„Frauen brauchen keine Quote, sondern gleiche Chancen“, sagt Finanzministerin Edith Sitzmann im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten und der Stuttgarter Zeitung. Außerdem erläutert sie, was die Politik für Chancengleichheit tun kann und spricht über ihren persönlichen Karriereweg.
Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten: Frau Sitzmann, vor 100 Jahren haben Frauen in Deutschland das Wahlrecht erkämpft. Heute sind sie in Spitzenpositionen in Politik und Wirtschaft noch immer deutlich unterrepräsentiert. Sind Sie enttäuscht darüber?
Edith Sitzmann: Wenn ich die Situation heute mit der vor 100 Jahren vergleiche, hat sich sehr viel getan. Zwischen den Möglichkeiten, die meine Mutter – Jahrgang 1922 – und ich hatten, liegen Welten. In der Landesregierung beispielsweise sind ebenso viele Frauen wie Männer. Im Landtag sind die Frauen dagegen deutlich unterrepräsentiert, und ich wünsche mir deutlich mehr weibliche Abgeordnete. Es ist noch Luft nach oben – in Politik, Verwaltung und Wirtschaft. Da sind auch Vorbilder hilfreich. Das Wichtigste ist für mich das Bewusstsein, dass gemischte Teams – Männer, Frauen, Jung, Alt, Herkunft – zu besseren Ergebnissen führen.
Die geplante Wahlrechtsreform in Baden-Württemberg, die mehr Frauen ins Parlament bringen soll, ist gescheitert. Was halten Sie vom neuen Parité-Gesetz in Brandenburg, das die Parteien dazu verpflichtet, gleich viele Frauen und Männer zu nominieren?
Sitzmann: Leider haben wir für eine Wahlrechtsänderung weder mit der SPD noch mit der CDU eine Mehrheit gefunden. Ideal wäre ein Konsens mit allen Parteien, weil alle mehr Frauen nominieren sollten. Ob das Parité-Gesetz der Verfassung entspricht, ist umstritten, denn es tangiert verschiedene Grundrechte. Ich hoffe, dass es Bestand hat.
Sie haben Geschichte und Kunstgeschichte studiert – was hat Sie dazu gebracht, Finanzministerin zu werden?
Sitzmann: Während meines Studiums und auch danach hatte ich das nicht im Blick. Aber als Landtagsabgeordnete habe ich mich seit 2002 als finanzpolitische und wirtschaftspolitische Sprecherin intensiv mit diesen Themen befasst und von 2011 bis 2016 als Fraktionsvorsitzende die Haushalts- und Finanzpolitik der grün-roten Regierung mitgestaltet. Dabei konnte ich eine Menge Erfahrung sammeln. Es ist ein Bereich, der mir wirklich liegt.
Jeder Ausgabe auf ihren Mehrwert prüfen
Frauen und Geld: Wirtschaften Frauen anders?
Sitzmann: Ich wünsche mir, dass sich die Erkenntnis durchsetzt, dass viel Geld auszugeben noch keine besondere Leistung ist. Wir müssen bei jeder Ausgabe prüfen, welchen Mehrwert sie bringt. Ich will, dass auch die künftigen Generationen noch Gestaltungsmöglichkeiten haben. Deshalb halte ich mit großer Überzeugung das Kässle so gut wie möglich zusammen. Ob das spezifisch männlich oder weiblich ist, weiß ich nicht.
Welchen Einfluss hat die Landesregierung bei landeseigenen Unternehmen, oder solchen, an denen sie maßgeblich beteiligt ist, wenn es um die Besetzung von Top-Positionen geht?
Sitzmann: Wir haben durchaus Einfluss. In der Regel werden Personalberatungsunternehmen beauftragt, um geeignete Persönlichkeiten zu finden. In erster Linie zählt hier die Kompetenz, sie müssen ja einen guten Job im Interesse des Landes machen. Wir haben noch Optimierungsbedarf, was Frauen in Aufsichtsräten oder in Führungspositionen betrifft. Es gibt aber auch Erfolge. Bei der L-Bank ist seit fast zwei Jahren eine Frau im Vorstand. Auch bei der EnBW ist seit wenigen Tagen erstmals eine Frau im Vorstand.
Unter den sechs Vorständen der LBBW ist keine Frau. Sollte so ein öffentliches Unternehmen nicht mit gutem Beispiel vorangehen?
