Interview

„Die Autoindustrie hat ihre Lektion gelernt“

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Ministerpräsident Winfried Kretschmann während eines Interviews in der Bibliothek der Villa Reitzenstein (Bild: © dpa).

Im Interview mit der Südwest Presse spricht Ministerpräsident Winfried Kretschmann über ein Jahr Grün-Schwarz, warum Beliebtheit eine Herausforderung ist und wie sich der Autostandort Baden-Württemberg für die Zukunft rüsten kann.

Herr Kretschmann, ein Jahr regieren Sie nun mit der CDU. Ihr Zwischenfazit?

Winfried Kretschmann: Es läuft besser, als ich anfänglich befürchtet habe. Wir sind nach einem heftig geführten Wahlkampf nicht im Konfliktmodus verharrt. Und unser Verhältnis bessert sich beständig.

Woran liegt das?

Kretschmann: Im Regierungshandeln kommt man sich einfach näher. Als wir mit der SPD regiert haben, machte die CDU eine harte, teilweise auch destruktive Oppositionspolitik. Von diesem Modus auf Kooperation umzuschalten, ist eine gehörige Leistung. Atmosphärisch ist es heute mit der CDU sogar entspannter als mit der SPD, weil wir, was die Schwerpunkte anbelangt, nicht im selben Teich fischen und uns nicht permanent Konkurrenz machen. Andererseits ist es manchmal schwieriger, mit unserem jetzigen Partner Kompromisse zu finden als damals mit der SPD.

Ist ein solcher Kompromiss, dass Sie Ihren CDU-Innenminister Strobl Flüchtlinge nach Afghanistan abschieben lassen, obwohl die Sicherheitslage dort höchst umstritten ist?

Kretschmann: Die Sicherheitslage in Afghanistan zu bewerten, liegt in der Verantwortung des SPD-Außenministers. Und er ist der Meinung, dass nach Afghanistan abgeschoben werden kann. Auch nach kritischen Rückfragen von mir. Wir haben nur einen Ermessensspielraum, was die Auswahl der Personen anbelangt, wenn Hindernisse vorliegen wie etwa Krankheit, aber nicht bezüglich des Ziellandes.

In den Nebenabreden mit der CDU haben Sie einschneidende Sparmaßnahmen verabredet. Passiert ist bisher nichts. Profitiert Grün-Schwarz von den fetten Steuerjahren?

Kretschmann: Natürlich regiert man leichter bei einer guten wirtschaftlichen Lage als bei einer schlechten. Aber wir tun ja auch etwas dafür, dass es so bleibt. Inzwischen zwingt uns die gute Steuerlage nicht mehr zu drastischen Einschnitten. Die Nebenabreden dienten dazu, zwischen den Koalitionspartnern das aufzulisten, was möglich gewesen wäre. Ich würde das heute nicht mehr so machen, weil der Kollateralschaden, als das an die Öffentlichkeit gelangte, zu groß war.

Worüber ärgern Sie sich sonst noch?

Kretschmann: Mich ärgern Konflikte, die wegen taktischer Angelegenheiten ausgefochten werden, die kosten viel Zeit, Kraft und Nerven, und ellenlange Sitzungen. Nehmen Sie das Problem: Wie geht man mit dem Biber richtig um? Das ist in seiner Bedeutung durchaus begrenzt und könnte in einem ruhigen Gespräch geklärt werden, statt es vor der Öffentlichkeit auszubreiten.

Dann ist es viel schwieriger, den Konflikt zu lösen. Aber es gibt schon auch beglückende Momente als Ministerpräsident?

Kretschmann: Natürlich. Mir fallen da zwei ganz besondere Momente ein: Einmal der Beschluss, endgültig aus der Atomenergie auszusteigen, wofür wir Grüne sehr lange gekämpft haben. Dann die Aufnahme von 1.000 jesidischen, geschundenen Frauen in Baden-Württemberg, die wir aus einer barbarischen Situation herausholen konnten, etwas, das mir sehr nahe gegangen ist.

Sie werden immer wieder als Volkstribun bezeichnet, als grüner Superstar, als Kultfigur. Was empfinden Sie dabei?

Kretschmann: Das freut mich, aber ich bilde mir nichts darauf ein. Ich als Christ denke dabei immer: Zwischen ‚Hosianna’ und ‚Kreuzige ihn’ liegen im Zweifel nur drei Tage. Vielleicht gründet meine Beliebtheit darauf, dass ich offen mit den Menschen umgehe und eine Sprache spreche, die die meisten verstehen. Warum ich im Politbarometer vor bekannten Bundespolitikern liege, ist mir allerdings bis heute ein Rätsel. Beliebt zu sein, ist eine Herausforderung, denn man läuft Gefahr, eitel und sich selbst gegenüber unkritisch zu werden. Ich bemühe mich um Demut.

Haben Sie Angst vor dem Scheitern?

