Ministerin Nicole Razavi, geht von 7. bis 10. September auf eine Denkmalreise durch Baden-Württemberg. Die Reise soll zeigen, dass Wohnen und Denkmalschutz kein Widerspruch sind.
Die Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen, Nicole Razavi, ist auf Denkmalreise durch Baden-Württemberg: Von 7. bis 10. September informiert sich die Ministerin, deren Haus für die Pflege und den Schutz von Denkmalen zuständig ist, in allen vier Regierungsbezirken des Landes über ausgewählte Denkmale und den Denkmalschutz.
Das Motto der Reise lautet: Wohnen und Leben im und mit dem Kulturdenkmal – damals und heute. „Kulturdenkmale prägen das Bild unseres Landes und machen unsere Geschichte erlebbar“, so Razavi. „Dieses wertvolle Erbe gilt es zu bewahren, durch gemeinsames Engagement zu schützen und nutzbar zu erhalten.“ Mit der Reise, so Razavi, wolle sie auch Vorurteilen begegnen: „Wohnen und Denkmalschutz sind kein Widerspruch, im Gegenteil: Wohnen im Denkmal hat Konjunktur und ist gelebte Nachhaltigkeit – dies zeigen zahlreiche gelungene Beispiele im Land.“
Erfolgsmodelle zu Wohnen und Leben im Denkmal
Ob Villa im Bauhausstil, ehemalige Mühle, Tabakscheune oder gemütlicher Bauernhof – Wohnen und Leben im Denkmal ist möglich und bietet ein einzigartiges Flair. Die Ministerin wird auf der Reise unter anderem interessante und spannende Best-Practice-Beispiele besuchen und sich mit den Denkmaleigentümern über deren Erfahrungen unterhalten. Archäologische Ausgrabungen führen die Ministerin zudem in längst vergangene Zeiten und deren Siedlungsstrukturen.
Zum Erhalt der baden-württembergischen Kulturdenkmale stellt das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen alljährlich ein Denkmalförderprogramm auf. Im Jahr 2020 förderte das Land auf diese Weise 233 Maßnahmen in Gesamthöhe von 17,6 Millionen Euro.
Das Programm der viertägigen Denkmalreise (PDF) ist presseöffentlich. Vor Ort stehen neben Ministerin Razavi fachkundige Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner der Landesdenkmalpflege für Fragen zur Verfügung. Bei den Terminen sind die Corona-Regeln des Landes Baden-Württemberg zu beachten.
Berichte der Denkmalreise
Ministerin Razavi startete ihre Denkmalreise im Regierungsbezirk Freiburg mit dem Besuch eines ehemaligen Vogtsbauernhof in Villingen-Schwenningen. Eine 1796 errichtete Hofanlage von beeindruckender Größe, in deren Wohngebäude die einstige Doppelfunktion als öffentlicher Amtssitz und Privathaus bis heute ablesbar ist. „Die Amts- und Wohnstube zeigen anschaulich das Wohnen und Leben in der damaligen Zeit“, so Razavi. Die denkmalgerechte Gesamtsanierung des Wohnhauses mit erheblichen Eigenleistungen, ist vom Engagement des Denkmaleigentümers geprägt.
Als zweite Station besuchte sie das spätkeltische Doppeloppidum Altenburg-Rheinau in Jestetten. Dieses liegt nur wenige Kilometer unterhalb des Rheinfalls bei Schaffhausen in einer Doppelschlaufe des Hochrheins auf den Halbinseln «Schwaben» (Altenburg D) und «Au» (Rheinau CH). Das Oppidum stellt die größte und bedeutendste spätkeltische Siedlung im Regierungsbezirk Freiburg dar. An einem „Verkehrsknotenpunkt“ gelegen hatte es damals eine zentrale Funktion für die ländlichen Siedlungen im Umland. „Die erfolgreiche grenzüber-schreitende Zusammenarbeit und der Einsatz der vielen ehrenamtlichen Beauftragten imponiert mir bei diesem Projekt besonders“, so Razavi.
Besuch des Münsters in Radolfzells und der Schlosskirche auf der Insel Mainau
Anschließend wurde das gotische Münster Unserer Lieben Frau in Radolfzell besichtigt. Durch die laufenden Maßnahmen am Dach und im Kircheninnenraum wird dieses Wahrzeichen der Stadt, das weit in die Bodenseeregion wirkt, erhalten. Das Bauwerk erlebte durch Barockisierungen, Purifizierungen und Neuschöpfungen eine stete Veränderungsgeschichte.
