Im Rahmen einer Veranstaltung zur Stärkung der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit von KI-Unternehmen in Europa hat Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut einen Zehn-Punkte-Forderungskatalog zum neuen europäischen Gesetz über Künstliche Intelligenz übergeben.
Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut unterstrich die Notwendigkeit für eine innovationsfreundliche Umsetzung des neuen europäischen Gesetzes über Künstliche Intelligenz (KI), das am 1. August 2024 in Kraft getreten ist „Viele Unternehmen sorgen sich vor übermäßiger Bürokratie durch das KI-Gesetz und sind verunsichert, wie sie die Anforderungen des Gesetzes praktisch umsetzen sollen. Das europäische KI-Gesetz (AI Act) darf die Innovationskraft der Unternehmen nicht strangulieren. Damit der ‚AI Act‘ zur Erfolgsgeschichte wird, müssen die Folgen für die Start-ups und den Mittelstand bei der weiteren Konkretisierung des Rechtsrahmens stärker berücksichtigt werden. Zudem muss das KI-Gesetz innovationsfreundlich, praxistauglich und in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) einheitlich umgesetzt werden, damit die EU im weltweiten KI-Wettbewerb nicht abgehängt wird“, so Hoffmeister-Kraut.
Gegenüber der Leiterin der neuen EU-Behörde für Künstliche Intelligenz (AI Office), Lucilla Sioli, betonte die Ministerin, dass bei der Konkretisierung des KI-Gesetzes die Auswirkungen auf Mittelstand und Start-ups besonders in den Fokus genommen werden müssen, da diese von bürokratischen Belastungen besonders betroffen seien. Darauf habe auch der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, erst vor wenigen Tagen in seinem Strategiebericht zur Wettbewerbsfähigkeit Europas eindrücklich hingewiesen.
„Wir müssen alles daransetzen, europäische Unternehmen bei der Entwicklung und Anwendung von KI-Produkten zu unterstützen und so die enormen Potenziale für Wachstum und Produktivität innerhalb der EU zu nutzen. Wenn es der europäischen Wirtschaft nicht gelingt, sich als Entwickler und Hersteller von KI-Produkten zu etablieren und eine eigene Wertschöpfung anzustoßen, werden Anbieter aus den USA und China in diese Lücke stoßen – und zwar mit KI-Systemen auf Basis ihrer eigenen Wertvorstellungen“, so Hoffmeister-Kraut.
Vergangene Fehler dürfen nicht wiederholt werden
Jetzt gelte es, aus früheren Regulierungen wie der EU-Medizinprodukte-Verordnung die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen und Fehler nicht zu wiederholen, forderte Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut. „Die EU muss bei der Umsetzung des KI-Gesetzes darauf achten, dass ein vernünftiges Verhältnis zwischen Bürokratieaufwand und dem zu erwartenden Nutzen, dem Schutz vor einem konkreten Risiko für Sicherheit, Gesundheit und Grundrechte, gewahrt bleibt“, so die Ministerin.
Gleichzeitig forderte die Wirtschaftsministerin zusätzliche Anstrengungen, um die Innovationsfähigkeit der europäischen Wirtschaft auf dem Gebiet der KI zu verbessern. Die EU müsse zusätzliche Anstrengungen unternehmen, etwa bei Förderprogrammen und dem Ausbau von KI-Rechenzentren sowie einem besseren Zugang von Unternehmen zu Hochleistungsrechnern in der EU, so Hoffmeister-Kraut.
Übergabe eines Zehn-Punkte-Forderungskatalogs
Im Rahmen der Veranstaltung übergab Wirtschaftsministerin Dr. Hoffmeister-Kraut der Kommissionvertreterin Lucilla Sioli einen Zehn-Punkte-Forderungskatalog zur weiteren Umsetzung des KI-Gesetzes und zur Stärkung der EU als führender KI-Standort. Dr. Hoffmeister-Kraut sagte: „Mit diesem Forderungskatalog wollen wir einen konstruktiven Diskussionsbeitrag leisten, damit aus dem KI-Gesetz eine Erfolgsgeschichte wird.“
An der Diskussionsrunde nahmen auch David Reger, Gründer und Geschäftsführer des in Metzungen ansässigen Unternehmen NEURA Robotics, und Moritz Gräter, der Geschäftsführer des Innovationsparks Künstliche Intelligenz (IPAI) in Heilbronn, zusammen mit dem Dr. Sergej Lagodinsky, Mitglied des Rechtsausschusses des Europäischen Parlaments, teil.
