Demokratie

Die Landesverfassung

Am 19. November 1953 ist die Verfassung des Landes Baden-Württemberg in Kraft getreten. Sie bestimmt die Spielregeln der baden-württembergischen Demokratie.

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Auszug aus dem Original-Gesetzblatt von 1953, in dem die neue Landesverfassung für Baden-Württemberg veröffentlicht wurde. (Bild: Haus der Geschichte Stuttgart)

Die Verfassung des Landes Baden-Württemberg war – abgesehen vom Sonderfall des Saarlandes – bis zur deutschen Wiedervereinigung die jüngste unter den Verfassungen der deutschen Länder. Sie wurde erst am 11. November 1953, im vierten Jahr der Bundesrepublik, mit 102 Ja-Stimmen gegen fünf Nein-Stimmen und sieben Enthaltungen angenommen. Am 19. November 1953, Punkt 9 Uhr, trat die Landesverfassung in Kraft. Mit einem feierlichen Staatsakt wurde dieser Tag im Großen Haus des Württembergischen Staatstheaters begangen.

Der Weg zur Verfassung

Wichtige Vorarbeiten zur baden-württembergischen Verfassung von 1953 wurden in den verfassungsgebenden und beratenden Landesversammlungen in den Ländern Württemberg-Baden, Württemberg-Hohenzollern und Baden geleistet. 1946/47 hatte die Bevölkerung in drei Volksabstimmungen den jeweiligen Verfassungen zugestimmt.

Am 9. März 1952, noch vor der Bildung des Landes Baden-Württemberg, wählten die Wählerinnen und Wähler des Landes die Verfassungsgebende Landesversammlung, die sich im Haus des württembergisch-badischen Landtags in der Stuttgarter Heusteigstraße konstituierte. Den Vorsitz des Verfassungsausschusses hatte zunächst Gebhard Müller (CDU) und dann Franz Gog (CDU) inne. In 45 nichtöffentlichen Sitzungen wurden die beiden Entwürfe der Regierungskoalition aus SPD, FDP/DVP und BHE (Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten; später: Gesamtdeutsche Partei) einerseits und der CDU-Opposition andererseits beraten.

Das Land Baden-Württemberg ist ein republikanischer, demokratischer und sozialer Rechtsstaat.
Landesverfassung Baden-Württemberg, Artikel 23 (1)

Die beiden Entwürfe unterschieden sich zum Teil deutlich voneinander. Die CDU wollte den Staatspräsidenten direkt vom Volk wählen lassen. Sie verfolgte auch den Gedanken, einen aus zwei Kammern bestehenden Landtag zu schaffen. Die Regierungskoalition orientierte sich an einer parlamentarischen Demokratie nach Bonner Vorbild, sah jedoch eine Schwächung der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten durch das Kollegialprinzip vor. Von Anfang an strittig waren die Kernfragen der Schulform und der Staatskirchenverträge. Während sich die Regierungskoalition für die christliche Gemeinschaftsschule und die simultane Lehrerausbildung aussprach, forderte die CDU ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Konfessionsschulen und christlichen Gemeinschaftsschulen sowie eine konfessionell ausgerichtete Lehrerbildung.

Nach dem Rücktritt der ersten Landesregierung aus SPD, FDP/DVP und BHE unter Ministerpräsident Reinhold Maier im Herbst 1953 – die Bundestagswahl hatte der Koalition im Land schwere Einbußen beschert – entspannte sich die Atmosphäre. Die neue Allparteienkoalition fand tragfähige Kompromisse für die kontroversen Verfassungsartikel. In der Schulfrage einigte man sich zunächst auf den Status quo, in den einzelnen Landesteilen blieben die Formen der Volksschule erhalten, die vor den Verfassungsberatungen schon gegolten hatten. Nach der Verabschiedung würdigte der Präsident der Verfassungsgebenden Landesversammlung, Carl Neinhaus, die Verfassung als „unentbehrliches Fundament unseres Volks- und Staatslebens“.

Gestaltungsfreiheit der Länder

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland schreibt in Artikel 28 den Ländern für ihre Verfassungen nur wenige Grundsätze vor. Diese Grundsätze sind für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung jedoch fundamental. Im Grundgesetz heißt es: „Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muss den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.“

Die Staatsgewalt geht vom Volke aus.
Landesverfassung Baden-Württemberg, Artikel 25 (1)

Die weitere Ausgestaltung der Landesverfassungen ist der Gestaltungsfreiheit der Länder selbst überlassen. In der Tat unterscheiden sich die Landesverfassungen zum Teil erheblich, z.B. in der Wahl der Regierung, deren Abberufung, der Richtlinienkompetenz des Ministerpräsidenten und in den Funktionen des Staatsoberhaupts. Die Verfassung von Baden-Württemberg enthält – abweichend vom Grundgesetz – auch unmittelbare Mitwirkungsrechte wie die Möglichkeit zur Parlamentsauflösung durch Volksabstimmung (Artikel 43,2) und spezielle Formen der Volksgesetzgebung (Artikel 59 und 60).

Verfassungsänderungen

Verfassungen sind auf Dauer angelegt, müssen aber auch für Veränderungen offen sein. Das Recht zur Verfassungsänderung hat der Landtag mit einer Zweidrittelmehrheit. Allerdings hat er in den mehr als fünfzig Jahren des Bestehens der Landesverfassung nur selten davon Gebrauch machen müssen. Aber der gesellschaftliche und politische Wandel spiegeln sich auch in der Verfassung wider. So schafften die Regierungsparteien in der Zeit der Großen Koalition mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit die in Südwürttemberg-Hohenzollern bestehenden Konfessionsschulen zu Gunsten der Gemeinschaftsschulen ab. Seit ihrem Bestehen wurde die Landesverfassung 23 Mal geändert, zuletzt 2015. So wurde 1974 die Möglichkeit eines Volksbegehrens eingeführt. 1975 passte der Landtag das Staatsnotstandsrecht an das Grundgesetz an. Die Verpflichtung zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen fand 1976 Eingang in die Landesverfassung. Die Wahlperiode des Landtags änderte sich 1995 von vier auf fünf Jahre. Im gleichen Jahr erweiterte der Landtag die Verfassung um das kommunale Wahlrecht für EU-Bürger. Der Schutz der Tiere als Lebewesen und Mitgeschöpfe ist seit 2000 eine Aufgabe von Verfassungsrang. Mit der letzten Verfassungsänderung 2015 wurden die Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger stark erweitert.