Die letzte Station des Denkmaltages führte die Ministerin in die Schlosskirche auf der Insel Mainau. „Die Insel Mainau gehört mit ihren vielen und wertvollen Kulturdenkmalen, darunter das Schloss mit Schlosskirche, die Befestigungsanlagen sowie Park und Gärten, zu den bedeutendsten Orten des Landes“, betont Ministerin Razavi. Die „Blumeninsel“ mit dem gräflichen Schloss ist bei den Besuchern von nah und fern überaus beliebt und weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt.
Die Tour des zweiten Tages führte Ministerin Razavi nach Langenargen in das Schloss Montfort, ein bedeutendes Kulturdenkmal und beliebtes Ausflugsziel am Bodensee. Es ist ein wichtiges Beispiel für die orientalisierende Baukunst des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Die kastellartige Schlossanlage liegt auf einer Landzunge im Bodensee und ist von einer massiven Mauer umgeben. Im Frühjahr wurde mit den Instandsetzungsarbeiten an der Ufermauer begonnen. „Ich bin dankbar, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Landesdenkmalpflege dieser anspruchsvollen Aufgabe täglich mit großem Engagement und Expertise widmen“, sagt Razavi.
Der Gasthof Adler in Isny im Allgäu ist einer der bedeutendsten oberschwäbischen Gasthöfe, im großen Tanzsaal tagte einst die Gruppe 47, Günter Grass las hier erstmals aus der Blechtrommel. Nach langem Leerstand, soll dieser ikonische Treffpunkt wieder mit Leben gefüllt werden. In diesem Jahr ist der Gasthof Adler Gegenstand des Studierenden-Workshops des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz (DNK) (PDF), der traditionell für Studierende verschiedener Fachrichtungen in der Woche vor dem Tag des offenen Denkmals veranstaltet wird, um mit neuen Ideen – Entwicklung eines Co-Working-Spaces – Lösungsansätze für Denkmale zu präsentieren. Im Jahr 2021 ist das Landesamt für Denkmalpflege offizieller Kooperationspartner, die Hochschule für Wissenschaft und Kunst Hildesheim begleitet das Projekt. „Durch Kooperationen können Projekte gemeinsam gestemmt und das Know-How ausgebaut werden. Für die gute Zusammenarbeit möchte ich mich an dieser Stelle bedanken. Auf das Konzept der Studierenden mit Lösungsansätzen zur Wiederbelebung des Gasthofs bin ich schon gespannt“, so Razavi.
Die Villa Sauerländer als Teil der „Bauhaus“-Architektur
Weiter ging es zur Villa Sauerländer in Wolfegg-Alttann. Sie wurde für den Künstler und Unternehmer Willi Sauerländer nach Plänen von Architekt Richard Herre, Stuttgart, 1929 erbaut. Das Wohnhaus mit zwei- bis dreigeschossigem Putzbau in Hanglage aus zwei gegeneinander versetzten Kuben, mit breiten Balkonterrassen im Süden und Flachdach stellt ein bedeutendes Beispiel der „Bauhaus“-Architektur in Baden-Württemberg dar.
Zum Abschluss der heutigen Tagestour machte sie Station in Bad Buchau im Federseegebiet. Es gilt als fundreichstes Moor Europas. Die prähistorische Besiedlung reichte von der Steinzeit bis in die Eisenzeit. Anlegestellen und Einbaum-Funde – so viele wie sonst nirgends rund um die Alpen – weisen auf ausgedehnten Bootsverkehr in der Vorgeschichte hin. Drei jungsteinzeitliche und bronzezeitliche Siedlungen sind Teil der seriellen transnationalen Welterbestätte „Prähistorische Pfahlbauten um die Alpen“, hier wurden auch prähistorische Räder gefunden, die zu den ältesten der Welt gehören.
Erste Station des Tages war die keltische Viereckschanze Gerichtstetten bei Hardheim. Sie ist ausgesprochen gut erhalten und ein gutes Beispiel für die typische ländliche Siedelform (Gutshof) der spätkeltischen Zeit (2./1. Jahrhundert vor Christus). Die Grabungen im späten 19. Jahrhundert erbrachten im Innenraum diverse Gebäudespuren, Reste des Torgebäudes und eine Zisterne oder einen Brunnenschacht und waren damit wegweisend für die Erforschung dieser Denkmalgattung im 20. Jahrhundert. Dicht innerhalb des nördlichen Walles ist auch heute noch der Schutthügel eines Steingebäudes sichtbar, das zu einer früh- bis hochmittelalterlichen Sekundärnutzung der Schanze gehören dürfte.
