Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und des Saarlandes haben sich in der Vertretung des Landes Baden-Württemberg in Berlin zu energie- und industriepolitischen Fragen beraten und einen gemeinsamen Beschluss gefasst.
Gespräch der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland zu energie- und industriepolitischen Themen am 12. Mai 2023 in Berlin
Gemeinsamer Beschluss
Die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland fassen folgenden Beschluss:
- Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland unterstützen das Ziel des Bundes, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Der Bund hat bereits weitreichende Maßnahmen zur Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien auf den Weg gebracht. Dazu gehören die Gesetzespakete, mit denen zum Beispiel deutliche Erleichterungen für den Windenergieausbau, Vereinfachungen der immissionsschutzrechtlichen Regelungen oder Standardisierungen im Naturschutz erreicht wurden.
- Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland flankieren die Klimaschutzziele des Bundes durch zahlreiche Maßnahmen auf Landesebene.
- Dabei ist klar, dass sich Deutschland in einem weltweiten Wettbewerbsumfeld befindet. Ziel muss es sein, den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt attraktiv zu halten und wettbewerbsfähige Rahmenbedingungen zu schaffen. Die Transformation hin zur Klimaneutralität muss in ganz Deutschland gelingen, Unternehmen müssen im ganzen Land angemessene Möglichkeiten zur Entwicklung haben.
- Die Transformation muss so ausgestaltet werden, dass jederzeit eine sichere, verlässliche und bezahlbare Energieversorgung gewährleistet bleibt. Die Unternehmen in Deutschland brauchen Planungssicherheit und Rahmenbedingungen, die Investitionen in die Zukunft erlauben.
- Vor diesem Hintergrund halten die Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland insbesondere folgende Maßnahmen für erforderlich:
- a. die Forcierung des Ausbaus der erneuerbaren Energien
- durch die weitere Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Errichtung von, Freiflächen-Photovoltaikanlagen, Windenergieanlagen an Land sowie die Nutzung von Geothermie, Wasserkraft und Bioenergie;
- durch die Einrichtung von Länderöffnungsklauseln in Bundesgesetzen, um den Ländern weitergehende Flächenöffnungen für erneuerbare Energien zu ermöglichen;
- b. die Gewährleistung eines deutschlandweiten schnellen und zielgerichteten Wasserstoff-Hochlaufs
- durch die zeitnahe Festlegung von Umfang und Finanzierungsrahmen eines deutschlandweiten Wasserstoff-Startnetzes und eines verbindlichen gesetzlichen Rahmens für eine integrierte Netzentwicklungsplanung von Gas und Wasserstoff, unter Beteiligung von Bundestag und Bundesrat. Dies muss den Aufbau einer grenzüberschreitenden europäischen Wasserstoffinfrastruktur umfassen, die auf bestehende und auszubauende Gasnetzverbindungen aufbaut. Für ganz Deutschland muss das gleiche Tempo für den Aufbau des Wasserstoffnetzes gelten, um neue Unsicherheiten und eine Investitionszurückhaltung zu verhindern. In diesem Kontext ist der Aufbau einer nationalen Wasserstoffgesellschaft abzulehnen. Mit Blick auf die nötige Diversifizierung der Bezugsquellen insbesondere von grünem Wasserstoff muss ganz Deutschland sowohl mit dem Norden, Westen wie auch Süden Europas verbunden werden.
- durch einen zeitnahen Aufbau von lastnahen Elektrolyseuren in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland, um den zeitlichen Gap zwischen flächendeckender Pipelineversorgung und aufkommendem Bedarf zu überwinden. Dafür müssen vom Bund die entsprechenden Rahmen- und Förderbedingungen geschaffen werden, die eine H2-Erzeugung vor Ort in allen Regionen Deutschlands ermöglichen.