Einig waren sich die Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmer darin, dass die Wettbewerbsfähigkeit Europas maßgeblich davon abhänge, dass die Innovationskraft der Unternehmen gestärkt werde. „Vor diesem Hintergrund müssen wir jetzt alles daransetzen, dass sich Europa wegen einer zu strengen KI-Regulierung nicht aus dem internationalen KI-Innovationswettbewerb verabschiedet“, so die Schlussfolgerung von Wirtschaftsministerin Dr. Hoffmeister-Kraut. Gerade für Baden-Württemberg, einem Bundesland, das sich in den vergangenen Jahren zu einem auch international sichtbaren Hotspot der Künstlichen Intelligenz entwickelt habe, wäre eine solche Entwicklung fatal, so die Ministerin. Neben dem Innovationspark Künstliche Intelligenz (IPAI) in Heilbronn seien das Cyber Valley im Dreieck Stuttgart, Tübingen und Karlsruhe, weltweit führend auf dem Gebiet der KI-Spitzenforschung, und die im ganzen Land verteilten KI-Exzellenzzentren und KI-Labs prägend für den KI-Standort Baden-Württemberg.
Zehn-Punkte-Papier
Wie kann aus dem AI Act eine Erfolgsgeschichte werden? Zehn Forderungen des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg an die Europäische Union.
Künstliche Intelligenz ist eine zentrale Technologie für den Erhalt und die Stärkung der zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft. KI bietet großes Potenzial für die Steigerung von Innovation, Wachstum, Produktivität und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Weltweit schreitet der Einsatz von KI in den Unternehmen voran. Mit dem AI Act (KI-Gesetz) ist am 1. August 2024 ein europaweit einheitlicher Rechtsrahmen in Kraft getreten. Dieser soll Unternehmen Sicherheit bei der Entwicklung und Anwendung dieser Schlüsseltechnologie bieten und zugleich das Vertrauen von Verbraucherinnen und Verbrauchern in KI stärken. Für die Unternehmen bedeutet der AI Act aber auch zusätzliche bürokratische Pflichten.
Der AI Act muss jetzt durch die EU und die Mitgliedsstaaten weiter konkretisiert und praxistauglich umgesetzt werden. Dabei müssen dessen Auswirkungen auf die Wirtschaft und insbesondere auf Mittelstand und Start-ups in Europa in den Fokus genommen werden, damit der AI Act eine Erfolgsgeschichte wird.
Hierbei sollten wir aus vergangenen Regulierungen lernen, beispielsweise aus der EU-Medizinprodukte-Verordnung. Bei Medizinprodukten wurde zu streng reguliert, was insbesondere kleineren Anbietern den Marktzugang beziehungsweise den Verbleib auf dem Markt erheblich erschwert und teilweise sogar zum Verschwinden von lebenswichtigen Produkten führt. An diesem Beispiel wird deutlich, dass umfangreiche regulatorische Vorgaben kleinere Unternehmen tendenziell härter treffen als größere, da sie weniger Ressourcen zur Einhaltung aufwändiger Vorgaben aufwenden können.
Daher fordern wir: Die weitere Regulierung muss vom Ende her gedacht werden – also von den Auswirkungen auf die betroffenen Unternehmen! Europäische Unternehmen müssen im globalen Wettbewerb um Künstliche Intelligenz gestärkt werden. Denn eines ist sicher: Gelingt es der EU nicht, sich auch als Herstellermarkt für KI-Produkte zu etablieren und eigene Wertschöpfung anzustoßen, werden andere Märkte diese Lücke füllen – nach ihren Wertvorstellungen. Der EU bliebe dann lediglich die Rolle des Anwenders.
Aus diesem Grund halten wir es für essenziell, folgende 10 Punkte im weiteren Verfahren zu beachten.
Jegliche Berichts- und Dokumentationspflichten bedeuten für Unternehmen Aufwand. Dabei trifft Bürokratie die Unternehmen nicht im gleichen Maße. Anders als Großkonzerne hat der Mittelstand in der Regel keine spezialisierten Abteilungen, die sich mit rechtlichen Vorgaben und Verwaltungsabläufen beschäftigen. In einem Marktumfeld mit hohen regulatorischen Anforderungen kann daraus ein echter Wettbewerbsnachteil für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Start-ups resultieren. Bei der weiteren Konkretisierung des AI Acts sollten Berichts- und Dokumentationspflichten daher möglichst sparsam eingeführt werden. Der jeweilige Bürokratieaufwand für die Unternehmen muss in einem angemessenen Verhältnis zum tatsächlichen Nutzen, das heißt dem Schutz vor einem konkreten Risiko für Sicherheit, Gesundheit oder Grundrechte, stehen.