Bei der zweiten Station besichtigte die Ministerin die Schlossanlage der Rüdt von Collenberg in Buchen-Bödigheim. Die Anlage mit mittelalterlicher Burg, Renaissancepalast, Barockschloss und romantischem Landschaftsgarten ist malerisch verschachtelt und am Berg in die Höhe gestaffelt. Bereits in der Renaissance wurde die Burg an die zeittypischen Belange angepasst und zum Schloss ausgebaut. Nach der Zerstörung der Vorburg im Dreißigjährigen Krieg wurde im 18. Jahrhundert zunächst ein barocker Schlossbau (das heute sogenannte Weiße Schloss) durch Jakob Rischer erbaut. Das sogenannte Rote Schloss brannte in den 1940er Jahren aus und wurde in den 1990er Jahren saniert. Heute befinden sich dort Eigentumswohnungen. Das Schloss wurde im Laufe seiner Geschichte immer wieder den aktuellen Bedürfnissen angepasst und um- beziehungsweise angebaut. „Wohnen im Schloss und Leben in geschichtsträchtigem Gemäuer, das hat Charme und ein ganz besonderes Flair. Das Ziel „Wohnraum nutzen – Denkmal erhalten“ wird hier beispielhaft umgesetzt“, so Razavi.
Projekt „denkmal minimal“
Anschließend führte die Tour nach Neckarbischofsheim zu einem repräsentativ für das Projekt „denkmal minimal“ ausgewählten leerstehenden Gebäude. Ein erfahrenes Architekturbüro hat in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege Ausbauvorschläge für verschiedene neue Nutzungsmöglichkeiten entwickelt. Gemeinsames Anliegen war es dabei, die Gebäude in ihrer historischen Bausubstanz und ihrem charakteristischen Erscheinungsbild zu bewahren. „So wird bezahlbarer Wohnraum geschaffen und das Kulturdenkmal erhalten“, betont Razavi. Das Landesamt für Denkmalpflege will mit diesem Projekt zusammen mit der Städtebauförderung und der Stadt Neckarbischofsheim einen aktiven Beitrag zur Belebung wenig genutzter Wohngebäude und zur Entwicklung ländlicher Stadt- und Ortskerne leisten.
Letzte Station im Regierungsbezirk Karlsruhe waren die Tabakscheunen Rheinstetten. Die Reichsanstalt für Tabakforschung hatte 1938 in Rheinstetten-Forchheim zwei Tabaktrockenschuppen zur künstlichen Trocknung bei der Herstellung von Virginiatabak erbauen lassen. Jeder Schuppen hatte vier Trocknungsöfen, wovon einer noch komplett erhalten ist. An den Ziegelwänden im Inneren gibt es einen großen Bestand historischer Graffiti aus den Kriegsjahren.
Nach langem Leerstand wird einer der Speicher aktuell zu einem Wohnhaus umgebaut, der andere dient als öffentliches Café. „Durch diese cleveren Umnutzungskonzepte bleibt die wichtige Charakteristik der Denkmale erhalten. Die Tabakscheunen sind gelungene Beispiele für Wohnen und Leben im und mit dem Kulturdenkmal“, so Razavi.
Ihre Tagestour startete Ministerin Razavi bei der sogenannten Oberen Mühle, die letzte von einst drei Mühlen am Amorsbach. Das insgesamt drei Geschosse zählende Hauptgebäude des Mühlenanwesens steht in leichter Hanglage und wurde im Erdgeschoss massiv, in den beiden Obergeschossen als Fachwerkkonstruktion ausgeführt. Eine inschriftliche Datierung am Rundbogentor des Gewölbekellers weist darauf hin, dass das massive Erdgeschoss aus dem späten 16. Jahrhundert stammt. Im Inneren beherbergt das Gebäude neben der Mühlentechnik, eine großzügige Wohneinheit, die mehrere Jahrzehnte in zwei kleine Wohnungen unterteilt war. Prägende Elemente wie Kassettentüren, Dielenböden et cetera aus der Nachkriegszeit sind erhalten. Die von den neuen Eigentümern engagiert verfolgte Sanierung berücksichtigt den spezifischen Charakter dieses Kulturdenkmals. Neben der privaten Wohnnutzung wird eine Öffnung des Gebäudes für die Öffentlichkeit als Schaumühle angestrebt. „Wohnen im Denkmal ist gelebte Nachhaltigkeit. Das große Engagement der Eigentümer und der Erhalt des Kulturdenkmals als privater Wohnraum beeindruckt mich“, betont Razavi.
