Namensbeitrag

Cleverle oder Träumerle

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Ministerpräsident Kretschmann besucht eine Gemeinschaftsschule.

„Wir müssen das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft wieder mit neuem Leben füllen”, schreibt Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seinem Namensbeitrag für die Huffington Post. Der entscheidende Schlüssel sei die Bildung, sagt das Flüchtlingskind Kretschmann. Daher habe die Bildungspolitik für ihn einen besonderen Stellenwert und zwar von der Kita bis in die Hochschule.

Ich war ein Flüchtlingskind. Meine Eltern sind nach dem Zweiten Weltkrieg aus Ostpreußen ins Schwäbische Land geflohen. Es war nicht einfach, hier Fuß zu fassen. Aber uns ist damals – wie vielen anderen auch – der soziale Aufstieg gelungen.

Ein solcher Aufstieg ist heute längst nicht mehr selbstverständlich. Deutschland ist zwar ein wohlhabendes Land, die Wirtschaft läuft und die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie seit einem Vierteljahrhundert nicht mehr.

Als Exportweltmeister profitieren wir von der Globalisierung. Aber es gibt auch eine andere Seite: Immer mehr Menschen sind prekär beschäftigt. Arbeitnehmer mit einfachen Tätigkeiten tun sich heute schwerer eine Familie zu ernähren als früher. Und die Perspektive, dass es den eigenen Kindern einmal besser gehen wird, ist unsicherer geworden.

Damit dürfen wir uns nicht abfinden. Wir müssen das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft wieder mit neuem Leben füllen. Dafür braucht es eine innovative und zielgerichtete Sozialpolitik, die niemanden im Stich lässt. Familien müssen gestärkt, entlastet und unterstützt werden.

Es ist die Bildung, Dummerle!

Der entscheidende Schlüssel ist aber: Bildung. Egal ob Cleverle oder Träumerle, ob Überflieger oder Spätstarter – jeder junge Mensch soll etwas aus seinem Leben machen können. Und das heißt: Er soll den für ihn besten und passenden Bildungsabschluss erreichen können. Wir wollen mit unserer Bildungspolitik in Baden-Württemberg Leistung für alle und Aufstieg durch Bildung ermöglichen. Als ehemaligen Lehrer treibt mich dieses Ziel an.

Bereits die Mütter und Väter unserer Landesverfassung haben erkannt, wie wichtig Bildungsgerechtigkeit ist: „Jeder junge Mensch hat ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage das Recht auf eine seiner Begabung entsprechende Erziehung und Ausbildung“, heißt es in der baden-württembergischen Verfassung.

Das ist für meine Landesregierung Auftrag und Ansporn zugleich. Das gilt umso mehr als Studien zeigen, dass der Bildungserfolg eines Kindes noch immer stark vom Geldbeutel und der Herkunft seiner Eltern abhängt.

So hat die Tochter eines Anwalts eine viel höhere Chance, Abitur zu machen und zu studieren, als der Sohn eines Arbeiters.

Das müssen wir überwinden. Mir geht es darum, den Bildungserfolg von der sozialen Herkunft zu entkoppeln. Um mit einem verbreiteten Missverständnis aufzuräumen: Das heißt nicht, dass wir die Ansprüche senken.

Vielmehr wollen wir ermöglichen, dass jedes Kind Leistung erbringen und seine Talente entfalten kann – egal ob es Lisa, Kevin oder Mehmet heißt, egal ob seine Eltern Ärzte oder Krankenpfleger sind.

Auf den Anfang kommt es an

Dabei kommt es besonders auf den Anfang an. Denn wir lernen nie wieder so schnell wie in den ersten Lebensjahren. Deshalb ist eine gute Kinderbetreuung so wichtig.

In meiner Zeit als Ministerpräsident haben wir die Zahl der Kita-Plätze für Kinder unter drei Jahren um über 50 Prozent erhöht. Und auch die Qualität stimmt: Wir haben in Baden-Württemberg den besten Betreuungsschlüssel der Republik.