Von zentraler Bedeutung ist zeitnah eine innovationsfreundliche, rechtssichere und vor allem möglichst einheitliche Umsetzung der neuen Vorgaben des AI Acts in der gesamten EU. Hierfür sollten sich alle Akteure gemeinsam einsetzen, etwa durch die rasche Bereitstellung von verständlichen, praxistauglichen und abgestimmten Leitlinien und Best Practices. Es darf nicht passieren, dass Unternehmen – je nach Standort in der EU – aufgrund von abweichenden Auslegungen der Vorgaben in den einzelnen Mitgliedsstaaten vor unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Ein solcher „Flickenteppich“ würde gerade den EU-weiten Marktzugang von KMU hemmen. Dabei muss auch der Anschluss an internationale Standards für einen einfachen globalen Marktzugang gegeben sein.
Die EU muss die Spielräume für eine unternehmensfreundliche Konkretisierung des AI Acts nutzen, etwa bei der Ausgestaltung unbestimmter Rechtsbegriffe. Zentrale Aspekte wie die Definition von KI-Systemen, von Hochrisiko-KI-Systemen oder von wesentlichen Änderungen an diesen Systemen sollten dabei möglichst eng ausgelegt werden, um unverhältnismäßige Aufwände und Dokumentationspflichten bei den betroffenen Unternehmen zu vermeiden. Vorschriften, die Erleichterungen für Unternehmen bedeuten, sollten dagegen weit ausgelegt werden. Für die Unternehmen sind dabei möglichst schnelle, eindeutige und praxistaugliche Regelungen, Leitlinien und verbindliche Hilfsmittel wie White Lists entscheidend, damit sie frühzeitig und rechtssicher bewerten können, welche Anforderungen konkret zu erfüllen sind. Viele Unternehmen sind noch verunsichert im Umgang mit den abstrakten Anforderungen des AI Acts. Dem muss die EU entgegenwirken und schnell Klarheit schaffen, um diese Verunsicherung zu überwinden!
Bei der weiteren Konkretisierung des AI Acts muss die Stimme der KMU und Start-ups mehr Gehör finden. Dazu sollte die Europäische Kommission proaktiv auf KMU und Start-ups zugehen, um einschätzen zu können, wie sich die Regulierung in der Praxis auswirkt. Die üblichen Beteiligungsformate sind für Unternehmen oft zeitintensiv und in einem solch frühen Stadium, dass sich die Folgewirkungen der Vorschriften noch gar nicht abschätzen lassen. Aus diesen Gründen ist der Mittelstand in Beteiligungs-Gremien zur Regulierung und Standardisierung kaum vertreten. Ein alternativer Ansatz sind beispielsweise die sogenannten Praxischecks nach dem Vorbild der Bundesregierung, in denen betroffene Unternehmen, Verwaltungen und anderen Expertinnen und Experten gemeinsam praxistaugliche Lösungen für KMU und Start-ups entwickeln.
Der AI Act steht nicht im rechtsleeren Raum, sondern reiht sich in eine umfangreiche Produktregulierung (zum Beispiel Medizinprodukte-Verordnung, Maschinen-Verordnung, Cyber Resilience Act) sowie weitere Gesetze wie die Datenschutz-Grundverordnung oder den Data Act ein. Das immer komplexere Geflecht an Vorschriften stellt Unternehmen vor eine große Herausforderung, zumal diese teils sogar widersprüchliche Vorgaben enthalten. Daher muss eine einheitliche Verwendung von Rechtsbegriffen und Risikoklassen in den verschiedenen Vorschriften sichergestellt werden. Widersprüche müssen aufgelöst, bereits etablierte Verfahren übernommen und der AI Act nahtlos mit den bestehenden Regulierungen verzahnt werden. Zudem muss es für Unternehmen möglich sein, in einem einzigen Verfahren die Konformität mit dem EU-Recht nachzuweisen. Doppelstrukturen und -aufwände, beispielsweise für Medizinprodukte oder Roboter, die KI-Systeme enthalten, müssen vermieden werden.