- durch eine angemessene Regulierung seitens der EU. So würde etwa eine strikte regulatorische Trennung des Betriebs von Wasserstoff- und Erdgasnetzen den Aufbau der Wasserstoffnetze aus dem Erdgasnetz heraus erheblich erschweren. Deshalb sind einfache und praktikable Regelungen analog zu den bestehenden Vorschriften für das Erdgasnetz klar zu bevorzugen.
- c. die zeitnahe Umsetzung der Maßnahmen zur Beschleunigung des Ausbaus der Stromübertragungsnetze durch die Bundesnetzagentur;
Die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland wollen den für den Ausbau der Erneuerbaren Energien erforderlichen Netzausbau auf der Übertragungs- und Verteilnetzebene bestmöglich unterstützen und vorantreiben.
- d. den Erhalt der liquiden deutschen Strompreiszone:
- Bei einer Aufteilung der Preiszone stünden einer möglichen Reduzierung der Börsenstrompreise in einer neuen Gebotszone nicht nur höhere Börsenstrompreise für die Stromverbraucher in anderen Gebotszonen gegenüber; die Trennung der Preiszonen hätte weitere schwerwiegende negative Auswirkungen zur Folge. Kleine Märkte sind ineffizienter als große: Die Liquidität sinkt, große Marktteilnehmer könnten ihre Marktmacht besser zulasten der Verbraucher ausspielen und die Variabilität des Strompreises würde steigen. Die damit einhergehenden Unsicherheiten und enormen Transaktions- und Umstellungskosten wirken investitions- und transformationshemmend und schaden dem gesamten Wirtschaftsstandort Deutschland. Dies würde allein aufgrund der geographischen und topographischen Zufälligkeiten eine strukturelle Benachteiligung für die industriellen Zentren im Süden und Westen Deutschlands bedeuten. Schon aus diesem Grund ist eine Aufteilung abzulehnen.
- Eine einheitliche Strompreiszone ist zudem zentraler Ausdruck des einheitlichen deutschen Wirtschaftsraums. Eine Schwächung der wirtschaftlich starken Länder des Südens und des Westens kann nicht im Interesse der Bundesregierung und auch nicht der norddeutschen Länder sein.
- e. die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen für einen zeitnahen und netzdienlichen Zubau von wasserstofftauglichen Gaskraftwerken;
- f. die Verbesserung der wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen bei Speichern
- g. die Einführung eines wettbewerbsfähigen und nachhaltigen Industriestrompreises zeitnah nach dem Auslaufen der Strompreisbremse zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit während der Transformation insbesondere der energieintensiven Industrie und der mittelständischen Unternehmen zur Klimaneutralität. Dabei darf ein Industriestrompreis nicht zu regionalen oder sektoralen Wettbewerbsverzerrungen führen. Er muss zudem rechtssicher, einfach und unbürokratisch umgesetzt werden, um insbesondere den Mittelstand nicht zu überfordern. Eine zeitliche Befristung wird angestrebt.
- h. den Erhalt eines angemessenen Einflusses der Länder in Regulierungsfragen.
Mit Blick auf die nötige Neuordnung der Regulierungslandschaft in Reaktion auf das EuGH-Urteil von 2021 zur Unabhängigkeit der Regulierungsbehörde fordern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland zudem, dass der bislang bestehende Einfluss der Länder auf die Regulierung der Netze über den Bundesrat (Zustimmungserfordernis) erhalten bleiben muss. Zentrale Regulierungsfragen wie die Netzentgelte dürfen nicht von der Bundesnetzagentur allein festgelegt werden. Hier ist ein Einvernehmen mit den Regulierungsbehörden der Länder herzustellen.