Bei uns kommen im Schnitt auf eine Erzieherin gerade einmal drei Kinder unter drei Jahren. Auch die Sprachförderung an unseren Kindergärten haben wir ausgebaut und verbessert. Denn ohne gutes Deutsch wird sich ein Kind in der Schule immer schwertun.

Mehr Ganztag und individuelle Förderung

Wir bauen die Ganztagsschulen im ganzen Land konsequent aus. Das ist pädagogisch sinnvoll. Denn Kinder und Jugendliche lernen dort mehr und besser. Davon profitieren gerade auch Kinder, die es zu Hause nicht so leicht haben. Außerdem verbessern Ganztagsschulen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Mit der Gemeinschaftsschule haben wir eine neue Schulart eingeführt, die die individuelle Förderung ins Zentrum stellt.

Die Schülerinnen und Schüler lernen hier entsprechend ihrer individuellen Leistungsfähigkeit im jeweiligen Fach auf unterschiedlichen Lernwegen - und entfalten so ihre Fähigkeiten optimal. Davon profitieren die Schwächeren ebenso wie die Leistungsstarken. Die Gemeinschaftsschule entwickelt sich zu einem echten Erfolgsmodell: Bereits nach wenigen Jahren gibt es über 300 Gemeinschaftsschulen im ganzen Land. Und es zeigt sich, dass die Schüler dort mit höherer Motivation lernen.

Aber auch die Realschule und das bewährte Gymnasium stärken wir mit zusätzlichen Lehrern und mehr individueller Förderung. Ebenso die beruflichen Schulen. Außerdem investieren wir kräftig in die Schulsozialarbeit.

Denn manchmal sind es Probleme in der Familie oder auf dem Pausenhof, die Kinder in der Schule ausbremsen. Heute gibt es im Südwesten um über 50 Prozent mehr Schulsozialarbeiter wie vor meinem Regierungsantritt.

Qualität im Mittelpunkt

Für die kommenden Jahre legen wir den Schwerpunkt auf die pädagogische Qualität. Wir konzentrieren uns darauf, die Qualität der Schulen und des Unterrichts zu verbessern, etwa indem wir in der Grundschule die Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und Rechnen stärken.

Davon sollen gerade auch Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Elternhäusern profitieren.

Ende der Kreidezeit

Die Welt verändert sich – und mit ihr verändert sich unsere Gesellschaft. Darauf muss Bildungspolitik reagieren. Denn die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts lassen sich nicht mit den Rezepten des 20. Jahrhunderts lösen.

Wir haben das mit unseren Bildungsreformen beherzigt. Und so machen wir es auch mit der Digitalisierung: Wir beenden die Kreidezeit im Klassenzimmer und machen unsere Schüler fit für das digitale Zeitalter, beispielsweise durch Medienbildung, Informatikunterricht oder eine digitale Lernplattform.
Das ist notwendig, damit unsere Kinder später im Berufsleben durchstarten können.

Eine große Aufgabe

Aufstieg durch Bildung – das ist eine große Aufgabe, an der meine Regierung entschlossen und beharrlich arbeitet.

Wir haben schon viel auf den Weg gebracht, aber es gibt auch noch einiges zu tun. Denn noch immer bleiben Kinder zurück. Und mit den vielen Flüchtlingen, die zu uns gekommen sind, wachsen die Herausforderungen.

Dennoch bin ich zuversichtlich. Denn ich war selbst ein Flüchtlingskind. Und ich tue alles dafür, dass auch heute die Kinder und Jugendlichen die Chance zum Aufstieg bekommen. Dafür ist eine gute Bildung das Wichtigste was wir ihnen mit auf den Weg geben können.

Winfried Kretschmann

Quelle:

Der Namensbeitrag erschien am 22. März 2017 in der Huffington Post Deutschland.

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