Die Stuttgarter Krawallnacht jährt sich zum zweiten Mal. Seitdem hat sich in der Landeshauptstadt einiges getan. Es wurden maßgeschneiderte Maßnahmen auf den Weg gebracht, die die gewünschte Wirkung erzielen.
„Die beispiellose Gewalteskalation in der Nacht zum 21. Juni 2020 in Stuttgart wird uns sicherlich noch einige Zeit im Gedächtnis bleiben. Zwei Jahre sind seitdem vergangen – und seither hat sich in der Landeshauptstadt in Sachen Sicherheit einiges getan. Mit einer Sicherheitspartnerschaft haben wir maßgeschneidert reagiert und dafür gesorgt, dass die Stuttgarterinnen und Stuttgarter in der Landeshauptstadt nicht nur sicher sind, sondern sich hier auch sicher fühlen können. Freilich gilt auch: Wir bleiben am Ball, um die Sicherheit im öffentlichen Raum in Stuttgart weiter zu verbessern!“, so der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl.
Ausgehend von einer Festnahme wegen eines Rauschgiftdeliktes kam es in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2020 zu massiven Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt. Eine Menschenmenge, die in der Spitze bis zu 500 Personen umfasste, bewarf Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten mit Steinen und Flaschen, griff sie körperlich an, hinderte sie teilweise an der Versorgung von Verletzten und zerstörte Geschäfte und fremdes Eigentum. Bereits nach kurzer Zeit teilte sich die Menschenmenge in eine Vielzahl von unterschiedlich großen Gruppierungen, die randalierend und teilweise plündernd durch die Innenstadt von Stuttgart zogen. Trotz eines starken Kräfteaufgebots der Polizei konnte die unübersichtliche, dynamische und von Gewalt geprägte Einsatzlage erst in den frühen Morgenstunden beruhigt werden.
Einrichtung der Ermittlungsgruppe "Eckensee"
Bereits am 22. Juni 2020 richtete das Polizeipräsidium Stuttgart zur Aufklärung der Geschehnisse die Ermittlungsgruppe „Eckensee“ ein. In der Spitze arbeitete die Ermittlungsgruppe mit über 100 Mitarbeitenden und war damit die bislang größte jemals eingerichtete Ermittlungsgruppe im Land Baden-Württemberg. Die Tatvorwürfe reichten von versuchtem Totschlag, Körperverletzungsdelikten, räuberischem Diebstahl, Landfriedensbruch, tätlichem Angriff auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Diebstahl, Unterschlagung, Sachbeschädigung und falscher Verdächtigung bis zu Beleidigung.
„Wir erinnern uns an eine randalierende gewalttätige Menschenmenge, die Einsatzkräfte der Polizei und Rettungskräfte attackierte, 25 Einsatzfahrzeuge beschädigte, 41 Ladengeschäfte demolierte und 16 davon plünderte, insgesamt mehrere hunderttausend Euro Sachschaden verursachte und 32 Polizistinnen und Polizisten verletzte. Die Polizei hat sowohl in der Einsatzbewältigung als auch bei den akribischen Ermittlungen gegen 150 Tatverdächtige Herausragendes geleistet. So konnten die Kriminellen überführt und angemessen bestraft werden. In Summe handelt es sich dabei um rund 125 Jahre Jugend- und Freiheitsstrafen, davon über 50 Jahre ohne Bewährung“, so Minister Thomas Strobl.
Baden-Württemberg ist eines der sichersten Länder
Neben der harten und konsequenten Strafverfolgung war dem Innenminister wichtig, alles, alles dafür zu tun, dass die bei den Stuttgarterinnen und Stuttgartern sich auch wieder sicher in Stuttgart fühlen. Entsprechend wurde am 2. Juli 2020 zwischen dem Land Baden-Württemberg und der Landeshauptstadt Stuttgart auf Initiative des Innenministers Thomas Strobl eine Sicherheitspartnerschaft geschlossen. Es handelt sich dabei um ein besonderes sicherheitspolitisches Instrument, das der Innenminister bei einer herausragenden Problemstellung mit besonderer Breitenwirkung, insbesondere auf das Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen und Bürger, einsetzt. Dabei sind Land, Polizei und Kommune an einen Tisch und erarbeiten gemeinsam ein effektives Maßnahmenpaket , um ganz gezielt gegen bestimmte Problemzonen und anzupacken.
