Interview

„Wir brauchen Spielräume bei der Schuldenbremse“

Finanzminister Danyal Bayaz im Gespräch / Foto: Marijan Murat/dpa

Im Interview mit der Stuttgarter Zeitung spricht der neue Finanzminister Dr. Danyal Bayaz darüber, dass Klimaschutz und Digitalisierung nicht am Geld scheitern werden und vor allem verlässliche Rahmenbedingungen wichtig sind.

Stuttgarter Zeitung: Herr Bayaz, Sie haben das Image eines Überfliegers. Ist der Posten des Finanzministers ein Sprungbrett?

Dr. Danyal Bayaz: Ich nehme die Aufgabe hier mit größtem Respekt und größter Demut an. Ich war mit Leidenschaft und großer Begeisterung Bundespolitiker. Dann kam die Anfrage aus Stuttgart. Meine Überlegung war dabei keineswegs, ob das gut für meine Karriere ist. Ich mach mir jetzt keine Gedanken über den nächsten Schritt. Die Aufgabe als Finanzminister ist riesig genug.

Das Land soll auch in zehn Jahren noch gut dastehen

Mussten Sie gar nicht überlegen, als das Angebot von Kretschmann kam?

Bayaz: Doch, ich musste sehr genau überlegen. Es kam für mich überraschend. Ich habe politisch und privat genau abgewogen. Der Finanzminister in einem Industrieland wie Baden-Württemberg ist ja nicht nur der, der das Geld zusammenhält. Ich verstehe das Ressort auch als Gestaltungs- und Investitionsressort. Das Land soll auch in zehn Jahren noch gut dastehen, das ist eine wichtige Verantwortung, der ich mich gerne stelle und ich will auch dem Vertrauensvorschuss des Ministerpräsidenten im Sinne der Menschen in Baden-Württemberg gerecht werden.

In Berlin wird viel über eine Koalition von CDU und Grünen geredet. Im Südwesten haben wir sie. Reizt Sie diese Konstellation und haben Sie schon ein Gefühl für den Koalitionspartner?

Bayaz: Ich fand es als Bundestagsabgeordneter immer besonders interessant innerhalb des demokratischen Spektrums partei- oder fraktionsübergreifend zusammenzuarbeiten, zuletzt im Wirecard-Untersuchungsausschuss. Ich war früh auch mit CDU-Abgeordneten im Gespräch. Die CDU in der Landespolitik ist für mich ein neues Feld. Deshalb habe ich in jüngster Zeit versucht, persönliche Beziehungen zu entwickeln. Ich war mit Thomas Strobl und dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Manuel Hagel unterwegs und habe den Eindruck, dass die CDU, die uns in der vergangenen Legislatur das Leben nicht immer einfach gemacht hat, jetzt großes Interesse daran hat, vertrauensvoll und verbindlich zusammenzuarbeiten. Das hat sich auch in der Haushaltskommission gezeigt. Manuel Hagel, unser Fraktionschef Andreas Schwarz und ich ticken ähnlich, was die Generation angeht. So was kann sehr hilfreich sein.

Eine Regierungsaufgabe ist auch mit Kompromissen verbunden

Wo verorten Sie sich selbst politisch?

Bayaz: Ich bin eindeutig ein Realpolitiker. Der Politikstil von Leuten wie Fritz Kuhn, Winfried Kretschmann oder Cem Özdemir hat mich geprägt. Das hat mir erleichtert, eine Regierungsaufgabe zu übernehmen, denn das heißt ja immer auch Kompromisse zu machen. Ich bin wirtschaftsliberal und wertkonservativ. Gesellschaftspolitisch betrachte ich mich als progressiv.

Unternehmensberater vermutet man nicht sofort bei den Grünen. Tun Sie sich manchmal schwer mit der Partei?

Bayaz: Ich sehe wirtschaftlichen Background und Grün sein nicht als Widerspruch, im Gegenteil. Mich hat das Mantra von Fritz Kuhn, „mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben“, beeindruckt. Ich bin gerade wegen der Wirtschaftspolitik bei den Grünen. Ich glaube, auch das Klientel der Grünen hat sich sehr gewandelt und grüne Themen stehen heute oben auf der Agenda jedes Unternehmensvorstandes.

