Im Rahmen einer auswärtigen Kabinettssitzung in Brüssel hat sich die Landesregierung mit europapolitischen Schwerpunkten befasst. Aus Sicht von Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist eine starke Europäische Union von zentraler Bedeutung für Baden-Württemberg. Kretschmann traf auch die Präsidentin der Europäischen Kommission.
„Eine starke und global handlungsfähige Europäische Union (EU) ist für das Land Baden-Württemberg mit seiner weltweit vernetzten Wirtschaft und seinen zahlreichen Hochschulen, Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen von zentraler Bedeutung. Die europäische Zusammenarbeit ist überlebenswichtig, das ist nach den Erfahrungen aus der Pandemie und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine noch einmal verstärkt in das öffentliche Bewusstsein getreten“, betonte Ministerpräsident Winfried Kretschmann am Dienstag, 12. Juli 2022, am Rande der auswärtigen Kabinettssitzung in Brüssel. „Eine enge Kooperation ist das Schicksal Europas. Wir können im Wettbewerb mit Großmächten wie China und Russland nur bestehen, wenn wir unsere Stärken stärken“, so Kretschmann: „Vor diesem Hintergrund muss Europa noch näher zusammenrücken.“
Treffen mit EU-Kommissionspräsidentin
Beim Treffen mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, am Montagabend, 11. Juli 2022, habe deshalb das weitere Vorgehen mit der Schweiz nach dem Scheitern des Rahmenabkommens im Vordergrund gestanden. „Das Verhältnis zwischen der Europäischen Union und der Schweiz muss rechtssicher, verlässlich und offen für neue Kooperationsfelder ausgestaltet werden. Da braucht es politischen Willen auf allen Seiten. Es muss ernsthaft und kompromissbereit miteinander gesprochen werden. Wir müssen alles daransetzen, die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU wieder in positive Bahnen zu lenken.“ Ein großes Anliegen sei es vor allem, die Schweiz voll bei dem EU-Forschungsprogramm Horizon Europe zu assoziieren. Jedes vierte EU-Forschungsprojekt mit Beteiligung aus Baden-Württemberg habe auch Schweizer Partner. „Da geht es um die Quellen unseres Wohlstandes. Wir können im internationalen Standortwettbewerb um die besten Köpfe nur bestehen, wenn wir zusammenarbeiten“, machte Kretschmann deutlich.
Weitere Themen der Gespräche waren unter anderem die grüne und digitale Transformation in der Automobil- und Zulieferindustrie sowie die Umsetzung der Medizinprodukte-Richtlinie.
Donauraum als Instrument der Regionalentwicklung etabliert
Die Kabinettssitzung in Brüssel stand ebenfalls im Zeichen der vielfältigen europapolitischen Herausforderungen – von den Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine über die Umsetzung des European Green Deals bis zu einer denkbaren institutionellen Reform der EU. Unter anderem wurden dabei die Themen Flucht und Migration sowie aktuelle energiepolitische Fragen mit Vertreterinnen und Vertretern der Europäischen Kommission erörtert.
Der Staatssekretär für politische Koordinierung und Europa, Florian Hassler, stellte in einem mündlichen Bericht die besondere Bedeutung der Donauraumstrategie des Landes heraus: „Die Donauraumstrategie ist ein wesentlicher Bestandteil der Nachbarschaftspolitik des Landes Baden-Württemberg, bei dem auf Augenhöhe direkt mit Staaten in der Nachbarschaft zusammengearbeitet wird. Sie ist kein kurzfristiges Instrument zur Krisenbekämpfung, stattdessen geht es um langfristige, gemeinsame Regionalentwicklung.
Die Ukraine habe dieses Jahr als erstes Nicht-EU-Land die Präsidentschaft der Donauraumstrategie übernommen und führe diese trotz schwierigster Bedingungen weiter, so Hassler: „Damit zeigt das Land, dass es bereit ist, sich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen. Und es zeigt auch, wie wichtig diese regionalen Kooperationsstrukturen als Labor für die Zukunft der europäischen Idee sind: Hier wird im Kleinen die Zusammenarbeit auf allen Ebenen erprobt und in der Praxis gelebt.“ Die aufgebauten Netzwerke und langjährigen Kontakte zu den Kommunen und der Zivilgesellschaft im Donauraum böten die Chance, in der Krise schnell aktiv zu werden und zielgerichtet mit Projekten über die Landesgrenzen hinaus zu helfen.
Der Beitrittskandidaten-Status für die Ukraine sei ein wichtiger und richtiger Schritt sowie ein klares politisches Signal der Europäischen Union. „Wir unterstützen diese Entwicklung uneingeschränkt, wenngleich auch klar ist, dass es bis zum Beitritt noch ein langer Weg sein wird“, betonte Hassler.
Donauraumstrategie
Der Donauraumstrategie (EUSDR) gehören 14 Staaten mit insgesamt über 110 Millionen Einwohnern an und ist damit das einzige funktionierende Kooperationsnetzwerk in Südosteuropa, das auch Nicht-EU-Staaten wie der Ukraine eine gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht. Baden-Württemberg ist der Ukraine seit 2011 in der EU-Strategie für den Donauraum partnerschaftlich verbunden.
Die Ukraine hat am 1. November 2021 erstmals die Präsidentschaft der EUSDR übernommen und ein ehrgeiziges Programm vorgelegt, welches die europäischen Ambitionen des Landes deutlich zum Ausdruck bringt.
Baden-Württemberg hat dafür die vier Förderschwerpunkte Wirtschaft, berufliche Bildung, Umwelt sowie Capacity und zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit initiiert.
Konkret zu nennen sind hier die mit insgesamt ca. 350.000 Euro aus dem Projektfonds des Staatsministeriums unterstützten Projekte, darunter
- die Förderung des Stuttgarter Vereins MINE e.V. für ein Netzwerk der Mütter- und Familienzentren mit 100.000 Euro,
- die Einrichtung eines Kommunikations- und Internetstützpunkts „Pop-In-Point Ukraine“ für Geflüchtete mit 112.000 Euro der Stadt Ulm.
- Mit dem Projekt der AGAPEDIA Stiftung wurde zur besseren Koordination der grenzüberschreitenden Aktivitäten eine Schnittstelle für die zivilgesellschaftlichen Akteure geschaffen. Dieses Projekt wurde mit 120.000 Euro unterstützt. Perspektivisch soll dies künftig ergänzt werden um eine Koordinierungsstelle für die Ukrainehilfe beim Städtetag, um das bemerkenswerte Engagement der Städtepartnerschaften noch besser zu unterstützen.
Im Rahmen des Programms „Perspektive Donau der Baden-Württemberg-Stiftung“ stehen dieses Jahr zudem weitere 750.000 Euro der Zivilgesellschaft und den Kommunen zur Verfügung. Kleinere Projekte und Hilfsaktionen können hier kurzfristig bis zu 10.000 Euro Förderung für Projekte zur Unterstützung der Ukraine bekommen.