„Die Bilder und Videos aus der Stuttgarter Krawallnacht waren brutal und für die Menschen im Land, aber auch darüber hinaus verstörend. Die Sicherheitspartnerschaft war in dieser Situation genau das Richtige. Wir haben damit das klare und eindeutige Signal gegeben: Wir lassen die Stadt, die Stuttgarterinnen und Stuttgarter nach der Krawallnacht nicht alleine. Baden-Württemberg ist bundesweit eines der sichersten Länder. Und auch die Kriminalitätslage in Stuttgart entsprach freilich nicht diesen Szenen. Aber ein solches Ereignis wirkt sich selbstverständlich auf das Sicherheitsempfinden der Menschen aus. Gerade als Innenminister ist es mir wichtig: Die Menschen müssen objektiv sicher sein und sich auch sicher fühlen“ sagte Minister Thomas Strobl.
Weite Teile des 10-Punkte-Plans der Sicherheitspartnerschaft für ein Mehr an Sicherheit wurden bereits kurz nach Begründung der Sicherheitspartnerschaft bzw. im ersten Wirkungsjahr erfolgreich realisiert: Neben brennpunkt-orientierten Präsenzstreifen und Kontrollmaßnahmen, konsequentem Vorgehen gegen Intensivtäterinnen und Intensivtäter, der Durchführung öffentlicher Sicherheitskonferenzen und dem zielgerichteten Einsatz des Städtischen Vollzugsdienstes der Stadt Stuttgart wurde auch ein Beleuchtungskonzept umgesetzt.
Auch die Ertüchtigung einer offenen Videoüberwachung rund um den Stuttgarter Schlossplatz wurde konsequent vorangetrieben. In der Übergangsphase wurden ab Juni 2021 fünf vorhandene Kamerastandorte der Videobeobachtungsanlage des Finanzministeriums am Schlossplatz von der Polizei genutzt. Nach Machbarkeitsstudie, Sicherstellung der Finanzierung und Herstellung der Datenschutzkonformität, konnten zwischenzeitlich sieben der acht geplanten Kamerastandorte mit derzeit 23 Kameras in Betrieb genommen werden. Ende August 2022 soll die Maßnahme mit 30 Kameras an acht Standorten abgeschlossen werden.
„Bei der Videoüberwachung geht es darum, die Menschen, die sich friedlich in der Innenstadt aufhalten, noch besser zu schützen. Es ist also eine präventive Maßnahme. Wir wollen, dass die Menschen hier ausgelassen feiern und ihren Spaß haben können, und das aber sicher und ohne Gewalt! Vor der Schwelle zu Straftaten gibt es eine rote Linie. Die Kameras werden einen wichtigen Beitrag leisten, Straftaten und kriminelles Handelns weiter zu senken. Sie leisten aber auch einen wichtigen Beitrag für eine frühzeitige polizeiliche Intervention und – sollte es dennoch dazu kommen – bei der Aufklärung von Straftaten. Die Kameras sind damit ein wichtiges Zahnrad in unserem sicherheitspolitischen Uhrwerk.“ so der Innenminister.
