Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut hat im Rahmen einer Pressereise verschiedene Unternehmen der Automobilwirtschaft im Raum Stuttgart besucht und vor Ort über den aktuellen Stand, die Chancen und die Herausforderungen der Transformation der Branche diskutiert.
„Es gibt weltweit kein vergleichbares Automobilcluster, in dem alle wichtigen Akteure und Kernkompetenzen auf so engem Raum versammelt sind wie in Baden-Württemberg. Das ist ganz klar unser Alleinstellungsmerkmal und das soll es auch bleiben. Die Systemkompetenz und das ganzheitliche Denken sind eine wesentliche Stärke unseres Standortes – und zugleich unser größtes Risiko. Wir müssen es schaffen, diese Systemkompetenz auch in den neuen Technologien und zukünftigen Mobilitätslösungen zu erhalten“, erklärte Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut anlässlich einer Pressereise zur Transformation in der Automobilwirtschaft.
Alternative Antriebe, Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und neue Mobilitätsmodelle seien die großen Game-Changer der Gegenwart und das Veränderungstempo enorm, erläuterte die Ministerin. „Die entscheidende Frage ist, wie es Baden-Württemberg gelingt, im scharfen Wettbewerb mit China und USA
Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Baden-Württemberg zu sichern. Wir haben bereits eine Menge erreicht und uns eine gute Ausgangslage erarbeitet. Aber jedem muss klar sein, dass wir erst am Anfang der Transformation stehen und jetzt richtig Gas geben müssen“, forderte Hoffmeister-Kraut. „Unser Ziel ist, dass auch die Mobilität der Zukunft ‘Made in Baden-Württemberg‘ ist.“
Klarer Fokus des Strategiedialogs auf Innovation und Beschäftigung
„Wir müssen uns im Rahmen unseres Strategiedialogs stärker als bisher auf die Frage konzentrieren, wie wir Innovation und Beschäftigung im Land sichern“, so Hoffmeister-Kraut. Mit Blick auf den künftigen Doppelhaushalt erklärte sie: „Wir brauchen einen klaren Investitionsschwerpunkt bei der Innovationsförderung.“ Hier müsse das Land ein starkes Signal setzen, um die Innovationsführerschaft Baden-Württembergs auch langfristig zu sichern.
Zunächst besuchte die Delegation das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart, das herausragende Kompetenzen in der Automatisierung und Digitalisierung von Prozessen der Batterieproduktion besitzt. „Wir müssen in Deutschland eine eigene Zellproduktion aufbauen“, so die Ministerin. Baden-Württemberg habe hier beste Voraussetzungen und vor allem die meiste Expertise. Schlüsseltechnologien für die Serienfertigung seien eine durchgängige Automatisierung und die Etablierung maschinenlernender Prozesse durch Künstliche Intelligenz. Mit VARTA sitzt der einzige deutsche Massenhersteller von Batteriezellen mit deutscher Technologie in Baden-Württemberg, der auf seinen aktuellen Marktsegmenten bereits Weltmarktführer ist und Ambitionen zum weiteren Wachstum auch im Bereich der Lithium-Ionen Zellproduktion bereits angekündigt hat.
Neues Batterieförderkonzept geht im August an BMBF
„Nach der Entscheidung für Münster erwarten wir vom Bundesforschungsministerium eine Kompensation in Höhe von 100 Millionen Euro neuer Fördermittel zum Aufbau von Forschungsfabrikationslinien in Ulm für Rund- und Pouchzellen. Denn aktuell kommt es in erster Linie auf Geschwindigkeit an, wenn wir am Markt erfolgreich sein wollen“, so Hoffmeister-Kraut. „Unsere Gespräche mit den Wissenschaftlern sind auf der Zielgeraden. Anfang August wird ein mit allen Partnern im Land abgestimmtes Konzept vorliegen. Wir werden somit noch im August unser Förderkonzept im BMBF einreichen“, gab Hoffmeister-Kraut bekannt. „Unser Ziel ist die Entwicklung einer nachhaltigen Batterie, die sich betriebswirtschaftlich lohnt und damit gegenüber den asiatischen Konkurrenten auch wettbewerbsfähig ist. Wir betrachten hierbei Produkt, Prozesse sowie die Fabrik.“ Ziel des Konzeptes seien kobalt- und fluorfreie, nachhaltige Elektrodenprozesse, die Minimierung von Materialflüssen und Energieverbräuchen sowie die Umsetzung von Materialkreisläufen. Schlüssel hierfür ist die Digitalisierung mit Datenanalyse, Modellierung und Simulation auf Produkt-, Prozess- und Fabrikebene. Diese Produktionslinie solle in die in Ulm bereits vorhandenen Forschungsproduktionslinien (FPL) implementiert und validiert werden, so dass eine schnelle Umsetzung und ein zeitnaher Transfer in die Industrie möglich werde.
Plädoyer für technologieoffenen Ansatz und „well-to-wheel“-Betrachtung
Mit Blick auf den Besuch bei Mahle sagte Hoffmeister-Kraut: „Die batterieelektrische Mobilität wird künftig von besonderer Bedeutung sein und wir müssen alles daransetzen, den Ausbau schneller als bislang zu forcieren. Trotzdem müssen wir den Transformationsprozess technologieoffen gestalten: Wir haben in Deutschland weit über 40 Millionen Pkw, zum Großteil mit Verbrennungsmotor. Wenn wir den CO2-Ausstoß im Verkehr schnell reduzieren wollen, können wir nicht warten, bis diese riesige Fahrzeugflotte gegen Autos mit anderen Antriebstechnologien ausgetauscht ist.“ Hoffmeister-Kraut forderte deshalb auf EU-Ebene endlich eine Klimabilanz, die mit gleichen Maßstäben misst. Dazu zähle nicht nur die Einbeziehung synthetischer Kraftstoffe bei der Erreichung der Klimaziele. Denn synthetische Kraftstoffe seien eine weitere Schlüsseltechnologie auf dem Weg zur klimaneutralen Mobilität.
