Verkehrsminister Winfried Hermann hat sich bei einer Stadtbahnfahrt mit Flüchtlingen ausgetauscht, die zu Lokführern ausgebildet werden. Das Modellprojekt gibt Geflüchteten eine berufliche Perspektive, die Eisenbahnunternehmen gewinnen neue Fachkräfte.
Die Qualifizierung Geflüchteter zu Lokführern nimmt Fahrt auf: Verkehrsminister Winfried Hermann hat sich erneut über den Fortschritt des vor einem Jahr initiierten Modellprojekts informiert. In Karlsruhe besuchte Hermann am Nachmittag einen Ausbildungskurs und begleitete diesen auf einer Schulungsfahrt vom Karlsruher Hauptbahnhof nach Rastatt und zurück.
Während der knapp einstündigen Fahrt in einer Stadtbahn der Albtal-Verkehrs-Gesellschaft (AVG) tauschte er sich mit den Auszubildenden aus und zeigte sich positiv überrascht von deren mittlerweile erworbenen Fachkenntnissen: „Es ist beeindruckend, welches bahnspezifische Know-how die Kursteilnehmer in den wenigen Monaten seit Beginn des Kurses erlernt haben. Durch diese Qualifizierung erhalten diese Menschen eine echte berufliche Perspektive und die Eisenbahnverkehrsunternehmen gewinnen neue Fachkräfte. Diese werden dringend benötigt, wenn wir in Baden-Württemberg weiterhin ein verlässliches Mobilitätsangebot auf der Schiene gewährleisten wollen, zumal wenn wir den öffentlichen Nahverkehr in den kommenden Jahren weiter ausbauen wollen“, sagte Hermann. Gleichzeitig betonte er die Bedeutung dieses Modellprojekts als wichtiges Instrument für die Integration von Migrantinnen und Migranten in Deutschland. „Bildung, Sprache und die Integration in den Arbeitsmarkt sind die wesentlichen Bausteine, wenn gesellschaftliche Teilhabe gelingen soll und genau hier setzen wir mit diesem Modellprojekt an.“
Im Oktober hatten die ersten 15 Geflüchteten innerhalb des Regionalclusters Karlsruhe/Mannheim ihren Qualifizierungskurs begonnen. Zu diesem Cluster zählen neben der AVG, die mit sechs Kursteilnehmer die größte Zahl an Geflüchteten ausbildet, auch die Verkehrsunternehmen Go-Ahead und die MEV Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft mbH – sie stellen jeweils vier Auszubildende – sowie die Abellio Rail Baden-Württemberg GmbH, für die ein Geflüchteter die Weiterbildungsmaßnahme durchläuft. Das Modellprojekt wird vom Verkehrsministerium und der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit begleitet. Das Ministerium finanziert einen Integrationscoach, der als Vertrauensperson den Teilnehmern bei Verständigungsschwierigkeiten hilft, sie bei Behördengängen begleitet oder bei administrativen Vorgängen in den Verkehrsunternehmen unterstützt. Die Bundesagentur für Arbeit übernimmt die Lehrgangskosten und beteiligt sich an den Lohnkosten.
Praxisnahe Ausbildungsinhalte
Einen großen Teil ihrer zwölfmonatigen Qualifizierung absolvieren die Kursteilnehmer bei der MEV Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft mbh in Mannheim. In den ersten Wochen stand vor allem die Vermittlung von bahnspezifischen Grundlagenwissen auf dem Unterrichtsplan, etwa die Fahrzeug- oder Signaltechnik, die Zugsicherung oder Grundlagen der Kommunikation im Bahnbetrieb. Dabei legten die Ausbilder großen Wert darauf, dass die Kursteilnehmer das erlernte Wissen sogleich in die Praxis umsetzen konnten und deshalb möglichst viel Unterrichtszeit an und in den Schienenfahrzeugen verbrachten. Im nächsten Ausbildungsblock stehen neben dem Theorieunterricht noch weitere Schulungsfahrten sowie umfangreiches Training am Fahrsimulator auf der Agenda, damit die Teilnehmer wichtige Praxiserfahrung sammeln und auf mögliche Stress- und Gefahrensituationen bestmöglich vorbereitet werden.
Bei der MEV Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft zeigt man sich zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Ausbildung: „Dieses Modellprojekt war ja für alle Projektpartner ja ein Stück weit Neuland. Aber bislang sind wir auf einem guten Weg. Die Kursteilnehmer haben enorme Fortschritte gemacht und ihre theoretischen Prüfungen inzwischen alle bestanden. Das zeigt, dass wir bei der Bewerberauswahl die richtigen Entscheidungen getroffen haben und auch die Kriterien für das Recruiting-Verfahren, insbesondere das erforderliche Sprachniveau B2, richtig definiert worden sind“, lobte MEV-Geschäftsführer Marc Giesen die Berufseinsteiger und deren Ausbilder.
