistündig unterrichtet.