Mit einem Fachtag „ANTISEMITISMUS – Jüdisches Leben zwischen Sicherheit und Unsicherheit“ setzte das Kompetenzzentrum gegen Extremismus des Innenministeriums gemeinsam mit der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs ein Zeichen gegen Antisemitismus sowie jede Form von Extremismus.
„Dass heute wieder jüdisches Leben und jüdische Kultur in unserem Land blühen, ist ein Geschenk, für das wir sehr dankbar sind“, erklärte Innenminister Thomas Strobl. „Für uns ist ganz klar: Wir stehen an der Seite der Jüdinnen und Juden in unserem Land und wir gehen gegen Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln konsequent vor.“
Er verwies darauf, dass es leider auch im Jahr 2019 noch antisemitische Hetze und antisemitische Straftaten gebe: „Antisemitismus hat viele Facetten. Die meisten Straftaten kommen aus der rechtsextremistischen Ecke. Aber der Antisemitismus ist nicht mehr nur ein rechtsextremistisches Thema. Wir schauen deshalb in alle Richtungen und bleiben wachsam. Wir verschließen hier vor nichts und niemandem die Augen.“
Antisemitismus im Netz auf einem Höchststand
Der Innenminister warnte in diesem Zusammenhang auch vor der Ausbreitung von antisemitischer Verschwörungstheorien im Netz. „Der Antisemitismus im Netz ist auf einem Höchststand. Wir wissen, dass sich Menschen in den digitalen Raum zurückziehen und dort antisemitische, rassistische Echokammern entstehen. Die Hemmschwelle im Netz sinkt, das digitale Zusammentreffen Gleichfanatisierter beschleunigt die Radikalisierung. Dieser Entwicklung müssen wir entgegentreten. Vor allem: Diese Unkultur im Netz darf nicht in unsere Alltagskultur überschwappen“, so Minister Thomas Strobl.
Deshalb ruhe sich auch niemand darauf aus, dass es im Land eine vergleichsweise niedrige Belastung an registrierten antisemitischen Straftaten gebe: „Jede antisemitische Tat verursacht tiefe Wunden bei Jüdinnen und Juden, aber auch im Herzen einer jeden Demokratin und eines jeden Demokraten“, so Strobl.
Polizeiliche Ansprechpartner für die jüdischen Gemeinden vor Ort
Um die Sicherheit weiter zu erhöhen, habe man im Jahr 2018 eigens für die Israelitischen Religionsgemeinschaften im Land polizeiliche Ansprechpartner für die jüdischen Gemeinden vor Ort eingerichtet, die zu allen Fragen zum Thema Sicherheit zur Seite stehen. Das Thema Antisemitismus und dessen Bekämpfung sei darüber hinaus seit vielen Jahren fest in der Aus- und Fortbildung unserer Polizei verankert, so der Minister. Gleichwohl habe man im Kompetenzzentrum gegen Extremismus (konex) noch einmal die Sensibilisierungsmaßnahmen erhöht. Dazu werden in den Fortbildungsprogrammen ausgewählte Zielgruppen wie Schulpsychologen und Bewährungshelfer gezielt zum Thema Antisemitismus geschult und sensibilisiert.
Professorin Barbara Traub, Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW) und Mitglied im Präsidium des Zentralrats der Juden in Deutschland, berichtete über jüdisches Leben in Deutschland und aktuelle Herausforderungen. „Antisemitismus erfährt eine doppelte Enttabuisierung“, so Professorin Traub. „In den sozialen Medien wird einerseits übelster, antisemitischer Hass verbreitet. Anderseits sinkt auch die Hemmschwelle, Antisemitismus als solchen zu benennen und dagegen vorzugehen.“ Erstmals in der Geschichte sei man als jüdische Gemeinschaft nicht auf sich allein gestellt, sondern die Bekämpfung des Antisemitismus werde als gesamtgesellschaftliche Aufgabe angegangen, hob Professorin Traub hervor.
Auch der Beauftragte der Landesregierung gegen Antisemitismus Dr. Michael Blume appellierte: „Der Schutz jüdischen Lebens ist unser aller Aufgabe. Wenn wir entschlossen für jüdisches Leben in Baden-Württemberg eintreten, schützen wir gleichzeitig unseren demokratischen Rechtsstaat und unsere Freiheit.“
Fachtag „ANTISEMITISMUS – Jüdisches Leben zwischen Sicherheit und Unsicherheit“
Beim Fachtag „ANTISEMITISMUS – Jüdisches Leben zwischen Sicherheit und Unsicherheit“ stehen am Vormittag zunächst die aktuelle Situation der Jüdinnen und Juden in Deutschland, die neuesten Erkenntnisse aus der Antisemitismusforschung und die Maßnahmen der Landesregierung und insbesondere der Polizei Baden-Württemberg im Kampf gegen den Antisemitismus im Mittelpunkt. Am Nachmittag ist Raum für Begegnungen und den Austausch zwischen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern und den Gemeindemitgliedern sowie die Gelegenheit, das alltägliche Leben der Menschen in der jüdischen Gemeinde – etwa an der jüdischen Schule, am Jugendzentrum sowie der Synagoge – besser kennenzulernen. Abgerundet wird das Programm durch eine Ausstellung zur Rolle der Polizei in der NS-Zeit, dem Video-Zeitzeugenprojekt „Papierblatt“ über Shoah-Überlebende und Informationsstände der verschiedenen Angebote im Bereich der Extremismusprävention.
Der Landeskriminaldirektor, Klaus Ziwey, betonte: „Wir müssen in unserem Land den Glauben frei leben können, ohne verbal oder körperlich angegriffen zu werden.“ Dabei war sein eindeutiger Appell: „Damit die Polizei gegen solche Umtriebe vorgehen kann, ist sie darauf angewiesen, davon zu erfahren. Wenn es zu antisemitischen Handlungen kommt, kann und darf niemand wegsehen. Wir alle sind aufgerufen, unsere Werte zu verteidigen. Denn heute ist es die Kippa, morgen vielleicht ein anderes religiöses Symbol.“ Er hob hervor, dass sich die Polizei Baden-Württemberg nicht zurücklehne, solange bei jüdischen Einrichtungen Poller und Sicherheitsschleusen Realität seien. Man werde „alles daransetzen, dass jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserer gemeinsamen Heimat sicher sind und sich sicher fühlen.“