Kretschmann: Nein, da hilft mir mein Glaube. Als Politiker muss man immer damit rechnen, zu versagen, aber dann bin ich als Mensch vor Gott und vor meinen Lieben noch längst nicht gescheitert. Wichtig ist, dass man keine Angst davor hat, Verantwortung zu übernehmen – und da hilft mir mein innerer Kompass. Ich bin Grüner, ich will meinen Beitrag dazu leisten, die Schöpfung, die Natur zu bewahren. Und ich will das Land zusammenhalten, statt es zu spalten.

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Mobilitätswandel ist auch ein grünes Kernthema, nun geben ausgerechnet Sie den größten Diesel-Anhänger. Warum?

Kretschmann: Ich bin ein Anhänger des sauberen Diesels im realen Betrieb. Den gibt es. Wir brauchen ihn als Übergangstechnologie, weil er weniger Treibhausgase emittiert. Wir sind schließlich eine Klimaschutzpartei. Die Antwort auf die Frage, wie schnell wir in die neue Welt der Mobilität kommen, hängt vom Übergang ab. Die Transformation muss ja organisiert und finanziert werden. Wir wollen, dass unsere Autoindustrie da vorne ist. Nachhaltig wirken nur Modelle, die auch wirtschaftlich erfolgreich sind. Erst wenn wir zeigen, dass die Energiewende auch ökonomisch ein Erfolg ist, werden uns andere auf diesem Weg folgen.

Den Besitzern von nicht so sauberen Dieselfahrzeugen drohen in Stuttgart Fahrverbote, was zu viel Unmut geführt hat. Haben Sie den Aufschrei unterschätzt?

Kretschmann: Uns war klar, dass Fahrverbote in Deutschland zu einem Aufschrei führen. Das ist so, als würde man den Amis sagen: Wir nehmen Euch die Waffen weg! Das würde sich auch kein US-Präsident trauen. Wir hätten das auch nicht so gemacht. Die Gerichte zwingen uns zu wirksamen Maßnahmen. Wir machen die Fahrverbote ja nicht, um unser Mütchen an den Autofahrern zu kühlen. Ich erinnere daran: Es gilt nur an Tagen mit sehr hohen Feinstaub- und Stickoxidwerten. Nun stehen wir aber möglicherweise vor einer neuen Situation.
Was meinen Sie?

Kretschmann: Die Signale der Industrie, dass viele Dieselfahrzeuge nachgerüstet werden können, werden deutlicher.

Diese Fahrzeuge würden dann vom Verbot ausgenommen oder würde das Verbot ganz gekippt?

Kretschmann: Fahrverbote sind das letzte Mittel. Wenn wir sie nicht machen müssen, weil wir die Ziele – saubere Luft – auf anderem Wege erreichen, werden wir sie auch nicht machen.

Wer soll für die Nachrüstung zahlen?

Kretschmann: Das müsste man dann verhandeln. Erst müssen wir klären, was geht, was es bringt und was es kostet.

Haben Sie denn den Eindruck, dass die Autoindustrie verstanden hat, was die Stunde geschlagen hat?

Kretschmann: Die Autoindustrie hat ihre Lektion gelernt, da bin ich mir ziemlich sicher. E-Mobility, autonomes Fahren, vernetzter Verkehr.

Sehen Sie den Standort Baden-Württemberg für die Zukunft der Mobilität gerüstet?

Kretschmann: Ich sage mal so: Wir müssen den Standort für die Zukunft rüsten. Die Mobilität wird sich radikal verändern – mit massiven Auswirkungen auf die Arbeitsplätze im Land. Batteriezellen werden in erster Linie in Asien erzeugt, nicht in Baden-Württemberg. Dafür kommt mehr Technik ins Auto. Das heißt: Wir müssen schauen, dass die Jobs, die auf der einen Seite wegfallen, auf der anderen Seite neu entstehen – etwa im IT-Bereich. Dass Baden-Württemberg das führende Automobilland bleibt, ist unser Ziel und gleichzeitig eine große Herausforderung.

Wie kann eine Landesregierung Einfluss auf Weltkonzerne wie Daimler nehmen?

Kretschmann: Wir können als Treiber wirken. Auch deshalb habe ich zum sogenannten Autogipfel eingeladen, um den strategischen Dialog zum Transformationsprozess zu starten. Baden-Württemberg hat die Ressourcen und die Kompetenzen, um voranzugehen.

Sind weniger Autos also doch besser als mehr?

Kretschmann: Das gilt auf jeden Fall für die Staus, das merken jetzt auch die, die sich über meinen Halbsatz vor sechs Jahren so aufgeregt haben. Dass noch Millionen Autos weltweit dazukommen, wird so sein. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass es Autos werden, die Luft und Klima nicht weiter belasten. Wenn es mit der Erderwärmung weitergeht wie bislang, ruinieren wir den Planeten.

Die Fragen stellten Roland Muschel und Antje Berg.

Quelle:

Das Interview erschien am 5. Mai 2017 in der Südwest Presse und wird hier leicht gekürzt wiedergegeben.