Erforschung der Mittelalterarchäologie in Unterregenbach
Weiter ging es nach Unterregenbach, das seit den 1960er Jahren einer der wichtigsten Forschungsschwerpunkte der Mittelalterarchäologie in Baden-Württemberg ist. Diese wird nun wiederbelebt, um offene Fragen mit modernen Methoden der Archäologie und Naturwissenschaften zu klären. In Unterregenbach wurde in den vergangenen Jahrzehnten ein einmaliges Ensemble aus Kirchen und Bestattungsplätzen mit Herrensitz und Siedlung des Früh- bis Spätmittelalters archäologisch untersucht. Von privater Seite wurde eine Stiftung ins Leben gerufen, die sich der archäologischen Erforschung von Unterregenbach widmet.
„Romeo und Julia“ nicht von William Shakespeare, sondern die Wohnhochhausgruppe in Zuffenhausen als Vertreterin des organischen Bauens, war die nächste Station der Delegation um Ministerin Razavi. Die skulpturalen Bauten zählen in der architekturgeschichtlichen Forschung zu den herausragenden Leistungen der Nachkriegsmoderne. Das Engagement für neue Bauweisen und den Einsatz neuer Materialien stellt im Rahmen der anstehenden Sicherungs- und Instandhaltungsmaßnahmen eine Herausforderung dar und erfordert die Entwicklung neuer Restaurierungskonzepte. “Insbesondere bei Modernisierungen von Wohngebäuden steht die Denkmalpflege immer wieder vor der Frage, wie Gebäude energetisch optimiert werden können. Ich bin beeindruckt von den Innovationen in diesem Bereich“, so Razavi.
Aus ehemaligen Textilwerken wird ein neues Stadtquartier
Zum Abschluss der Denkmalreise besuchte sie die ehemaligen Textilwerke Heinrich Otto und Söhne (HOS) in Wendlingen am Neckar. Heinrich Otto, der die Firma von 1844 bis 1894 leitete, baute den elterlichen Betrieb zu einem der größten Textilwerke Württembergs aus mit Standorten in Frickenhausen, Neckartenzlingen, Nürtingen, Plochingen, Reichenbach und Unterboihingen. 1885 beschloss Robert Otto, Leiter des Unterboihinger Werks, die Errichtung einer Weberei mit neuem Standort in Wendlingen, eine herausragende Industrieanlage, die noch heute als Musterbeispiel eines Textilwerks des Historismus schlechthin gelten kann.
Nun soll hier ein neues Stadtquartier, als Projekt der Internationalen Bauausstellung IBA 2027, mit 330 Wohnungen überwiegend in Neubauten und 47.000 Quadratmetern Gewerbefläche entstehen. „Die Umnutzung des Spinnerei-Hochbaus, sowie des neuen Kessel- und Maschinenhauses mit Dampfturbine und der Weberei sind eine denkmalpflegerische und planerische Herausforderung“, so Razavi. Die Bergmann-Dampfturbine von 1910 ist Gegenstand interdisziplinärer Zusammenarbeit von Landesamt für Denkmalpflege und verschiedener Hochschulen (Karlsruher Institut für Technologie, Lehrstuhl für Digitale Denkmaltechnologien der Universität Bamberg). „Ich werde diese Projekte gespannt weiterverfolgen. Wohnen und Leben im und mit dem Kulturdenkmal wird man hier in Wendlingen ein-drucksvoll zeigen können. Ich freue mich über die große Bereitschaft und Expertise, die bei diesen „Denkmalchallenges“ zum Ausdruck kommt.“, sagte Razavi.
Tag des offenen Denkmals am Sonntag, 12. September
Im Anschluss an die Denkmalreise findet am Sonntag, 12. September, als Höhepunkt der Denkmalwoche der Tag des offenen Denkmals unter dem Motto „Sein und Schein – in Archäologie & Bau- und Kunstdenkmalpflege“ statt. Die landesweite Eröffnung startet mit der Nacht des offenen Denkmals, die – ebenfalls in Anwesenheit von Ministerin Razavi – in Meersburg gefeiert wird, und zwar am Tag davor, also am Samstag, 11. September, um 17 Uhr.
Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen: Das Programm der viertägigen Denkmalreise (PDF)