Ein Jahrzehnt der Investitionen liegt vor uns

Beim Thema Schulden zeichnen sich Konflikte ab. Bei einem Bundesparteitag haben Sie sich dezidiert gegen die Austeritätspolitik ausgesprochen. Aber in Baden-Württemberg gilt die Schuldenbremse und die setzen Sie um. Wie sehr müssen Sie sich dabei verbiegen?

Bayaz: Die Schuldenbremse ist eine Errungenschaft, weil sie die Interessen zukünftiger Generationen schützt. Wenn sie aber dazu führen sollte, dass sie wichtige Investitionen in die Zukunft verhindert, sollte man überlegen sie weiterzuentwickeln. Das gilt besonders für die Schuldenbremse auf Bundesebene. In Baden-Württemberg steht die Schuldenbremse in der Landesverfassung, sie gilt und das werde ich auch einfordern. Sie bietet aber auch die nötige Flexibilität für finanzielle Spielräume, zum Beispiel können wir in einer Naturkatastrophe Kredite aufnehmen und Corona ist so eine Naturkatastrophe.

Warum muss man die Schuldenbremse auf Landesebene dennoch „weiterentwickeln“, wie Kretschmann sagte?

Bayaz: Hier geht es um kleine Änderungen innerhalb der bestehenden Schuldenbremse. Meine Haushälter haben in Abstimmung mit dem Rechnungshof eine Anpassung vorgeschlagen, mit der bisherige Lücken geschlossen werden sollen. Diese Änderung hat den Vorteil, dass wir die so genannte Konjunkturkomponente der Schuldenbremse besser an die tatsächlichen konjunkturellen Gegebenheiten anpassen können. In wirtschaftlichen Krisenzeiten würde uns das – im kleinen Maßstab – mehr Spielräume eröffnen.

Der Städtetag fordert das Land auf, für eine bessere Klimapolitik mehr Schulden zu machen. Was sagen Sie dazu?

Bayaz: Die Städte sind wichtige Partner, wir werden im Juli bei der ersten gemeinsamen Finanzkommission über unsere weitere Zusammenarbeit sprechen. Wir werden die Kommunen in die Pflicht nehmen beim Klimaschutz, aber wir wissen auch um die schwierige Lage vieler Städte und Gemeinden, die auch 2021 hohe Gewerbesteuerausfälle zu tragen haben. Die Kommunen können sich darauf verlassen, dass sie die Landesregierung auch weiterhin unterstützt, gerade auch beim Klimaschutz. Ökonomen warnen vor neuen Schulden, weil das Land hohe Pensionslasten hat. Wir stehen vor gewaltigen Aufgaben bei der Digitalisierung und beim Klimaschutz, aber auch bei den Folgen des demografischen Wandels. Darüber reden wir viel zu wenig. Zum Glück werden für die Pensionen bereits Rücklagen gebildet, klar ginge da noch mehr. Für mich ist zentral: Das vor uns liegende Jahrzehnt muss ein Jahrzehnt der Investitionen sein.

Wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen

Der Klimaschutz steht im Koalitionsvertrag unter Finanzierungsvorbehalt. Verprellen Sie damit junge Wähler?

Bayaz: Es ist völlig normal, dass ein Koalitionsvertrag Projekte unter Finanzierungsvorbehalt stellt. Denn wenn man alles sofort umsetzen würden, wären wir schnell handlungsunfähig. Wir sind aber gezwungen, politische Prioritäten zu setzen. Dass der Klimaschutz dabei ganz oben steht, darauf haben sich Grüne und CDU verständigt. Im Haushalt für 2022, darauf können Sie sich verlassen, wird Klimaschutz ein maßgebliches Thema sein.

Sind dafür neue Schulden nötig?

Bayaz: Der Klimaschutz ist ja keine Naturkatastrophe wie die Corona-Pandemie, die über Nacht über uns hereingebrochen ist, sondern er ist eine lang bekannte Menschheitsaufgabe, die uns die nächsten Jahrzehnte beschäftigen wird. Am Geld allein scheitert der Klimaschutz ohnehin nicht. Denn wir hatten in den vergangenen Jahren volle Kassen im Bund und in den Ländern, und trotzdem haben wir die notwendigen Sprünge nicht gemacht. Die Aufgabe erfordert vor allem verlässliche Rahmenbedingungen. Wenn ich mit Unternehmern spreche, sagen die mir: Gebt uns Regeln, wie den CO2-Preis, auf die wir uns langfristig und verlässlich einstellen können, um wettbewerbsfähig Geschäftsmodelle entwickeln können.

