Beim Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 in der Stuttgarter Synagoge hat Innenminister Thomas Strobl vor einem wachsendem Antisemitismus gewarnt. Die Sicherheit jüdischer Gemeinden sei die Angelegenheit der gesamten Gesellschaft.
„Die nicht nur entfesselte, sondern gezielt vorbereitete, ja befohlene Gewalt, mit der am 9. November 1938 die Synagoge hier in Stuttgart und Synagogen und Betsäle im ganzen Land zerstört und Gläubige angegriffen wurden, darf niemals vergessen werden. Andere Formen der Gewalt – etwa die öffentliche Verbrennung von Büchern – waren ihr vorausgegangen und der massenhafte Genozid an Millionen Menschen folgte ihr nach. Es ist richtig und klug, was Lukas Bärfuss in seiner Rede zur Verleihung des Georg-Büchner-Preises am vergangenen Samstag sagte, wer den letzten Krieg vergisst, bereitet den nächsten schon vor“, sagte der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl beim Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 in der Stuttgarter Synagoge.
„Wir sind bei und wir sind mit Ihnen“
Der Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs, Professorin Barbara Traub, sowie den weiteren Vertreterinnen und Vertretern der Jüdischen Gemeinde sagte Strobl: „Wir sind bei und wir sind mit Ihnen – auch, aber nicht nur am heutigen Tag des gemeinsamen Gedenkens.“
So schmerzhaft es auch sei, daran zu erinnern, so sehr habe es Strobl als Vertreter der Landesregierung es doch auszusprechen: „Die Gewalt der Reichspogromnacht ging auch hier in Stuttgart nicht zuerst von einem radikalen Mob aus, sondern wurde von staatlichen Stellen vorbereitet, befohlen und mit ausgeführt. Mit nur wenigen Ausnahmen nahmen Beamte, Polizisten und Feuerwehrleute an den Verbrechen der Reichspogromnacht teil – auch hier in Württemberg, auch ganz konkret hier in Stuttgart.“ Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes gab und gibt es jene, die sich den Verbrechen und auch der Schuld der damaligen Generationen nicht stellen wollten: „Doch die Mütter und Väter des Grundgesetzes zogen wichtige Lehren aus dem katastrophalen Scheitern der Weimarer Demokratie und dem folgenden Vernichtungswahn der Tyrannei. Sie stellten die Verpflichtung auf die Menschenwürde als ersten Artikel unseres Grundgesetzes allen anderen Bestimmungen voran. Damit griffen sie die Erkenntnis auf, die die jüdische Überlieferung bereits vor fast 2.000 Jahren im Talmud formuliert hatte: Wer einen Menschen vernichtet, dem soll es sein, als habe er die ganze Welt vernichtet. Und wer ein Menschenleben rettet, dem soll es sein, als habe er die ganze Welt gerettet. Keine Ideologie, keine Partei und auch kein Staat hat das Recht, die Würde auch nur eines Menschen gezielt preiszugeben. Wo dies doch geschieht, hört dieser Staat auf, ein demokratischer Rechtsstaat zu sein.“
Die jüdischen Gemeinden sind nicht alleine
Heute seien wir an einem Punkt, der trotz des neuen und alten Antisemitismus in unserer Gesellschaft Zuversicht geben kann, so Minister Thomas Strobl: „Diesmal sind die jüdischen Gemeinden bei der Abwehr des alten und neuen Antisemitismus nicht alleine. Diesmal stehen Staat und Regierung, Polizei und Feuerwehren, aber auch Kirchen, Verbände und die allermeisten Bürgerinnen und Bürger an Ihrer Seite! Sie sind nicht alleine! Diesmal erkennen wir, dass die Sicherheit jüdischer Gemeinden keine Angelegenheit nur einer Religionsgemeinschaft ist, sondern die Angelegenheit unserer gesamten Gesellschaft! Deshalb bekämpfen wir Antisemitismus ganz entschieden und entschlossen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln. Wir nehmen es nicht hin, dass Gewalt gegen Synagogen ausgeübt wird! Wir sind auf der Hut, wehrhaft entschlossen, wenn auf eine Synagoge Schüsse abgefeuert werden! Wir nehmen es nicht hin, dass einem jüdischen Mitbürger die Kippa vom Kopf gerissen wird! Wir lassen es nicht zu, dass antisemitischer Hass und antisemitische Hetze ungestraft bleiben! Denn wenn eine Religionsgemeinschaft ihre Traditionen nicht mehr entfalten kann, wenn ein Mensch seine religiöse Kopfbedeckung verbergen muss, wenn eine Gruppe dem digitalen Hass preisgegeben wird, dann sind alle Menschen in ihrer Freiheit, ihrer Sicherheit, ihrer Würde bedroht. Und die Würde des Menschen ist unantastbar. Und das steht zentral für unseren Verfassungsstaat.“
„Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte Sie daher bitten, dass Sie sich von niemandem einreden lassen, Sie wären heute nur wegen der Vergangenheit hier gewesen“, sagte Strobl abschließend: „Nein, meine Damen und Herren, diese Erinnerung an den 9. November 1938 pflegen wir nicht nur um der Vergangenheit willen. Wir erinnern uns, weil wir gemeinsam die wertvollsten Versprechen unserer demokratischen Gesellschaft verteidigen: Unsere gemeinsame Würde und unsere gemeinsame Zukunft – als Menschen.“