„Angesichts des dramatischen Klimawandels brauchen wir statt der bisherigen ‘tank-to-wheel‘ außerdem endlich eine ‘well-to-wheel‘-Betrachtung, also eine Gesamtbetrachtung von der Quelle an und nicht bloß vom Tank bis zum Rad. Denn für das Weltklima zählt nicht nur der direkte Ausstoß des Autos, sondern gerade auch die Emission der Kraftstoff- und Stromerzeugung. Diese Gesamtbilanz muss in die nächste Runde der CO2-Gesetzgebung einfließen“, forderte Hoffmeister-Kraut in Richtung EU.
Scharfe Kritik an Bundesregierung
„Angesichts des rasanten Veränderungstempos kann man sich über das Tempo der Bundesregierung derzeit nur wundern“, kritisierte Hoffmeister-Kraut. „Der Bund ist hier ganz besonders gefordert, jetzt die Rahmenbedingungen richtig zu setzen.“ Dazu zählten eine schnelle Umsetzung der steuerlichen Forschung- und Entwicklungsförderung, die auch die Auftragsforschung beinhalte, die gerade für den Mittelstand essentiell sei. Außerdem sei eine umfassende Unternehmenssteuerreform überfällig, damit die Unternehmen angesichts der dringend notwendigen Milliardeninvestitionen in die Transformation international wettbewerbsfähig blieben. „Das ist erst recht ein Gebot der Stunde angesichts der derzeitigen konjunkturellen Abkühlung“, so die Ministerin.
Sie forderte darüber hinaus massive Investitionen in die Ladeinfrastruktur und eine Novellierung des Wohnungseigentumsgesetzes, um die E-Mobilität erfolgreich auf die Straße zu bringen. Hoffmeister-Kraut weiter: „Die CO2-Bepreisung kommt, ob nun als Steuer, als Zertifikat oder beides. Wir brauchen vor allem rasch Klarheit, was auf Verbraucher und Hersteller zukommt. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, Planungssicherheit zu schaffen – und zwar mit mittel- bis langfristiger Perspektive.“
Digitalisierung revolutioniert Fahrzeugbau und Mobilitätssektor
Beim Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS) besuchte die Ministerin Europas größten Fahrsimulator sowie einen einzigartigen Fahrdynamikprüfstand. „Mit der Digitalisierung erleben wir eine Revolution im Fahrzeugbau und im Mobilitätssektor. Etablierte und neue Geschäftsmodelle verändern die Kunden-Lieferanten-Schnittstellen, Entwicklungs- und Fertigungsanteile verschieben sich von mechanischen hin zu digitalisierten Elementen und Softwares. Insbesondere an diesen Schnittstellen bestehen besonders hohe Wertschöpfungspotenziale und begünstige disruptive Technologien“, so Hoffmeister-Kraut.
Beim Besuch bei Daimler in Stuttgart-Untertürkheim stand anschließend die Besichtigung der Produktion eines hochmodernen und hocheffizienten Vierzylindermotors auf dem Programm. Außerdem diskutierte Hoffmeister-Kraut bei Daimler mit den Presse- und Unternehmensvertretern über neue Mobilitätslösungen sowie über die Standortentwicklung im Zuge der Transformation.
Große Auswirkungen der Transformation auf Maschinen- und Anlagenbau
Mit dem Wandel vom Verbrennungsmotor hin zum elektrischen Antriebsstrang ergebe sich nicht nur ein Wandel im Produkt Fahrzeug selbst, sondern auch in der Produktionstechnik. „Wenn wir über die Transformation der Mobilität reden, dürfen wir nicht nur auf die Fahrzeughersteller und Zulieferer schauen, sondern müssen auch den Maschinen- und Anlagenbau mitnehmen“, erläutert die Ministerin beim Besuch des Unternehmens Gehring Technologies in Ostfildern. Für die Herstellung eines elektrischen Antriebsstrangs seien andere Technologien, Kompetenzen und schlussendlich Maschinen und Anlagen erforderlich. Dies wirke sich massiv auf die Maschinen- und Anlagenhersteller, die Fabrikausrüster unserer Automobilindustrie, aus.
„Wir erleben aktuell eine deutliche Beschleunigung im Wandel der Mobilität, der Erwartungen seitens Politik und Gesellschaft und letztlich im Nutzer- und Käuferverhalten. Diese zunehmende Dynamik wird überlagert von schwelenden Handelskonflikten und anspruchsvollen volkswirtschaftlichen Bedingungen auf wichtigen Märkten. Diese Gemengelage macht es für alle Akteure aktuell so herausfordernd. Standortentwicklungen benötigen Zeit. Beschäftigungsstrukturen, Qualifikationen usw. lassen sich nicht von heute auf morgen umschalten. Wenn wir in Baden-Württemberg weiter Erfolg haben wollen, sind bei der Transformation alle Beteiligten gefordert. Nur so können wir auch auf den internationalen Märkten bestehen“, so das Fazit der Wirtschaftsministerin.
Wirtschaftsministerium: Strategiedialog Automobilwirtschaft Baden-Württemberg