Um das Miteinander von Naturschutz und Landwirtschaft zu stärken, hat die Landesregierung eine Gesetzesnovelle beschlossen. Der Entwurf geht auf die Eckpunkte zur Weiterentwicklung des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ zurück.
Mit der Freigabe einer Gesetzesnovelle hat das Kabinett in seiner Sitzung am Dienstag, 17. März 2020, den Weg für einen ausgewogenen Artenschutz in Baden-Württemberg geebnet. Der Entwurf zur Änderung des Naturschutzgesetzes und des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetzes geht auf die Eckpunkte zur Weiterentwicklung des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ zurück, die in einem breiten Beteiligungsprozess von Politik, Naturschutz und Landwirtschaft erarbeitet worden waren.
„Ziel der Landesregierung ist es, die Versorgung der Menschen mit hochwertigen Lebensmitteln heimischen Ursprungs bei gleichzeitiger Pflege unserer einmaligen Kulturlandschaften auf lange Sicht sicherzustellen. Gerade in der aktuellen Lage zeigt sich, wie wichtig die Arbeit der Landwirtschaft für die tägliche Versorgung der Menschen mit Lebensmitteln ist. Mit unserem Gesetzesvorschlag setzen wir die mit den Verbänden vereinbarten Eckpunkte zur Stärkung der Biodiversität um und schaffen einen Weg, der die Belange einer zukunftsfähigen Landwirtschaft mit den Ansprüchen eines zeitgemäßen Artenschutzes vereint“, sagte der Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Peter Hauk.
Neues Miteinander von Naturschutz und Landwirtschaft
„Wir müssen zu einem neuen Miteinander von Naturschutz und Landwirtschaft kommen“, ergänzte Umweltminister Franz Untersteller. „Die biologische Vielfalt von Pflanzen und Tieren ist unser aller Lebensgrundlage. Wir müssen sie schützen und erhalten. Die Bäuerinnen und Bauern sind die natürlichen Partner dabei.“ Die vorliegenden Gesetzesnovellen seien ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedliche Interessen zwischen Naturschutz und Landwirtschaft ausgeglichen werden könnten und eine Partnerschaft aussehen könne, so Untersteller. „Ich finde, uns ist etwas sehr Gutes gelungen – Politik, Naturschutz und Landwirtschaft gemeinsam.“
„Durch unseren Gesetzesvorschlag sollen nun in den bestehenden Gesetzen notwendige Ergänzungen und Anpassungen vorgenommen werden. Grundlage unseres Vorschlags sind die in einem breiten Beteiligungsprozess erarbeiteten Eckpunkte zur Stärkung der Biodiversität, die wir im weiteren Gesetzgebungsverfahren als wichtige Leitplanken betrachten“, sagte Landwirtschaftsminister Hauk. Der Vorschlag beschränke sich nicht nur auf die Landwirtschaft selbst, sondern nehme die gesamt Gesellschaft in die Pflicht. Kommunen, Privatpersonen und auch das Land selbst habe seinen Beitrag zum Erhalt der biologischen Vielfalt zu leisten.
Anreize, Förderungen und Unterstützung für mehr Artenschutz
„Unser Gesetzesvorschlag arbeitet vor allem mit Anreizen, Förderungen und Unterstützungen, weniger mit Einschränkungen und Verboten. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass die Gesellschaft die betroffenen Bäuerinnen und Bauern mit den wirtschaftlichen Folgen des Vorhabens nicht alleine lassen kann“, betonten Hauk und Untersteller. So seien alleine im Doppelhaushalt 2020/21 rund 62 Millionen Euro für ein breit aufgestelltes und ausgewogenes Bündel an Maßnahmen vorgesehen. Darüber hinaus würden im Bereich der Beratung zum Pflanzenschutz und zum Ökolandbau zusätzliche 20 Stellen geschaffen. Artenschutz koste Geld. Der erhöhte Aufwand sei aber in Anbetracht der dringenden Erforderlichkeit mehr als gerechtfertigt. Die Kosten, die beispielsweise durch einen dauerhaften Verlust der Bestäubungsleistung von Insekten entstehen würden, wären um ein Vielfaches höher. Die bereitgestellten Mittel seien Investitionen in die langfristige Sicherstellung der natürlichen Lebensgrundlagen.
Der gesamte Entstehungsprozess des Gesetzesvorschlags ausgehend vom geplanten Volksbegehren ‚Rettet die Bienen‘ bis heute zeige, dass sich die Landwirtschaft auf sich ändernde gesellschaftliche Anforderungen einstellen und diese aktiv mitgestalten könne. „Unsere über 40.000 Bauern im Land sind nicht nur Nahrungsmittelerzeuger und Landschaftspfleger. Sie sind auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und ein identitätsstiftendes Rückgrat unserer Gesellschaft, nicht nur im Ländlichen Raum“, sagte Landwirtschaftsminister Hauk. „Der Entwurf zur Änderung des Naturschutzgesetzes und des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetztes geht jetzt in die Verbändeanhörung. Die Interessenvertreter haben drei Wochen Zeit, sich zu dem Vorhaben zu äußern. Ziel ist es, das Gesetzgebungsverfahren bis zur Sommerpause abzuschließen“, erklärte Umweltminister Untersteller.
