Der neue Landes-Behindertenbeirat von Baden-Württemberg kam am 15. März zu seiner ersten Sitzung zusammen. Der Landes-Behindertenbeirat ist ein wichtiges Kompetenzzentrum für Inklusion und Partizipation. Er soll die Interessen der Menschen mit Behinderungen im Land an der Schnittstelle zu Politik und Verwaltung vertreten.
Unter der Leitung der Landes-Behindertenbeauftragten, Stephanie Aeffner, trat der für die laufende Legislaturperiode neu bestellte Landes-Behindertenbeirat am 15. März 2017 in Stuttgart zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen.
„Der Landes-Behindertenbeirat ist für mich ein wichtiges Kompetenzzentrum für Inklusion und Partizipation, um die Interessen der Menschen mit Behinderungen im Land an der Schnittstelle zu Politik und Verwaltung nachhaltig vertreten und meinen Beratungsauftrag in allen Fragen der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen basisorientiert wahrnehmen zu können,“ betonte die Landes-Behindertenbeauftragte. „Ich danke allen, die sich im Haupt- oder Ehrenamt mit Ihren Beiträgen und Fähigkeiten als Experten in eigener Sache in das Gremium einbringen“, so Stephanie Aeffner weiter.
Umsetzung des Bundesteilhabegesetz
Bei der ersten Sitzung stand der Austausch mit Herrn Minister für Soziales und Integration, Manfred Lucha, zur Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes und zur Politik für Menschen mit Behinderungen im Mittelpunkt. „Von besonderem Interesse für die betroffenen Menschen sind insbesondere die Fragen, wen das Land als künftigen Träger der Eingliederungshilfe bestimmen wird, wie die Interessenvertretungen der Menschen mit Behinderungen an der Erarbeitung und Beschlussfassung des für die neue Eingliederungshilfe maßgeblichen Landesrahmenvertrags mitwirken und wie das Instrument zur Ermittlung des Hilfebedarfs landesweit eingeführt werden wird.
Besonderes Augenmerk werden die Mitglieder des Landes-Behindertenbeirats bei der Schaffung von Angeboten einer ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatung auf die Verankerung des sogenannten „Peer Counselling“, das heißt, der Beratung von Betroffenen für Betroffene, legen. Auch die Beteiligung der Interessenvertretungen an Schiedsstellenverfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen Leistungsträgern und Leistungserbringern ist Ausdruck des Grundprinzips der UN-Behindertenrechtskonvention ,Nichts über uns ohne uns´“, bekräftige die Landes-Behindertenbeauftragte. Der Landes-Behindertenbeirat werde den Prozess der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes im Land gerne aktiv mitgestalten.
Bezahlbarer barrierefreier Wohnraum
Der Landes-Behindertenbeirat klinkte sich in seiner ersten Sitzung in die aktuelle Diskussion der Wohnraum-Allianz ein, die zur Schaffung von bezahlbarem Wohnraum vom Standardabbau im Bauordnungsrecht spricht und dabei auch Abstriche bei der Barrierefreiheit in Kauf nehmen möchte. „Die UN-Behindertenrechtskonvention ist seit 26. März 2009 als Bundesgesetz in Deutschland in Kraft und verpflichtet das Land dazu, die Landesbauordnung und deren Vollzug stetig am Maßstab der Konvention zu prüfen sowie wirksame Gesetzgebungsmaßnahmen zur Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderungen vorzunehmen.
Dabei ist das Bauordnungsrecht der zentrale Anknüpfungspunkt zur praktischen Umsetzung baulicher Barrierefreiheit bei Neu- und Umbaumaßnahmen im Land und damit ein wichtiger Beitrag zur Verwirklichung der diesbezüglichen menschenrechtlichen Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention“, brachte Stephanie Aeffner die Position des Landes-Behindertenbeirats auf den Punkt. Die Zugänglichkeit beziehungsweise Barrierefreiheit als ein grundlegendes Prinzip der Konvention sei elementare Voraussetzung dafür, um Menschen mit Behinderungen eine selbstbestimmte unabhängige Lebensführung und die volle und gleichberechtigte Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen, so die Landes-Behindertenbeauftragte weiter.