Der Marktzugang muss insbesondere für KMU und Start-ups schnell, unbürokratisch und kostengünstig möglich sein. Die Anwendung harmonisierter Normen und die Möglichkeit zur firmeninternen Konformitätsbewertung sind der Schlüssel dafür. Unternehmen werden diese Option jedoch nur nutzen, wenn sie wissen, dass sie damit rechtlich auf der sicheren Seite sind. Die EU sollte Unternehmen deshalb dabei unterstützen, etwa durch Bereitstellung von Leitlinien, Best Practices/White Lists sowie Werkzeugen für eine rechtssichere Konformitätsbewertung. Bei einer erforderlichen externen Konformitätsbewertung wird ebenfalls Transparenz über die Kosten und zeitlichen Abläufe benötigt. Hier sollten die nötigen Schlüsse aus der EU-Medizinprodukte-Verordnung gezogen werden. Beispielsweise sollten Unternehmen durch die notifizierten Stellen verbindlich innerhalb von wenigen Wochen prüfen lassen können, ob die eigene Technologie als Hochrisiko-KI eingestuft werden muss.
Nur wenn die Menschen in der EU Vertrauen in KI haben, können wir die immensen Potenziale dieser Technologie heben. Die Sensibilisierung und Aufklärung der Öffentlichkeit sowie die Förderung von KI-Kompetenz ist deshalb eine wichtige gemeinsame Aufgabe für die EU, die Mitgliedsstaaten und die Regionen. Unternehmen müssen ebenso wie Bürgerinnen und Bürger dazu ermutigt werden, sich aktiv mit KI auseinanderzusetzen. Aus unserer Sicht ist es entscheidend, dass dabei die Chancen europäischer KI ins Zentrum der Kommunikation gestellt werden! Wichtig ist außerdem die zukünftige Rolle des AI Office: Es darf sich nicht nur als Regulierungs- und Kontrollinstanz verstehen, sondern sollte seine Rolle vor allem auch darin sehen, Unternehmen bei der Entwicklung und Anwendung von vertrauenswürdigen KI-Lösungen zu unterstützen und die Innovationskraft und internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen KI-Wirtschaft zu stärken.
Wir begrüßen die Einrichtung von KI-Reallaboren ausdrücklich. Dabei ist allerdings Eile geboten! Innovation braucht Geschwindigkeit in diesem sich weltweit äußerst agil entwickelnden Feld. Ziel der KI-Reallabore muss es sein, den Markteintritt neuer KI-Produkte zu beschleunigen und möglichst unbürokratisch Zertifizierungen in den Prozess zu integrieren. Die konkreten Erkenntnisse aus den KI-Reallaboren sollten dann genutzt werden, um die regulatorischen Rahmenbedingungen für alle Unternehmen zu verbessern. Damit tatsächlich Experimentierräume eingerichtet und neue KI-Systeme erprobt werden können, muss die EU den Rechtsrahmen möglichst schnell konkretisieren. Darüber hinaus sollte die EU nach dem Vorbild der AI Testing and Experimentation Facilities den Aufbau eines koordinierten Netzwerks von KI-Reallaboren in Bereichen, die für die europäische Wirtschaft von besonderer Bedeutung sind, finanziell fördern.
Die digitale Welt entwickelt sich in rasantem Tempo weiter. Die Umsetzung des AI Acts muss damit Schritt halten. Seine Vorgaben sollten im Sinne eines lernenden Systems an die Entwicklungen angepasst werden, um nicht zum Hemmschuh für Innovationen „made in EU“ zu werden. Gerade bei einer Schlüsseltechnologie wie KI, bei der Europa sich in einem intensiven globalen Wettbewerb befindet, sollte die EU die Auswirkungen der Regulierung auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen eng beobachten und bei Bedarf schnell und konsequent nachsteuern. In diesen Prozess sollten insbesondere KMU und Start-ups aktiv einbezogen werden. Im Ergebnis muss es beispielsweise möglich sein, Bürokratieaufwände wie etwa Berichtspflichten wieder zu reduzieren oder ganz abzuschaffen, um so die europäische Wirtschaft im globalen Wettbewerb zu stärken.
Schließlich muss Europa seine Innovationsfähigkeit auf dem Gebiet der KI durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen insgesamt weiter stärken. Es braucht zusätzliche Anstrengungen in verschiedene Richtungen wie Fachkräftesicherung, gezielte Förderprogramme für Forschung, Entwicklung und Innovation mit Schwerpunkt auf vertrauenswürdiger KI, den weiteren Ausbau von KI-Rechenkapazitäten und einen besseren Zugang zu High-Performance-Computern für Unternehmen, insbesondere auch im Zusammenhang mit Basismodellen Generativer KI, sowie die Förderung von relevanten Unternehmensansiedlungen und -erweiterungen. Dabei darf der Fokus nicht allein auf der Förderung strukturschwacher Regionen liegen, sondern Europa muss insbesondere auch seine international sichtbaren Leuchttürme und industriellen Leitregionen weiter stärken!