Das Kabinett hat einen Entwurf zur Reform der Landesbauordnung beschlossen. Damit soll das Bauen in Baden-Württemberg schneller und einfacher werden. Die Reform gliedert sich in vier Bereiche und bringt den Bürokratieabbau voran.
Das Bauen in Baden-Württemberg soll schneller und einfacher werden. Dazu hat das Landeskabinett am Dienstag, 23. Juli 2024, zahlreiche Änderungen der Landesbauordnung (LBO) auf den Weg gebracht. „Der Wohnungsbau steckt in der Krise. Bauen ist zu kompliziert und zu teuer. Ein Faktor dabei sind staatliche Vorschriften und Auflagen. Mit unserer LBO-Reform wollen wir den Hebel umlegen: Wir wollen das System von ‚Kontrolle‘ auf ‚Ermöglichen‘ umstellen und beim Bauen endlich wieder Bremsen lösen. Dafür vereinfachen und beschleunigen wir die Verfahren. Nur so bringen wir den Wohnungsbau wieder in Schwung“, sagte Bauministerin Nicole Razavi.
Die LBO-Reform „Schnelleres Bauen“ gliedert sich in vier Bereiche:
- Der erste Bereich enthält Maßnahmen zur Optimierung und Beschleunigung der Baugenehmigungsverfahren, zum Beispiel durch die Einführung einer Genehmigungsfiktion, die Abschaffung des Widerspruchsverfahrens und die Einführung einer Typengenehmigung. „Wenn es nach drei Monaten noch keinen Bescheid gibt, gelten in Zukunft viele Bauanträge mit der Genehmigungsfiktion automatisch als genehmigt. Mein klares Ziel ist, dass Bauherren schneller, leichter und mit weniger Papierkrieg zu ihrem Baurecht kommen“, sagte Bauministerin Razavi.
- Der zweite Bereich zielt auf den Abbau baulicher Standards. Beispiele hierfür sind die Vereinfachungen für das Bauen im Bestand, die Überarbeitung der Kinderspielplatz-Verpflichtung sowie die Vereinfachung der Abstandsregelung. „Wir machen Vorgaben flexibler, praxisgerechter, umsetzungsfreundlicher. Die LBO hat nicht die Aufgabe, Goldstandards zu setzen, sondern Mindeststandards zu sichern.“
- Der dritte Bereich enthält Maßnahmen zur Stärkung der Baurechtsbehörden und zur Verbesserung der Fachkräftesituation. Unter anderem sollen personelle Mindestanforderungen für die unteren Baurechtsbehörden eingeführt, die Aus- und Fortbildung der Baurechtsverwaltung verbessert und ein landesweit einheitliches Wissensmanagement sichergestellt werden.
- Der vierte Bereich dient dem Ausbau erneuerbarer Energien: Das Errichten von Ladestationen für Elektroautos soll erleichtert werden.
Schneller, einfacher und günstiger bauen
Die Reform geht jetzt in die Anhörung und soll dann nach einer neuerlichen Befassung durch das Kabinett dem Landtag zugeleitet werden. Ziel der Landesregierung ist es, dass die Reform vom Landtag 2025 beschlossen wird und dann in Kraft treten kann. Bauministerin Razavi ermunterte alle Beteiligten und Verantwortlichen, sich konstruktiv an diesem Prozess zu beteiligen. „Jetzt kommt es zum Schwur“, sagte sie. „Die LBO-Reform liefert weitgehende Vorschläge, damit Bauen schneller, einfacher und damit auch günstiger wird. Wir reden nicht über Bürokratieabbau. Wir liefern. In der aktuellen Baukrise braucht es mutige Schritte und Entschlossenheit von allen Beteiligten.“
Die wichtigsten Änderungen der Landesbauordnung (LBO) im Überblick:
Einführung einer Genehmigungsfiktion wie im Beschleunigungspakt zwischen Bund und Ländern vereinbart. Sie soll für das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren vorgesehen werden. Eine Genehmigungsfiktion führt dazu, dass bei Nichtbescheidung eines Bauantrags innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Frist (derzeit zwei bis drei Monate) die beantragte Baugenehmigung als erteilt gilt. Mit Ablauf der Frist tritt damit die Fiktionswirkung ein. Für Bauherren schafft dies schnellere Planungssicherheit, da die Entscheidung über den Antrag zeitlich beschränkt wird. Die Baurechtsbehörden hingegen können die Fiktionswirkung nutzen, um die personellen Kapazitäten gezielter und sinnvoller dort einzusetzen, wo sie dringend benötigt werden.
