Für die weitere Aufarbeitung der Kolonialgeschichte stellt das Wissenschaftsministerium in den kommenden zwei Jahren rund 3,25 Millionen Euro bereit – eine Million Euro für die Förderung von Provenienzforschung und 2,25 Millionen Euro für die Intensivierung der Namibia-Initiative des Landes.
Das Land Baden-Württemberg stellt sich seiner historischen Verantwortung im Zusammenhang mit dem deutschen Kolonialismus und anerkennt das während dieser Zeit geschehene Unrecht. Die politischen, wirtschaftlichen, ethischen, sozialen und kulturellen Folgen wirken bis heute nach. Für die weitere Aufarbeitung der Kolonialgeschichte stellt das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst daher in den kommenden zwei Jahren rund 3,25 Millionen Euro bereit – eine Million Euro für die Förderung weiterer Provenienzforschung, 2,25 Millionen Euro für die Intensivierung der Namibia-Initiative des Landes.
„Es ist uns ein großes Anliegen, die Aufarbeitung der Kolonialzeit und ihrer Folgen konsequent voranzutreiben, die Herkunfts- und Erwerbsgeschichte von Objekten aus kolonialem Kontext zu untersuchen und diese für die Herkunftsgesellschaften zugänglich zu machen. Eine zentrale Rolle kommt dabei ethnologischen Museen wie dem Linden-Museum zu“, sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer am Freitag, 28. Februar, anlässlich der vom Linden-Museum ausgerichteten Konferenz „Das neue Museum. Ideen für das ethnologische Museum der Zukunft“ in Stuttgart. Die Konferenz unter der Schirmherrschaft von Ministerpräsident Winfried Kretschmann wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst innerhalb der Initiative „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ des Landes Baden-Württemberg gefördert. Staatssekretärin Petra Olschowski nimmt am Samstagnachmittag am Abschlusspanel zu „Ideen für das ethnologische Museum für die Zukunft“ teil.
Mehr als Rückgabe: Gesamtstrategie zum Umgang mit kolonialem Erbe
„Die Rückgabe von Hendrik Witboois Bibel und Peitsche in Namibia im Februar 2019 war für uns nicht Schlusskapitel der Aufarbeitung, sondern der Auftakt für eine Gesamtstrategie zum Umgang mit dem kolonialen Erbe“, betonte die Ministerin. „Wir wollen Rückgaben von Objekten und Kulturgütern aus kolonialen Kontexten als Ausgangspunkt nutzen, um gemeinsam mit Menschen aus den Herkunftsstaaten und -gemeinschaften unsere Vergangenheit in einem wissenschaftlichen und kulturellen Dialog partnerschaftlich aufzuarbeiten.“ An der Gesamtstrategie „Koloniale Verantwortung“ sind Museen, aber auch Hochschulen und Archive beteiligt.
Namibia-Initiative: Vergangenheit aufarbeiten, Gegenwart gestalten
Um die Namibia-Initiative des Landes als Musterbeispiel für kulturelle und wissenschaftliche Partnerschaft zu profilieren, gibt das Land in den kommenden Jahren eine weitere Million Euro. In einem ersten Schritt waren im vergangenen Jahr 1,25 Millionen Euro zur Verfügung gestellt worden. „Wir wollen damit ermöglichen, dass die bisher geknüpften Kontakte ausgebaut, gemeinsam neue, auf aktuelle Fragestellungen ausgerichtete Themen aufgegriffen und weitere Kooperationspartner gewonnen werden“, so Bauer. Bereits jetzt zeige sich, wie wertvoll der intensive Austausch von Museen, Hochschulen, Studierenden und Kunstschaffenden sei.
Partner auf baden-württembergischer Seite sind das Linden-Museum, das Landesarchiv Baden-Württemberg, die Universität Tübingen, die Universität Freiburg und deren Arnold Bergstraesser Institut (ABI) sowie die Pädagogische Hochschule Freiburg, das Deutsche Literaturarchiv Marbach und die Akademie Schloss Solitude. Partner auf namibischer Seite sind die Universität von Namibia, das Nationalmuseum, das Nationalarchiv, die wissenschaftliche Gesellschaft, die Museums Association of Namibia, Heritage Watch sowie Vertreterinnen und Vertreter der Herkunftsgesellschaften Nama und Herero.