AVG übernimmt soziale Verantwortung
Auch bei der AVG, die im Ausbildungscluster eine führende Rolle einnimmt, sieht man sich in der Entscheidung bestätigt, sich an dem Modellprojekt zu beteiligen. „Wir haben mit der Ausbildung von Geflüchteten in unserem Betriebshof und Werkstattbereich bereits gute Erfahrungen gemacht. Das ist auch bei diesem Modellprojekt so. Unsere Auszubildenden sind sehr motiviert, diesen spannenden, verantwortungsvollen und zukunftssichernden Beruf zu lernen. Wir brauchen diese Fachkräfte, denn in den nächsten Jahren wird der Mobilitäts- und somit auch der Personalbedarf im ÖPNV weiter zunehmen“, machte AVG-Geschäftsführer Dr. Alexander Pischon deutlich. „Gleichzeitig übernehmen wir als kommunales Verkehrsunternehmen hier gerne gesellschaftliche Verantwortung und wollen dabei helfen, Menschen, die vor Krieg, Terror oder politischer Verfolgung geflohen sind, hier eine neue Perspektive zu bieten.“
Gute Sprachkenntnisse als Schlüssel zum Erfolg
Wichtige Grundvoraussetzung für ihre Teilnahme an dem Modellprojekt sind für die angehenden Triebfahrzeugführer gute Sprachkenntnisse: „Die Kursteilnehmer müssen später nicht nur mit Fahrgästen, per Funk mit der Leitstelle oder mit Kollegen und Vorgesetzen kommunizieren können. Auch in der Ausbildung selbst werden ja sehr viele Inhalte vermittelt. Das geht nur mit einem bestimmten Sprachniveau, zumal der Bahnbetrieb nochmal sein ganz eigenes, sehr technisches Fachvokabular hat, was die Auszubildenden zusätzlich lernen müssen“, erklärt Mirel Demo, einer der Ausbilder von der AVG, der gleichzeitig die Kursteilnehmer als Integrationscoach unterstützt.
Bei der Agentur für Arbeit sieht man sich nach dem bisherigen Kursverlauf bestärkt, dass die Kombination aus Spracherwerb, Qualifizierung und beruflicher Tätigkeit der richtige Ansatz ist, nicht nur bei diesem Modellprojekt. „Die Integration von Geflüchteten in den Arbeitsmarkt ist auf einem guten Weg. Dennoch dürfen wir in unseren Bemühungen nicht nachlassen. Dieses Modellprojekt ist beispielhaft dafür, dass eine Arbeitsmarktintegration gelingen kann, wenn geflüchtete und weitere geeignete Personen mit flankierenden Maßnahmen bei ihrem Start ins Berufsleben unterstützt werden. Dies kann beispielsweise mit branchenspezifischen Sprachkursen oder einem Integrationscoach gelingen. Besonders wichtig dabei ist, dass die Unternehmen und Behörden eng zusammenarbeiten“, sagt Christian Rauch, Leiter der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit.
Neue Fachkräfte werden in der Bahnbranche dringend benötigt
Positiv fällt auch die erste Zwischenbilanz beim Verkehrsunternehmen Go-Ahead aus: „Die Arbeitsmarktsituation, gerade im Bereich der Triebfahrzeugführer, ist bundesweit nach wie vor sehr angespannt. Es bedarf weiterhin großer Anstrengungen im Bereich der Personalrekrutierung, damit wir unseren Bedarf an qualifizierten Fachkräften auch zukünftig decken können. Deshalb nehmen wir auch die Chance wahr, mit diesem beispielgebenden Projekt neue und motivierte Mitarbeiter zu gewinnen“, sagt Katinka Heppekausen, Personalchefin bei der Go-Ahead Verkehrsgesellschaft Deutschland und verweist auch auf die andauernde Ausbildungsoffensive des Unternehmens in Baden-Württemberg. „Bereits im Dezember 2016 begann Go-Ahead mit der Ausbildung von Triebfahrzeugführern. Im März 2020 startet unser 17. Kurs, mit jedem Qualifizierungskurs haben wir bis zu 15 Teilnehmer ausgebildet.“
Auch bei Abellio ist man vom Erfolg des Modellprojekts ebenfalls überzeugt: „Die Eingliederung von Geflüchteten in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist eine gute Sache, der wir uns mit diesem Projekt verschrieben haben. Wir sind uns der verantwortungsvollen Rolle bewusst, die wir hierbei als Unternehmen für die berufliche Weiterentwicklung und Integration dieser jungen Menschen in Deutschland übernommen haben“, erklärt Rolf Schafferath, Vorsitzender der Geschäftsführung der Abellio Rail Baden-Württemberg GmbH. „Daher ist es uns wichtig, dass die Geflüchteten die Hürden, die sich im Zuge ihrer Qualifizierung auftun, nicht alleine überwinden müssen. Durch die gute Zusammenarbeit aller Projektpartner wurde ein hervorragendes Ausbildungsangebot geschaffen, von dem die Teilnehmer, die Eisenbahnverkehrsunter-nehmen und schlussendlich unserer Fahrgäste gleichermaßen profitieren. Es ist ein Modell, das sicherlich beispielgebend für andere Verkehrsunternehmen in Deutschland sein kann“, so Schafferath weiter.
Weiterer Kurs in der Region Stuttgart
Das Modellprojekt „Qualifizierung Geflüchteter zu Triebfahrzeugführern“ beginnt auch an einem weiteren Standort: Bei der DB Regio startet im Juli dieses Jahres in der Region Stuttgart mit einer Gruppe von Teilnehmern mit Fluchthintergrund eine Umschulung zum Triebfahrzeugführer (Berufsbezeichnung: Eisenbahner im Betriebsdienst, Fachrichtung Lokführer und Transport). Seit Mitte November 2019 wurden zwölf Teilnehmer in der Landeshauptstadt im Rahmen einer achtwöchigen Schulungsmaßnahme (Bewerber Check-up) darauf vorbereitet. Zwölf weitere Teilnehmer bekommen ab dem 23. März 2020 die Möglichkeit, den zweiten Bewerber Check-up zu durchlaufen.