Nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle stellt die Landesregierung zusätzliche Mittel für den Schutz jüdischer Einrichtungen zur Verfügung. Ministerpräsident Winfried Kretschmann rief dazu auf, sich als Gesellschaft gemeinsam und mit aller Entschlossenheit neuem Judenhass entgegenzustellen.
„Der Terrorakt auf eine Synagoge in Halle lässt einen fassungslos und beschämt zurück. Ein Dreivierteljahrhundert nach dem Menschheitsverbrechen des Holocaust müssen Juden in Deutschland wieder um ihr Leben fürchten, wenn sie sich in der Synagoge zum Gebet treffen. Das ist unerträglich. Lassen Sie uns deshalb als Gesellschaft gemeinsam mit aller Entschlossenheit dem neuen Judenhass entgegenstellen. Denn der Antisemitismus zielt auf den Kern unserer Verfassungsordnung, auf den Kern dessen, an was wir als Demokraten glauben: Nämlich die gleiche unantastbare Würde jedes einzelnen Menschen“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
Gemeinsam mit aller Entschlossenheit dem neuen Judenhass entgegenstellen
Zuvor hatte sich der Ministerrat mit dem Anschlag von Halle und dem Schutz jüdischer Einrichtungen im Land beschäftigt. „Die Nachrichten aus Halle waren schrecklich anzuschauen. In Baden-Württemberg haben wir sofort nach Bekanntwerden des Anschlags die ohnehin starken Schutzmaßnahmen an jüdisch-israelitischen Einrichtungen noch einmal verstärkt. Die erhöhten Schutzmaßnahmen werden aktuell so auch aufrechterhalten. Zudem haben die Sicherheitsbehörden, aber auch Ministerpräsident Kretschmann und ich persönlich, Kontakt zu allen Ansprechpartnern der Israelitischen Religionsgemeinschaften aufgenommen. Mir war wichtig, unmittelbar mit den Vorsitzenden der Israelitischen Religionsgemeinschaften in Württemberg und Baden, Frau Professorin Traub und Herrn Suliman, zu sprechen. Ministerpräsident Kretschmann und ich werden diese Woche auch Vertreter der Jüdischen Gemeinden treffen und besprechen, wo noch Handlungsbedarf bestehen könnte“, sagte der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl.
Kabinett beschließt zusätzliche Mittel zum Schutz jüdischer Einrichtungen
Das Kabinett hatte zuvor beschlossen, zum Schutz jüdischer Einrichtungen außerplanmäßig Mittel in Höhe von zusätzlich 1 Million Euro zur Verfügung zu stellen. „Wir stehen an der Seite der Jüdinnen und Juden im Land. Wir haben hier eine historische Verantwortung – und werden deshalb alles dafür tun, dass sie in Deutschland sicher leben können. Der Schutz jüdischer Menschen und jüdischen Lebens ist und bleibt die besondere Verantwortung des Staates“, bekräftigte Strobl.
Erst jüngst, am 23. September 2019, habe das Innenministerium gemeinsam mit der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) mit einem Fachtag zum Thema „Antisemitismus – Jüdisches Leben zwischen Sicherheit und Unsicherheit“ ein sehr deutliches Zeichen gegen Antisemitismus sowie jede Form von Extremismus gesetzt. „Der Kampf gegen Antisemitismus beschäftigt mich seit meinem ersten Arbeitstag als Innenminister“, so der Minister. Antisemitismus habe viele Facetten, die meisten Straftaten kämen aber weiterhin aus dem rechtsextremistischen Bereich. Der Anschlag in Halle habe diese Erkenntnis besonders drastisch und schmerzlich verdeutlicht.
Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus ist Aufgabenschwerpunkt
Trotz der vergleichsweise niedrigen Belastung an registrierten antisemitischen Straftaten im Land führe das nicht zu einer Entspannung bei dem Thema, zumal man von einer gewissen Dunkelziffer ausgehen müsse. Innenminister Strobl: „Hier gibt es eine klare politische Ansage an die Sicherheitsbehörden in Baden-Württemberg: Wehret den Anfängen. Jede antisemitische Tat verursacht tiefe Wunden bei Jüdinnen und Juden, aber auch im Herzen einer jeden Demokratin und eines jeden Demokraten“.