Die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfes:
Es soll ein landesweit öffentlich zugängliches und zentrales Kataster für sämtliche Ausgleichsmaßnahmen geschaffen werden. Dies schafft Transparenz und Klarheit über die künftigen Ausgleichsmaßnahmen mit Flächenbezug.
Die Kommunen werden beim Ausbau des Biotopverbundes auf 15 Prozent der Landesfläche bis 2030 künftig in die Pflicht genommen. Der Aufbau und die Planung werden – soweit erforderlich – gefördert. So wird landesweit ein Netz von Lebensräumen, die miteinander verbunden sind, entstehen, das den Austausch untereinander ermöglicht. Hierdurch haben die unterschiedlichen Populationen die Chance sich wieder auszubreiten. Ausgleichsmaßnahmen der Kommunen aber auch freiwillige Maßnahmen der Landnutzer gegen Ausgleich über das Förderprogramm für Agrarumwelt, Klima und Tierschutz (FAKT) oder die Landschaftspflegerichtlinie (LPR) und weitere biodiversitätsfördernde Maßnahmen können so optimal aufeinander abgestimmt werden. Es können gezielt Aufwertungen dort stattfinden, wo sie die größte Wirkung entfalten. Die freiwillige Umsetzung durch die Landwirtschaft kann auf die Refugialflächen angerechnet werden.
Für Streuobstbestände ab einer Größe von 1.500 Quadratmetern gilt ein Erhaltungsgebot. Einzelbäume können wie bisher bewirtschaftet, gefällt und oder nachgepflanzt werden, ohne dass es einer Genehmigung bedarf. Eine Umwandlung eines Streuobstbestandes ist künftig nur dann möglich, wenn die Gründe für die Umwandlung so gewichtig sind, dass der Erhalt dahinter zurückstehen muss. In diesen Fällen erfolgt aber ein Ausgleich vorrangig durch die Anlage eines neuen Streuobstbestandes. So wird sichergestellt, dass die flächenhafte Inanspruchnahme reduziert wird und die für Baden-Württemberg so prägende Nutzungsform auch künftig erhalten bleibt.
Pflanzen und Tiere haben in Naturschutzgebieten künftig Vorrang. Es gilt ein Verbot für alle Pestizide ab dem 1. Januar 2022. Für Härtefälle (insbesondere Existenzgefährdung), bei Kalamitäten (zum Beispiel massiver überregionaler Schädlingsbefall), zum Schutz der Gesundheit (zum Beispiel zur Bekämpfung von Stechmücken und Eichenprozessionsspinner) und zur Erhaltung der Schutzgebiete (zur Bekämpfung invasiver Arten oder bei prägenden Nutzungsarten, insbesondere zum Schutz der auf die besondere Nutzung angewiesenen spezifischen Tier- und Pflanzengesellschaften) werden Ausnahmen aufgenommen.
In den übrigen Schutzgebieten sollen, anstelle eines vollständigen Verbots der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln (PSM), neben den allgemeinen Grundsätzen des Integrierten Pflanzenschutzes zusätzliche landesspezifische Vorgaben verbindlich vorgeschrieben, dokumentiert und auch kontrolliert werden. Die verbindliche Einhaltung dieser zusätzlichen Vorgaben soll zu einem vorbildlichen Integrierten Pflanzenschutz in den Schutzgebieten (außer Naturschutzgebieten) führen, der die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln auf das absolut notwendige Maß minimiert.
Auch die Kommunen und Privatpersonen werden in die Pflicht genommen. Es wird im Gesetzentwurf klargestellt, dass Schottergärten grundsätzlich keine zulässige Gartennutzung darstellen. Die Lichtverschmutzung durch Beleuchtung im Außenbereich, aber auch im Innenbereich, wird – insbesondere durch Vorgaben zur insektenfreundlichen Straßenbeleuchtung und bei der Beleuchtung von öffentlichen Gebäuden – minimiert, ohne damit den gesetzlich vorgesehenen Auftrag der Denkmalpflege zu beeinträchtigen. Die öffentliche Verwaltung soll ihre Garten- und Parkflächen künftig insektenfreundlich pflegen. Darüber hinaus soll die Nutzung von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln in Privatgärten über den bisherigen Umfang hinaus auch in weiteren Schutzgebieten nach Naturschutzrecht, insbesondere auch Landschaftsschutzgebieten und Naturparken, untersagt werden.
