Anlässlich des Welt-Autismus-Tages 2024 plädiert Landes-Behindertenbeauftrage Simone Fischer für mehr Sichtbarkeit und Akzeptanz der Belange von Autistinnen und Autisten.
Am 2. April ist der jährliche Welt-Autismus-Tag. Ziel ist es, auf die Lebenslagen und Bedürfnisse von Autistinnen und Autisten aufmerksam zu machen. Dieser Aktionstag ist insgesamt mehreren hunderttausend Menschen gewidmet, die allein in Deutschland betroffen sind. Der internationale Tag steht in diesem Jahr unter dem Motto „Not Invisible“, also „Nicht unsichtbar“.
Landes-Behindertenbeauftragte Simone Fischer äußerte sich dazu am 1. April 2024 in Stuttgart: „Unsichtbarkeit führt zu Ausgrenzung. Sichtbarkeit schafft Akzeptanz und Normalität. Die Belange von Autistinnen und Autisten müssen sichtbar und akzeptiert sein, damit die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Familien verbessert wird.“ Dies gelte insbesondere für Kinder und Jugendliche in Kita und Schule sowie für Autistinnen und Autisten mit höherem Assistenzbedarf.
„Der Wissenszuwachs über Autismus und die besonderen Teilhabebedarfe ist enorm. Vielen betroffenen Kindern und jungen Menschen nutzt das aber noch zu wenig“, so Simone Fischer. Beispielsweise berichten Eltern, dass sie mit missbilligenden Blicken gestraft werden, wenn ihr autistisches Kind bestimmte Regeln nicht einhält, Kinder und Jugendliche werden missverstanden und ihnen werde unterstellt, etwas nicht zu wollen, obwohl sie es schlicht nicht könnten.
Ringen um Zugang und Teilhabe bei Kindern mit Autismus
An die Ombudsstelle der Beauftragten werden Probleme herangetragen, bei denen es um den Zugang und die Teilhabe in Kitas gehe. Es betreffe beispielsweise die drastische Reduzierung von Betreuungszeit, insbesondere bei Personalengpässen, in einem Fall auf bis zu zwei Stunden pro Woche, während Kinder ohne Beeinträchtigungen die Kita weiterhin besuchen oder höhere Betreuungszeiten nutzen konnten. Die Umsetzung von Assistenzleistungen gestalte sich teilweise schwierig. Viele Kinder erhalten zwar dem Grundsatz nach Assistenz, zum Beispiel durch Inklusionskräfte, die Eltern sind hinsichtlich der Suche und Organisation aber häufig auf sich gestellt. Dies führe dazu, dass Kinder die Kita nicht oder nicht mehr besuchen dürfen, wenn sie keine Begleitung haben. Problematisch sei es auch, wenn bei Kindern die Diagnostik noch nicht abgeschlossen sei, der Bedarf noch nicht festgestellt wurde oder wenn sich die Zuständigkeiten zwischen SGB VIII und SGB IX aufreiben und die Kinder deshalb noch keine Eingliederungshilfe erhalten. Es liegen auch Eingaben zu Kündigungen vor.
„Aus diesen Anfragen geht hervor, dass Eltern für die Teilhabe ihrer Kinder häufig sehr kämpfen müssen. Belastend kommt hinzu, wenn ihnen vermittelt wird, dass sie das Problem sind oder wenn Wartezeiten für Beratung, Diagnostik und Therapieangebote sehr lang sind.“ Fehlende Inklusionskräfte, Erzieherinnenwechsel, steigende Gruppengrößen und die damit verbundene Reizüberflutung bei den betroffenen Kindern, Personalmangel, Unklarheiten über Zuständigkeiten und die damit zusammenhängende familiäre Belastung würden den Alltag der Familien erschweren.
Gute Ausstattung der Kitas notwendig
Die Beauftragte der Landesregierung Baden-Württemberg plädiert für eine gute Ausstattung der Kitas, um den Zugang der Kinder zu gewährleisten. Im Zentrum stehe die Stärkung der Erzieherinnen und Erzieher, der Eltern und Kinder. Dazu gehöre ein qualitativ-inklusiv ausgerichtetes Kita-Setting, die Bereitstellung von speziell strukturiertem Spiel- und Lernmaterial und Rückzugsmöglichkeiten, die Fort- und Weiterbildungen von Fachkräften für den Umgang mit neurodiversen Kindern sowie die Einstellung von pädagogischem Personal mit autismusspezifischer Zusatzqualifikation.