Sitzmann: Um neue Persönlichkeiten in den Vorstand zu bekommen, muss es zunächst mal überhaupt einen Personalwechsel geben. Gerade bei Banken haben wir außerdem durch die Bankenaufsicht ein sehr strenges Anforderungsprofil. Geeignete Kandidatinnen mit den entsprechenden Kompetenzen zu finden, geht nicht von heute auf morgen. Das sieht man auch in der Finanzverwaltung. Im Jahr 2000 hatten wir bei den 65 Finanzämtern keine Vorsteherin, heute sind gut ein Viertel der Top-Positionen und der Stellvertretungen mit Frauen besetzt.
Frauen brauchen keine Förderung, sie brauchen gleiche Chancen
Stimmt es, dass in der Bankbranche manche Top-Position mit einem Mann besetzt wird, weil die wenigen Top-Frauen um ihren Marktwert wissen und zu viel Geld verlangen?
Sitzmann: Das habe ich noch nie gehört und auch noch nie erlebt. Ich bin aber auch nicht in der ganzen Bankenbranche unterwegs und kann sie nicht komplett überblicken. Ich bin jetzt seit drei Jahren bei der L-Bank Verwaltungsratsvorsitzende und bei der LBBW im Aufsichtsrat.
Frauen sind bei Toppositionen in der Finanzbranche deutlich unterrepräsentiert. Müsste man Frauen hier besonders fördern?
Sitzmann: Frauen brauchen keine Förderung, sie brauchen gleiche Chancen: Entscheidend ist, dass wir bei Beurteilungen und Beförderungen immer mit dem gleichen Maßstab messen. Dass zum Beispiel also Teilzeitkräfte nicht benachteiligt werden. Und auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf muss wirklich gegeben sein.
Brauchen wir in der Wirtschaft nicht eine befristete Frauenquote für Führungspositionen?
Sitzmann: Die Grünen haben seit ihrer Gründung eine Quote – und wir sind nicht schlecht damit gefahren. Noch besser wäre es aber, ohne Quote auszukommen. Entscheidend ist deshalb das Wissen, dass gemischte Teams erfolgreicher sind. Auch Unternehmen sollten im eigenen Interesse von sich aus handeln. Es gibt Beispiele erfolgreicher Unternehmerinnen und wir haben bei börsennotierten Unternehmen Fortschritte bei Frauen im Aufsichtsrat zu verzeichnen. Aber wir sind immer noch im unteren zweistelligen Prozentbereich.
Also sind Sie gegen eine gesetzlich vorgeschriebene Quote?
Sitzmann: Wenn eine Partei wie die Grünen sich aus freien Stücken zu einer Quote verpflichten, ist das allemal besser, als wenn gesetzlich eine Quote vorgeschrieben wird. Dass Quoten Erfolg bringen, lässt sich nachweisen. Aber Freiwilligkeit ist immer besser als Vorschriften.
Frauen müssen länger um Respekt und Anerkennung kämpfen
Was raten Sie jungen Frauen, die jetzt ins Berufsleben starten?
Sitzmann: Ich rate ihnen, ehrgeizig zu sein, selbstbewusst aufzutreten, sich bei der Berufswahl auch zu überlegen, welche Aufstiegsperspektiven sie haben. Es ist wichtig, dass Frauen sich auch für technische, naturwissenschaftliche Berufe interessieren. Fachleute im Ingenieurwesen und der Informatik sind sehr gefragt, und hier sind die Aufstiegschancen für Frauen gut.
Werden Sie persönlich nach anderen Kriterien beurteilt als Ihre männlichen Vorgänger?
Sitzmann: Meine Beobachtung ist, dass ich als Frau etwas länger um Respekt und Anerkennung kämpfen und mich mehr beweisen musste als männliche Kollegen. Das ist aber keine Besonderheit im Ministeramt, das war auch vorher nicht anders.
Im öffentlichen Dienst müssen Männer und Frauen für die gleiche Arbeit gleich bezahlt werden, in der Wirtschaft ist das oft nicht der Fall. Wie lässt sich das ändern?
Sitzmann: In der Wirtschaft beträgt der Unterschied bei Führungskräften nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft elf Prozent. Dieser Missstand muss behoben werden. Das Entgelttransparenzgesetz ist ein erster Schritt und gibt Frauen die Möglichkeit, selbstbewusst in Gehaltsverhandlungen einzusteigen.
Die Fragen stellten Sabine Marquard und Maria Wetzel
Quelle:
Das Interview erschien am 7. März 2019 in den Stuttgarter Nachrichten und der Stuttgarter Zeitung