Eine weitere zentrale Maßnahme ist die baldmöglichste Eröffnung eines Hauses des Jugendrechts in Stuttgart-Mitte zur Ergänzung des bestehenden Hauses des Jugendrechts in Bad Cannstatt. Zuletzt sind knapp neun Prozent aller landesweit ermittelten Tatverdächtigen unter 21 Jahren dem Tatortbereich Stuttgart zuzuordnen. Dies unterstreicht die Anforderungen an eine künftig für die gesamte Stadt zentralisierte Bearbeitung und Spezialisierung. Häuser des Jugendrechts vereinen in einer engen Kooperation alle an einem Jugendstrafverfahren beteiligten Akteure unter einem Dach: Staatsanwaltschaft, Polizei und Jugendhilfe. Ziel ist es einerseits, junge Straffällige schnell und angemessen mit Strafe zu sanktionieren, aber andererseits – mit Blick auf deren weitere Entwicklung − vor allem auch Hilfestellung zu geben, um der Kriminalität den Rücken zu kehren und auf einen legalen Weg zurück zu gelangen.
Weiterhin trugen nach der Krawallnacht polizeiliche Super-Recognizer im Rahmen der Ermittlungsgruppe „Eckensee“ ganz wesentlich zur Identifizierung von rund 60 Tatverdächtigen bei. Super-Recognizer gab es bis dato nur beim Polizeipräsidium Stuttgart. Dieser Erfolg und erkannte Mehrwert für die Polizei Baden-Württemberg wurde inzwischen deshalb landesweit ausgerollt. An der Hochschule für Polizei Baden-Württemberg wurde im Frühjahr 2021 ein mehrstufiges Testverfahren zur Identifikation von Super-Recognizern etabliert, das jährlich alle künftigen Absolventinnen und Absolventen des mittleren und des gehobenen Polizeivollzugsdienstes durchlaufen können. Die Hochschule kooperiert bei der Durchführung des Testverfahrens mit der Universität Greenwich (Vereinigtes Königreich). Super-Recognizer sind Personen, die über herausragende Fähigkeiten bei der Einprägung und Wiedererkennung von Gesichtern oder einzelnen Gesichtspartien verfügen.
Als weiterer Ausfluss der Krawallnacht wurde vor dem Hintergrund der Dynamik und Gefährlichkeit einer Lage wie in der Nacht auf den 21. Juni 2020 die Ausstattung der stehenden geschlossenen Einheiten der Polizei nochmals optimiert, in dem unter anderem in kürzester Zeit auf Veranlassung von Innenminister Thomas Strobl 1.200 Einsatzmehrzweckstöcke beschafft wurden. Diese ergänzen die dort vorhandene moderne Ausstattung, zu der unter anderem auch neue, verbesserte Einsatzhelme und eine optimierte Körperschutzausstattung gehören.
Zudem hat das Innenministerium die Rechtsgrundlage für örtliche Waffenverbotszonen erarbeitet, damit die Kommunen schon bald dort, wo sie es für wichtig und notwendig erachten; entsprechend tätig werden können.
Straftaten sinken, Aufklärungsquote steigt
„Die Nacht auf den 21. Juni 2020 war für Stuttgart einschneidend. Wichtig ist aber, dass man die richtigen Schlüsse daraus zieht und Maßnahmen ergreift, damit sich so etwas nicht noch einmal wiederholt. Das haben wir getan und das tun wir – soweit das irgend möglich ist – auch in Zukunft“, sagte Minister Thomas Strobl überzeugt.
Die Kriminalitätslage: Im weiterhin pandemiebelasteten Jahr 2021 ist die Anzahl der in Stuttgart registrierten Gesamtstraftaten erneut und um 16,4 Prozent auf 42.428 (2020: 50.736) Fälle gesunken. Dies ist der niedrigste Stand seit fast 40 Jahren (1984). Gleichzeitig werden mit 67,1 (2020: 67,2) Prozent zum wiederholten Mal mehr als zwei Drittel aller Straftaten in Stuttgart aufgeklärt. Hiermit liegt Stuttgart auch im landesweiten Vergleich erneut auf einem überdurchschnittlich hohen Niveau. Positive Entwicklungen sind zudem bei den Gesamtstraftaten im öffentlichen Raum sowohl in Stuttgart-Mitte als auch innerhalb des City-Rings festzustellen, der vorwiegend Schauplatz der Krawalle gewesen war.