„Baden-Württemberg kann und möchte bei der Aufarbeitung der Kolonialzeit und ihrer Folgen Vorreiter sein und geht hier mit einer umfassenden Strategie voran“, betonte die Ministerin.
Erforschung der Herkunfts- und Erwerbsgeschichte
Eine Million Euro fließt in den kommenden zwei Jahren in die Provenienzforschung. Damit unterstützt das Ministerium die Kulturinstitutionen des Landes bei der Erforschung der Herkunfts- und Erwerbsgeschichte ihrer Bestände. Die Mittel können beispielsweise für die erforderliche Kofinanzierung von Forschungsanträgen, etwa beim gemeinsam von Bund und Ländern getragenen Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, eingesetzt werden.
Auch die Provenienzforschung an nichtstaatlichen Museen und kulturbewahrenden Einrichtungen in Baden-Württemberg fördert das Ministerium, beispielsweise durch Workshops. „Die Häuser verfügen meist nicht über das erforderliche Personal und benötigen daher vor allem in der Anfangsphase besondere Unterstützung, um das Thema sachgerecht angehen zu können“, so die Ministerin.
Depots öffnen für communities
Das Linden-Museum betreibt Provenienzforschung bereits seit mehreren Jahren aktiv – zwei zusätzlich eingestellte Provenienzforscher, die von Museum, Ministerium und Drittmitteln finanziert werden, bearbeiten bereits die Bestände. „Besonders wichtig ist, dass wir für die Herkunftsstaaten und -gesellschaften transparent machen, welche Objekte mit kolonialem Bezug wir in unseren Sammlungen haben“, so Bauer. Hier sei das Linden-Museum ebenfalls Vorreiter: Im Rahmen eines vom Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst geförderten Projekts erstellt das Museum derzeit eine digitale Objektdatenbank sowie eine virtuelle Präsentation zur Provenienzforschung, die im Herbst online gehen und sukzessive erweitert werden soll. „Wir öffnen die Depots für die communities“, sagte die Ministerin.
Das neue Museum: Lebendiger Ort der Begegnung und Selbstverortung
„Ethnologische Museen bewahren und erforschen Weltkulturerbe aus Vergangenheit und Gegenwart und sie vermitteln es an ein breites Publikum, vor allem auch an Kinder und Jugendliche. Sie sind damit wichtige außerschulische Lernorte, Orte des Lernens und der Bildung“, so die Ministerin weiter. Die Museen seien lebendige Orte der Begegnung und des interkulturellen Dialogs, ebenso Orte der Selbstverortung. „In unserer zunehmend von Diversität geprägten Gesellschaft werden solche Orte immer wichtiger.“
Dass sie sich heute mit ihrer Geschichte auseinandersetzen und ihre bisherige Ausstellungspraxis und den Umgang mit den Sammlungen prinzipiell hinterfragen, sei richtig und notwendig. „Das neue Linden-Museum soll noch stärker ein Ort der Auseinandersetzung über historische und zeitgemäße Konzepte von Kultur, Identität und Differenz werden, ein Ort der Diskussion und der Kommunikation im Herzen der Landeshauptstadt“, so Ministerin Bauer abschließend.
Namibia-Initiative
Die Namibia-Initiative umfasst vier Themenbereiche und sechs Projekte, die eng miteinander verknüpft sind: die historische Aufarbeitung und – damit verbunden – die Vermittlung im Schulunterricht, den Umgang mit musealen Sammlungsgegenständen, Kolonialismus in der Literatur sowie zeitgenössische künstlerische Perspektiven auf das koloniale Erbe. Thematisch geht es auch um Fragen wie die gemeinsame Erschließung, Aufarbeitung und Zugänglichmachung von Sammlungen und Archiven, historischen Fotos und Dokumenten sowie deren digitale Präsentation.
Witbooi-Bibel & Peitsche
Familienbibel und Peitsche des Nama-Anführers Hendrik Witbooi (1830-1905) wurden im Jahr 1893 von deutschen Truppen erbeutet. Die beiden Gegenstände waren 1902 als Schenkung in das heute von Land und Stadt Stuttgart getragene Linden-Museum gekommen. Die Rückgabe war die erste Restitution kolonialer Kulturgüter aus einem Museum in Baden-Württemberg.