Abschaffung des Widerspruchverfahrens bei den Regierungspräsidien: Mit Einlegung des Widerspruchs können Bauherren und Nachbarn die Überprüfung der baurechtlichen Ausgangsentscheidung veranlassen. Zunächst erfolgt dies durch die untere Baurechtsbehörde und bei nicht erfolgter Abhilfe durch das zuständige Regierungspräsidium. Nach Entscheidung über den Widerspruch steht es den Beteiligten frei, den verwaltungsgerichtlichen Rechtsweg zu beschreiten. Die Verfahren bei den Regierungspräsidien dauern zwischen sechs und 14 Monate. Allein 2022 gingen bei den vier Regierungspräsidien im Land insgesamt 2.250 Widersprüche ein. Die Abschaffung dieser Extraschleife führt somit in den meisten Fällen zu einer schnelleren Bestandskraft vieler bau- und denkmalschutzrechtlicher Entscheidungen und zur schnelleren Rechtssicherheit. Die Verwaltung wird damit entlastet, die freiwerdenden Personalkapazitäten bei den Regierungspräsidien sollen für die verstärkte Beratung und Fortbildung der unteren Baurechts- und Denkmalschutzbehörden eingesetzt werden. Bayern hat das Widerspruchsverfahren im Baubereich bereits im Jahr 2007 abgeschafft, Baden-Württemberg hat dies im Jahr 2022 für die Errichtung von Windkraftanlagen getan.
Für bauliche Anlagen, die in einer konkret festgelegten Ausführung an mehreren Stellen errichtet werden, soll künftig eine Typengenehmigung eingeführt werden. Diese Maßnahme wird in der Musterbauordnung (MBO) der Bauministerkonferenz (BMK) empfohlen. Mit einer Typengenehmigung wird sichergestellt, dass die einmal geprüfte und bestätigte Konformität mit der Landesbauordnung für eine gewisse Zeit rechtsverbindlich ist. Bei Durchführung der Baugenehmigungsverfahren werden die von der Typengenehmigung erfassten Feststellungen von den Baurechtsbehörden nicht mehr geprüft. Dies dient der Beschleunigung und Entbürokratisierung baurechtlicher Verfahren und unterstützt zum Beispiel das serielle Bauen oder auch das bundesweite Errichten baugleicher Ladestationen für Elektrofahrzeuge.
Ausweitung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens: Für viele nicht sehr komplexe Vorhaben hat ein Bauherr bereits heute bei Wohngebäuden der Gebäudeklassen 1 bis 3 (bis sieben Meter Höhe) nur noch die Wahl zwischen dem Kenntnisgabeverfahren und dem vereinfachten Genehmigungsverfahren. Beide Verfahren sind deutlich weniger aufwändig und damit schneller als das normale Baugenehmigungsverfahren. Bei allen weiteren Bauvorhaben, also insbesondere auch gewerblichen, will das Land nun ein Optionsmodell einführen: Bauherren könnten dann entscheiden, ob sie lieber im vereinfachten Verfahren oder lieber im Vollverfahren beantragen wollen. Ausgenommen davon sind nur Sonderbauten wie etwa Hochhäuser oder Schulen. Für diese soll weiterhin das normale Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden. Das vereinfachte Genehmigungsverfahren hat den Vorteil, dass die Baurechtsbehörde eine stark eingeschränkte Prüfung baurechtlicher Vorschriften vornimmt. Für dieses Verfahren gelten zudem kürzere Entscheidungsfristen (ein Monat). Das Verfahren wird damit schneller und kostengünstiger zum Abschluss gebracht.
In der Landesbauordnung ist im Einzelnen geregelt, welche Bauvorhaben der Verfahrensfreiheit unterliegen. Verfahrensfreie Bauvorhaben können errichtet, verändert oder umgenutzt werden, ohne dass es hierfür eines baurechtlichen Verfahrens bedarf. Dies spart Bauherren Zeit und Kosten für die Realisierung ihres Bauvorhabens und entlastet die Baurechtsbehörden. Für die Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften sind die Bauherren dabei selbst verantwortlich. Vor diesem Hintergrund soll die Liste verfahrensfreier Vorhaben erweitert werden, insbesondere bei Garagen, Terrassen und Brennstoffzellen.