Gemeinsamer Beschluss zu energie- und industriepolitischen Themen am 12. Mai 2023 in Berlin (PDF)
Stimmen
„Wir stehen vor der gewaltigen Herausforderung, die fortschreitende Klimakrise einzudämmen. Dazu haben wir uns sehr ambitionierte Ziele gesetzt: Deutschland will bis 2045 die Klimaneutralität erreichen, Baden-Württemberg sogar bis 2040. Entscheidend wird aber sein, ob uns die Transformation unserer Wirtschaft gelingt, sodass sie klimaneutral wird und ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleibt. Denn nur wenn uns das als starker Industriestandort gelingt, können wir eine Blaupause für den Rest der Welt sein. Dafür müssen Unternehmen im ganzen Land angemessene Möglichkeiten zur Entwicklung haben. Deutschlandweit muss eine einheitliche, verlässliche und bezahlbare Energieversorgung gewährleistet werden. Ich spreche mich daher sehr deutlich gegen jede Aufteilung des Strommarktes in Deutschland in unterschiedliche Preiszonen aus.“
„Wir sprechen uns mit allem Nachdruck gegen Strompreiszonen in Deutschland aus. Das schwächt die wirtschaftlich vitalsten Regionen und schadet damit dem ganzen Land. Dabei gilt: Ja zur Klimaneutralität, aber Offenheit für den Weg dorthin. Energie muss sicher, verlässlich verfügbar und bezahlbar bleiben – alles andere führt zu schweren Verwerfungen und fehlender Akzeptanz bei den Menschen. Wir wollen Bürger und Wirtschaft gleichermaßen mitnehmen, keiner darf zurückbleiben. Unser Land darf nicht gespalten werden – weder sozial noch ökonomisch."
„Damit wir auch in Zukunft ein gutes Leben in Wohlstand führen können, müssen wir zu einem klimaneutralen Industrieland werden – das gelingt uns nur mit Zukunftstechnologien ,made in Germany'. Denn wir sind das Land der Dichter, Denker und Ingenieure."
„Die Länder im Westen und Süden des Landes sind die industriellen Zentren des Landes. Wer die Industrie im Süden und Westen schwächt, schwächt den gesamten Standort Deutschland. Um diese wichtigen Industriestandorte mit ihren guten Arbeitsplätzen zu erhalten und gleichzeitig die Transformation zur Klimaneutralität zu schaffen, braucht es grünen Strom und klimaneutralen Wasserstoff – und damit brauchen wir den Ausbau der Stromnetze und den Aufbau einer grenzüberschreitenden europäischen Wasserstoffinfrastruktur. Wir müssen den Strom und den Wasserstoff also dahin bringen, wo er gebraucht wird. Die Transformation hin zur Klimaneutralität muss in ganz Deutschland gelingen.“
„Die starken und erfolgreichen Industriestandorte in unseren Ländern tragen ganz wesentlich zum Wohlstand Deutschlands bei. Hohe Energiepreise erschweren den Wettbewerb erheblich. Die Herausforderungen im Süden und Westen Deutschlands sind dabei andere als im Norden. Wir müssen nicht nur die Energieversorgung bezahlbar sicherstellen, sondern auch die industriepolitische Transformation zur Klimaneutralität begleiten. Insgesamt wollen wir aber den Wirtschaftsstandort Deutschland überall attraktiv halten. Deshalb setzen wir uns gemeinsam für einen Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur auch grenzüberschreitend im Süden und Westen ein. Ganz entschieden treten wir auch für eine Beschleunigung des Ausbaus der Stromübertragungsnetze sowie für einheitliche Strompreiszone ein. Ein Industriestrom, also ermäßigte Strompreise und -Entgelte für Industrieunternehmen, sind ebenfalls dringend erforderlich. Insbesondere auch für solche Unternehmen, die in die Transformation ihrer Unternehmen zur Klimaneutralität investieren oder direkt aus der Region erneuerbaren Strom beziehen.“
„In Zeiten ungewöhnlicher Herausforderungen mobilisieren wir alle Kräfte, um sie gemeinsam zu bewältigen. Bezahlbare, erneuerbare Energie und damit verbunden Wasserstoff sind wichtige Schlüssel für die Zukunft der Industrie. Unser Treffen ist ein lautstarkes Signal, dass wir alle Anstrengungen unternehmen, auch wenn uns keine Nordsee für Windräder zur Verfügung steht.“