Kurze Wartezeiten für geeignete Beratungs- und Therapieplätze, eine gute Vernetzung zwischen Medizin und Kita, Beratung und Unterstützung durch Fachkräfte sowie die nachhaltige Unterstützung von Eltern und Angehörigen stellen Kriterien dar, die die Lebenssituation der Familien und die Voraussetzungen für alle Beteiligten verbessern.
Individuelles Wohnen und selbstbestimmtes Leben im Gemeinwesen ermöglichen
Im Vorfeld des Welt-Autismus-Tages besuchte die Landes-Behindertenbeauftragte zwei Wohnformen in Freiburg. Die kleinen Einheiten, eine Vierer-Wohngemeinschaft in Freiburg-Hochdorf sowie das inklusive sozialgenossenschaftliche Wohnprojekt VAUBANaise eG, wo alle mit Persönlichem Budget leben. Begleitet wurde sie von Sarah Baumgart, der Beauftragten für die Belange von Menschen mit Behinderungen der Stadt Freiburg und Boris Gourdial, Leiter des Amtes für Soziales und Senioren.
Simone Fischer würdigte den personenzentrierten Ansatz der kleinen Einheiten und das hohe Engagement aller Beteiligten: „Beide Wohnformen bieten vorbildhafte Voraussetzungen für das selbstbestimmte Wohnen und Leben von Autistinnen und Autisten mit höherem Assistenzbedarf. Es ist erfreulich zu sehen, wie die individuelle Begleitung dazu beiträgt, dass sie ein selbstbestimmtes Leben führen können, ihre Fähigkeiten wertgeschätzt werden und eine Einbindung in das Gemeinwesen möglich ist.“ Für diesen Personenkreis sei das individuell und reizarm gestaltete Wohn- und Lebensumfeld von großer Bedeutung, da es den Bedürfnissen und Persönlichkeiten sehr entgegenkommt, ihre Selbständigkeit und Lebensqualität verbessert.
Für Menschen mit besonderen Teilhabebedarfen, die deshalb ein individuelles Setting benötigen, sei es weiterhin nicht einfach, die geeignete Assistenz beim Wohnen und im Alltag zu finden. Die lange Suche nach dem geeigneten Lebensumfeld sei gerade für diesen Personenkreis und alle Beteiligten sehr schwer und vielfach belastend. Es gebe immer noch zu wenig dieser zeitgemäßen Wohnangebote in kleinen Settings, orientiert am Grundsatz der Sozialraumorientierung und der Partizipation, so Simone Fischer.
Frühzeitiger Zugang zu Beratung, Diagnostik und Therapie ist wesentlich
In Freiburg tauschte sich die Landes-Behindertenbeauftragte auch mit dem Zentrum für Autismus-Kompetenz Südbaden (ZAKS) aus. Insgesamt betrügen Wartezeiten bei Beratung, Diagnostik und Therapien für Autistinnen und Autisten deutschlandweit ein Jahr und länger. Simone Fischer betonte: „Es ist bedeutsam, dass Autistinnen und Autisten sowie ihre Familien früh die notwendige Unterstützung bekommen und auf Verständnis stoßen. Dies trägt dazu bei, dass sie weder in Kita, Schule, Ausbildung und Studium ausgegrenzt werden, im Berufsleben Fuß fassen und ihr Leben gestalten können. Eine frühzeitige Diagnose ermöglicht gezielte Fördermaßnahmen und kann gute Erfolge erzielen.“
Welt-Autismus-Tag
Der Welt-Autismus-Tag wurde 2007 von den Vereinten Nationen ins Leben gerufen, um das Bewusstsein für Autismus zu stärken und die Rechte von Menschen mit Autismus zu fördern. In Deutschland leben etwa 800.000 Autistinnen und Autisten, in Baden-Württemberg sind es rund 100.000 Bürgerinnen und Bürger.
Die von der Landesregierung geförderten Interdisziplinären Frühförderstellen (IFF) bieten einen niederschwelligen Zugang zur Frühförderung, um eine gezielte ganzheitliche Therapie und Förderung einzuleiten, Entwicklungsstörungen sowie drohenden oder bestehenden Behinderungen zu begegnen. Sie arbeiten unter anderem mit den Sozialpädiatrischen Zentren für Kinder und Jugendliche (SPZ) und den Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin zusammen und bieten eine zentrale und wichtige Anlaufstelle. Für das SPZ in der Nähe gibt es eine Kartensuche.
Informationen, Beratung und Unterstützung für Autistinnen und Autisten, Angehörige und Fachkräfte bietet der Bundesverband Autismus Deutschland e.V.. Dort gibt es auch eine Kartensuche für regionale Angebote.