Der Kampf gegen Rechtsextremismus und gegen Antisemitismus sei ein Aufgabenschwerpunkt im Land, so der Minister. Es würden umfassende Maßnahmen getroffen, um potentielle Attentäter möglichst frühzeitig zu erkennen. Zudem würden angepasste Schutzmaßnahmen ergriffen. Veranstaltungen wie der jüngste Fachtag förderten den Austausch und seien eine gute Plattform, das alltägliche Leben in der jüdischen Gemeinde – etwa an der jüdischen Schule, am Jugendzentrum sowie der Synagoge – besser kennenzulernen.
Jüdisches Leben als selbstverständlicher Teil des Alltags
Ministerpräsident Kretschmann betonte: „Die Sicherheit für die Jüdinnen und Juden im Land zu gewährleisten – das ist unsere erste Pflicht. Wir dürfen aber nicht bei der Sicherheit stehen bleiben. Es reicht nicht aus, jüdisches Leben hinter hohen Mauern und unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen zu gewährleisten. Mir geht es vor allem darum, dass blühendes jüdisches Leben ein ganz selbstverständlicher Teil unseres Alltags ist – auf den Plätzen und Straßen, in Schulen und Vereinen. Wir brauchen lebendige Gemeinden und das Miteinander von Juden und Nicht-Juden – unter Nachbarn, Kollegen und Freunden. Denn direkte menschliche Begegnungen von Mensch zu Mensch sind der beste Weg, um Vorurteile zu überwinden und um Antisemitismus gar nicht erst entstehen zu lassen.“
Für die örtlichen Einrichtungen der Israelitischen Religionsgemeinschaften habe man polizeiliche Ansprechpartner benannt, die einen vertrauensvollen und dauerhaften Dialog insbesondere zum Thema Sicherheit gewährleisten, sagte Strobl. Zudem sei das Thema Antisemitismus und dessen Bekämpfung seit vielen Jahren auch fest in der Aus- und Fortbildung der Polizei verankert. Antisemitische Straftaten können bei jeder Polizeidienststelle oder im Internet angezeigt werden. Die Polizei des Landes Baden-Württemberg bietet Bürgerinnen und Bürgern und Betroffenen hierfür mehrere Möglichkeiten an. Neben einer Anzeige per E-Mail über die „Internetwache der Polizei Baden-Württemberg“ steht das anonyme Hinweisaufnahmesystem BKMS zur Verfügung.
Weitere Maßnahmen im Kampf gegen Extremismus
Mit dem Kompetenzzentrum gegen Extremismus in Baden-Württemberg konex habe das Land darüber hinaus eine herausragende Einrichtung zur Extremismusbekämpfung. „Wir haben konex deshalb auch ganz wesentlich gestärkt und ganz bewusst die Extremismusprävention auf alle Fälle des Extremismus ausgeweitet. Wir klären dort auf, arbeiten aber auch gezielt daran, Menschen den Ausstieg aus der Szene zu ermöglichen“, so Strobl. In diesem Zusammenhang habe das Land auch seine Sensibilisierungsmaßnahmen noch einmal erhöht. Dazu wurden in den Fortbildungsprogrammen ausgewählte Zielgruppen wie Schulpsychologen und Bewährungshelfer gezielt zum Thema Antisemitismus geschult und sensibilisiert.
Hinzu komme: „Wir entwaffnen Extremisten. Bereits im Frühjahr 2017 habe ich deshalb die Waffenbehörden angewiesen, Extremisten keine waffenrechtlichen Erlaubnisse mehr auszustellen und bereits erteilte Genehmigungen, soweit möglich, zu widerrufen“, unterstrich der Minister.