Das Gespräch führten Renate Allgöwer und Arnold Rieger.

Quelle:

Das Interview erschien am 18. Juni 2021 in der Stuttgarter Zeitung.

Weitere Meldungen

Wort-Bild-Logo der Kampagne Start-up BW. (Bild: Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg)
  • Start-up BW

„Fara AI“ im Landesfinale des Start-up-Wettbewerbs

Die Kabinettsmitglieder sitzen am Kabinettstisch der Villa Reitzenstein.
  • Landesregierung

Bericht aus dem Kabinett vom 16. Juli 2024

Hände von Personen und Unterlagen bei einer Besprechung an einem Tisch.
  • Entlastungsallianz

Weitere 100 Maßnahmen zum Bürokratieabbau

ILLUSTRATION - Auf einer Computertastatur liegen Kreditkarten. (Foto: © dpa)
  • Finanzkriminalität

Land verstärkt Kampf gegen Geldwäsche

Geschäftsleute in einem Sitzungssaal diskutieren unter der Leitung einer Führungskraft.
  • Gründungsförderung

Mikrofinanzierung für Existenzgründer

Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut
  • Kreisbesuch

Hoffmeister-Kraut besucht Rems-Murr-Kreis

Veranstaltung des Ministeriums und Südwestmetall ZukunftsFest
  • Bildung und Wissenschaft

Tagung für wissenschaftliche Weiterbildung

Polizist der Polizei Baden-Württemberg kontrolliert den Verkehr.
  • Polizei

Zweite Aktionswoche der Verkehrssicherheit gestartet

Das Display eines Heizkessels mit den Einstellungen für Außen-, Innen und Vorlauftemperatur.
  • Klimaschutz

Klimaschutz- und Projektionsbericht veröffentlicht

Ein Mann programmiert einen Roboterarm, der in einer Produktionslinie einer Smart Factory eingebaut ist.
  • Ländlicher Raum

Bis Ende August für „Spitze auf dem Land!“ bewerben

Wort-Bild-Logo der Kampagne Start-up BW. (Bild: Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg)
  • Raumfahrt

Land fördert Start-ups mit Bezug zur Weltraumtechnik

Der Wettbewerb „KI-Champion BW“ startet. (Bild: Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg)
  • Künstliche Intelligenz

Neun KI-Champions Baden-Württemberg 2024 ausgezeichnet

Startup Summit 2024
  • Startup BW

Tolle Geschäftsideen bei Start-up-Gipfel ausgezeichnet

  • Start-up BW

Gründungsszene des Landes trifft sich in Stuttgart

Altes Gaswerk in Rottweil
  • Umweltschutz

Land fördert Sanierung des Gaswerks Rottweil

Eine Hand tippt auf einer Tastatur.
  • Sicherheit

25 Jahre Sicherheitsforum Baden-Württemberg

Straßenbaustelle an der B31 im Schwarzwald (Bild: © dpa).
  • Straßenbau

Baubeginn des Röhrenbergtunnels an der B 33

Einsatzkräfte der Feuerwehr errichten am Nonnenbach in Bad Saulgau im Ortsteil Moosheim einen Damm mit Sandsäcken gegen das Hochwasser.
  • Unwetter

Bessere Förderbedingungen für Unternehmen nach Unwettern

Das Logo des Projekts „Handel 2030“.
  • Stadtentwicklung

Förderung regionaler Innenstadtberater

Wettbewerb für den Neubau des Ankunftszentrums für Geflüchtete im Patrick Henry Village in Heidelberg Platz 1
  • Geflüchtete

Siegerentwurf des Ankunftszentrums für Geflüchtete in Heidelberg

Quantum for all
  • Forschung

4,7 Millionen Euro für Graduiertenschule

Staatssekretär Dr. Patrick Rapp bei seiner Ansprache
  • Donauraum

Land baut Wirtschaftsbeziehungen mit Südost- und Osteuropa aus

Die Kabinettsmitglieder sitzen am Kabinettstisch der Villa Reitzenstein.
  • Landesregierung

Bericht aus dem Kabinett vom 9. Juli 2024

Apfelbäume stehen auf einer Streuobstwiese (Foto: dpa)
  • Biodiversität

Streuobstkonzeption 2030 mit Maßnahmen für den Streuobsterhalt

Gruppenbild mit den Gewinnerinnen und Gewinnern des Schülermedienpreises 2024
  • Medienbildung

Schülermedienpreis 2024 verliehen