Um die Dauer baurechtlicher Verfahren zu verkürzen, soll die Nachbarbeteiligung von vier auf zwei Wochen reduziert werden. Nachbarliche Einwendungen können somit innerhalb einer zweiwöchigen Frist vorgebracht werden. Da seit November letzten Jahres (siehe die letzte LBO-Novelle im Zuge der Einführung des Virtuellen Bauamts) für Abweichungen, Ausnahmen oder Befreiungen ein gesonderter Antrag erforderlich ist, ist eine Befassung des Nachbarn mit dem Bauvorhaben insgesamt einfacher. Nachbarn können schneller als früher erkennen, von welchen nachbarschützenden Vorschriften eine Abweichung, Ausnahme oder Befreiung erteilt werden soll.
Das Bauen im Bestand soll vereinfacht und gestärkt werden. Hierfür sieht der Gesetzentwurf eine positive Definition des Bestandsschutzes vor, damit Inhalt und Reichweite des Bestandsschutzes einheitlich festgelegt werden. Nutzungsänderungen von Gebäuden sollen künftig im Bestand nicht den aktuellen – oftmals strengeren – Vorschriften des Brandschutzes unterworfen werden. Gerade nachträglich erforderliche Brandschutzertüchtigungen des Bestandsgebäudes führen dazu, dass Bauvorhaben nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohen Kosten realisiert werden können. Auch der Umbau bestehender Gebäude wird vereinfacht. Für den Fall, dass das Gebäude durch den Umbau nicht größer wird, ist eine Abweichung von den abstandsflächenrechtlichen Regelungen zuzulassen. Dies gilt für Gebäude aller Art. Gleichzeitig soll die Schaffung von Wohnraum erleichtert werden. Bisher waren Abweichungen von den bauordnungsrechtlichen Vorschriften nur möglich, sofern dies dem Aus- oder Umbau des vorhandenen Wohnraums diente. Der Anwendungsbereich bezog sich lediglich auf bestehende Wohngebäude. Von der Beschränkung soll abgesehen werden, indem die Abweichungsmöglichkeit künftig auch für Nicht-Wohngebäude gelten. Das Potenzial für die Schaffung von Wohnraum kann damit vollumfassend in Bestandsgebäuden aller Art ausgeschöpft werden.
Die Abstandsflächenregelungen werden vereinfacht. Künftig soll auch die Bebauung im unbeplanten Innenbereich maßgebend sein, ob an die Grundstücksgrenze gebaut werden darf. Die Berechnung der Giebelfläche soll insgesamt einfacher und verständlicher geregelt werden. Zudem sollen die anderweitigen Nutzungen von Dachflächen bestehender privilegierter Grenzbauten, wie beispielsweise Garagen, nicht mehr dazu führen, dass die Grenzbauten nachträglich ihre Privilegierung verlieren und somit die erforderliche Abstandsfläche unterschreiten. Dies schafft eine erleichterte Nutzung vorhandener Bauten und bereits versiegelter Flächen, wie beispielsweise die Errichtung von Dachterrassen auf Grenzgaragen.
Die brandschutzrechtlichen Regelungen werden verkürzt und vereinfacht, wo dies möglich und sachgerecht ist. Es werden daher insbesondere Ausnahmen für den zweiten Rettungsweg gemacht und das Erfordernis einer Brandwand in praxistauglicher Weise reduziert. Aber auch die Anforderungen an die Brandwand werden gesenkt und bauliche Erleichterungen bei notwendigen Treppenräumen gemacht. Durch die Einbettung brandschutzrechtlicher Vorschriften der Allgemeinen Ausführungsverordnung des Ministeriums für Landesentwicklung und Wohnen zur Landesbauordnung (LBOAVO) in die LBO wird künftig einfacher nachzuvollziehen sein, welche brandschutzrechtlichen Anforderungen an Bauvorhaben gestellt werden.