Beschlüsse des Landes-Behindertenbeirats
Der Landes-Behindertenbeirat sieht nach dem bisherigen Verlauf der Beratungen der Wohnraum-Allianz Baden-Württemberg die Gefahr von Einschränkungen und Verschlechterungen im Bereich des barrierefreien Wohnungsbaus gegenüber dem geltenden Recht (§ 35 Absatz 1 Landesbauordnung verlangt seit 1. März 2015, dass in Wohngebäuden mit mehr als zwei Wohnungen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei zugänglich sein müssen. In diesen Wohnungen müssen die Wohn- und Schlafräume, eine Toilette, ein Bad und die Küche oder Kochnische barrierefrei nutzbar und mit dem Rollstuhl zugänglich sein). Deshalb fordern wir zur Deckung des unbestrittenen Mangels an barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum insbesondere die Berücksichtigung folgender Punkte, um Menschen mit Behinderungen und älter werdenden Menschen ein selbstbestimmtes Wohnen im örtlichen Sozialraum zu ermöglichen:
- Die Landesregierung ist in der Pflicht, bei der Gestaltung der baurechtlichen Rahmenbedingungen die Verwirklichung der Rechte von Menschen mit Behinderungen gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention zu berücksichtigen.
- In der Wohnraum-Allianz muss auch die Landes-Behindertenbeauftragte als Vorsitzende des Landes-Behindertenbeirats und Sprachrohr der Menschen mit Behinderungen mit Sitz und Stimme vertreten sein.
- Die Landesbauordnung ist der zentrale Anknüpfungspunkt zur praktischen Umsetzung von baulicher Barrierefreiheit bei Neu- und Umbaumaßnahmen im Land und damit zur Schaffung von bezahlbarem barrierefreiem Wohnraum.
- Barrierefreiheit ist ein grundlegendes Prinzip der UN-Behindertenrechtskonvention und damit unverzichtbare Voraussetzung für eine unabhängige Lebensführung und die freie Wahl des Wohnortes sowie für das Recht selbstbestimmt zu entscheiden, wie und mit wem Menschen mit Behinderungen leben möchten.
- Die UN-Behindertenrechtskonvention umfasst auch für den Bereich des Wohngebäudebestands die Verpflichtung, Barrieren konsequent abzubauen.
- Auf der Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention ist es geboten, bei Umbauten, Aufstockungen und Nutzungsänderungen die Herstellung der Barrierefreiheit auch für private Wohnungsbauten bauordnungsrechtlich vorzusehen. Härtefälle lassen sich aufgrund bestehender Ausnahme- und Befreiungstatbestände vermeiden. Ein genereller Dispens von der Verpflichtung zur Herstellung barrierefreier Wohnungen steht im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention und wird abgelehnt.
- Eine generelle Angleichung der Landesbauordnung an die sogenannte Musterbauordnung wird abgelehnt, da dies mit nicht vertretbaren Rückschritten für den Bereich des barrierefreien Bauens und die Zugänglichkeit öffentlicher Gebäude verbunden wäre.
- Eine Rückkehr bei den Regelungen zum barrierefreien Bauen auf den Stand der Landesbauordnung 2010 (das heißt in Wohngebäuden mit mehr als vier Wohnungen müssen die Wohnungen eines Geschosses barrierefrei erreichbar sein) widerspricht den Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention und wird abgelehnt. Das Land ist objektiv verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass Private – insbesondere beim Wohnungsbau – barrierefrei bauen. Auch die nach der Konvention zu gewährleistende „Unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft“ setzt voraus, dass ausreichend barrierefreier Wohnraum geschaffen wird.