Das Land verpflichtet sich, die Voraussetzungen zu schaffen, den Anteil des ökologischen Landbaus bis 2030 auf 30 bis 40 Prozent zu erhöhen. Das Land muss daher die Rahmenbedingungen so gestalten und Anreize bieten, damit genügend Betriebe bis 2030 freiwillig umstellen. Kein Betrieb wird damit zur Umstellung gezwungen. In den Jahren 2023 und 2027 erfolgt jeweils eine Evaluierung, sodass gegebenenfalls nachgesteuert werden kann. Das Land bietet eine Vielzahl von Beratungsmodulen und Förderangeboten an, um landwirtschaftliche Unternehmen bei der Umstellung zu begleiten und zu unterstützen. Soweit das Land das Ziel nicht erreichen sollte, müssen diese Rahmenbedingungen verbessert werden. Maßgeblich für den Erfolg wird zudem der massive Ausbau der Vermarktung und der Verbraucheraufklärung sein. Die Entwicklung der erforderlichen Nachfrage wird das Land gezielt unterstützen. Nur so lässt sich die Bereitschaft der Verbraucher, aber auch der Großverbraucher wie Kantinen, steigern, einen fairen Preis für biologisch erzeugte Produkte aus Baden-Württemberg zu zahlen und damit den erforderlichen weiteren Ausbau der Marktanteile von biologischen Erzeugnissen zu angemessenen Preisen zu erreichen.
Das Land baut Demonstrationsbetriebe mit vorbildlichen Naturschutzmaßnahmen auf, die als Anschauungsbetriebe für die ökologische und konventionelle Branche dienen.
Die Verpachtung der landeseigenen Flächen im Streubesitz erfolgt vorrangig, aber nicht ausschließlich an ökologisch wirtschaftende Betriebe. Es ist möglich, auf den Flächen beispielweise künftig auch bestimmte FAKT-Maßnahmen umzusetzen. So können auch konventionelle Betriebe die Flächen weiterhin bewirtschaften und es wird vermieden, dass arrondierte Flächen durch die Regelung aufgeteilt werden.
Für einen effektiven Schutz der Biologischen Vielfalt verpflichtet sich das Land, bis zum Jahr 2030 eine landesweite Reduktion des Einsatzes chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel um 40 bis 50 Prozent in der Menge zu erreichen. Das Land muss die Rahmenbedingungen so gestalten, dass das Ziel auch erreicht werden kann. Es gibt somit keine einzelbetriebliche Verpflichtung. Das Land fördert die Anschaffung neuer Technik und baut die Förderung des freiwilligen Verzichts von Pflanzenschutzmitteln stark aus.
Die Reduktion der ausgebrachten Menge an chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln soll dabei insbesondere durch
- technische Weiterentwicklung,
- die Substitution chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel durch biologische Verfahren und Mittel,
- die Steigerung des Anteils ökologisch wirtschaftender Betriebe,
- den Ausbau des Integrierten Pflanzenbaus,
- die verstärkte Nutzung resistenter Sorten,
- das Verbot von chemisch-synthetischen PSM im Privatbereich,
- die Reduktion chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel im Bereich des Verkehrs (insbesondere in Gleiskörpern),
- den Ausbau der Förderung zum PSM-Verzicht und verstärkte Nutzung von FAKT und LPR durch die landwirtschaftlichen Betriebe,
- den optimierter Einsatz von PSM durch Ausbau der Beratung/Informationsvermittlung und
- das Verbot von PSM in Naturschutzgebieten
erreicht werden.
Die Zielerreichung wird durch ein Netz an freiwilligen Demonstrationsbetrieben gemessen und regelmäßig evaluiert. Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist dabei auch, ob die Prozessqualität am Markt erfolgreich in Wert gesetzt werden kann. Dazu bedarf es auch einer entsprechenden Unterstützung im Bereich Marketing und Qualitätssicherung entlang den entsprechenden Wertschöpfungsketten, sowohl im Ökolandbau als auch für regionale konventionelle Produkte.
Tiere und Pflanzen brauchen dauerhafte Rückzugs- und Lebensräume auch im Offenland, damit sich die verbliebenen Bestände erholen können. Dazu sollen mittelfristig auf 10 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche sogenannte Refugialflächen geschaffen werden, zum Beispiel durch Umsetzung entsprechender FAKT- und LPR-Maßnahmen.
Diese sind je landwirtschaftlicher Landnutzungsart auszuweisen und sollen von den landwirtschaftlichen Betrieben auf freiwilliger Basis gegen einen finanziellen Ausgleich erbracht werden. Es wird somit kein Betrieb gegen seinen Willen gezwungen, Refugialflächen auszuweisen. Allerdings hat sich das Land zum Ziel gesetzt, dass auf jedem Betrieb 5 Prozent besonders biodiversitätsfördernde Maßnahmen umgesetzt werden. Hierzu wird das Land die Förderangebote für Refugialflächen attraktiv gestalten, damit die Betriebe auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht teilnehmen. Die Anerkennung von Refugialflächen wird durch eine Verwaltungsvorschrift geregelt. Ziel ist es, dass langfristig mehrjährige Maßnahmen dominieren. Im Rahmen der Förderung werden auch zusätzliche Maßnahmen je landwirtschaftlicher Landnutzungsart aufgenommen beziehungsweise ausgebaut und weiterentwickelt. Dabei sind solche Maßnahmen mit einem hohen Wirkungsgrad für die Artenvielfalt besonders vorteilhaft.