Die Pflicht zur Errichtung eines Kinderspielplatzes beziehungsweise die Freihaltung der dafür vorgesehenen Flächen führt zu Kostensteigerungen von Bauvorhaben ohne dass damit dem kindlichen Wohl gedient wird. Die derzeit gesetzlich vorgesehene Ablösemöglichkeit schöpft zudem ihr Potenzial nicht aus. Zum einen unterliegt die Ablösemöglichkeit einer behördlichen Ermessensentscheidung und zum anderen ist für die Verwendung des Geldbetrages eine konkrete Zweckbindung vorgesehen, die jedoch nicht die Wartung und Pflege bereits bestehender Spielplätze umfasst. Künftig soll es Bauherren offenstehen, ersatzweise eine monetäre Ablösemöglichkeit wählen zu können. Das damit zur Verfügung stehende Geld soll kommunal für die Errichtung, den Ausbau und auch für die Instandhaltung kommunaler Spielplätze genutzt werden. Die Praxis zeigt, dass größere Spielplätze attraktiver sind und somit häufiger von Kindern genutzt werden, wohingegen die oftmals nur vereinzelt errichteten Spielgeräte auf den Baugrundstücken vernachlässigt werden.
Bereits heute braucht es in Wohngebäuden für private Ladestationen für Elektrofahrzeuge keine Baugenehmigung mehr. Gleiches gilt für Photovoltaik-Anlagen, auch bei gewerblicher Nutzung. Künftig soll auch die Errichtung gewerblicher Ladestationen (zum Beispiel in Tiefgaragen) verfahrensfrei gestellt werden. Derzeit bedeutet dies noch eine Nutzungsänderung des Gebäudes und bedarf der Genehmigung. Zudem werden die mit der Ladeinfrastruktur zusammenhängenden technischen Nebenanlagen, wie beispielsweise Trafo-Stationen, ebenfalls verfahrensfrei gestellt.
Bereits heute gilt: Kommunen dürfen per Gestaltungssatzung nicht verbieten, dass man mit Photovoltaik-Anlagen die äußere Gestaltung von Gebäuden verändert. Dies soll künftig auch für „Einfriedungen“ gelten, also zum Beispiel Solar auf Lärmschutzwänden oder für sogenannte Solarzäune. Für bestehende örtliche Bauvorschriften, die diese Anforderungen nicht bereits erfüllen, wird den Gemeinden eine Umsetzungsfrist bis Ende 2025 eingeräumt.
Die steigende Anzahl an baurechtlichen Verfahren und die bereits bestehende Komplexität der fachlichen Materie erfordern personell stark aufgestellte Baurechtsbehörden. Diese sollen daher in personeller Hinsicht quantitativ und qualitativ den steigenden Anforderungen entsprechend besetzt sein. Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass jede untere Baurechtsbehörde mit Beamten, die die Befähigung zum höheren bautechnischen Verwaltungsdienst und die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben, zu besetzen ist. Um dies angemessen und zeitgerecht planen zu können, wird den unteren Baurechtsbehörden eine zehnjährige Umsetzungsfrist bis zum Ablauf des Jahres 2033 eingeräumt. Dieser Standard ist bereits heute in mehreren Landesbauordnungen vorgesehen. Auch die Musterbauordnung sieht eine solche Besetzung der unteren Baurechtsbehörden vor.
Das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen erstellt eine neue Wissensplattform „Bau the Länd“. Auf ihr sollen alle Informationen rund um die Themen „Virtuelles Bauamt Baden-Württemberg“ und „Bauen“ hinterlegt werden. Ziel ist es, neben der Baurechtsverwaltung auch alle weiteren am Bau Beteiligten einheitlich und aktuell zu informieren und die Verlässlichkeit der Behördenpraxis zu unterstützen. Ein „interner Bereich“ dient der landesweit einheitlichen Information aller unteren Baurechtsbehörden.
Zur systematischen Aus- und Fortbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Baurechtsverwaltung werden geeignete Formate entwickelt und ein Mindestfortbildungsumfang definiert. Die Aus- und Fortbildungsveranstaltungen werden dabei von den vier Regierungspräsidien koordiniert beziehungsweise durchgeführt.
LBO-Reformen
Die geplante LBO-Reform „Schnelleres Bauen“ ist bereits die vierte LBO-Änderung in dieser Legislaturperiode. In den drei vorhergehenden Novellen wurde unter anderem das Aufstocken von Bestandsgebäuden zu Wohnzwecken erleichtert (als Teil des Klimaschutzgesetzes) sowie das Errichten von Mobilfunkmasten. Zudem wurde die Landesbauordnung fit für die Digitalisierung der Baurechtsverfahren gemacht (Virtuelles Bauamt).