Die diesjährige Frühjahrs-Innenministerkonferenz hat zukunftsweisende Beschlüsse getroffen. Zentrale Themen waren die Bekämpfung des Antisemitismus, der Umgang mit Verschwörungsideologien und die Lehren aus dem Management der Corona-Pandemie.
Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz haben der Vorsitzende der Innenministerkonferenz (IMK), Innenminister Thomas Strobl, sowie die Sprecher der SPD- beziehungsweise unionsgeführten Innenministerien Boris Pistorius und Joachim Herrmann gemeinsam mit Bundesinnenminister Horst Seehofer eine Auswahl der Beschlüsse der Frühjahrs-Innenministerkonferenz vorgestellt.
Zukunftsweisende Beschlüsse
„In den vergangenen drei Tagen hatten wir einen intensiven fachlichen Austausch mit tiefgehenden Beratungen und zukunftsweisenden Beschlüssen. Zentrale Themen waren die Bekämpfung des Antisemitismus, der Umgang mit Verschwörungsideologien und die Lehren aus dem Management der Corona-Pandemie. Die Beratungen waren ausgesprochen konstruktiv – zu fast allen rund 70 Tagesordnungspunkten gab es eine Verständigung. Besonders bei einem Thema sendet die Innenministerkonferenz ein starkes Signal der Einigkeit aus: Antisemitismus darf in Deutschland, egal in welcher Form, keinen Platz haben. Jüdinnen und Juden gehören zu Deutschland – Antisemiten ganz klar nicht“, fasste der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Baden-Württembergs Thomas Strobl, die Ergebnisse der Innenministerkonferenz zusammen. Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder hatte sich auf Einladung von Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl zurFrühjahrskonferenz vom Mittwoch, 16. Juni, bis Freitag, 18. Juni 2021, im Eurodistrikt Strasbourg-Ortenau in Rust getroffen. Die Tagesordnung beinhaltete rund 70 Tagesordnungspunkte zu Themen der Inneren Sicherheit, der Polizei, des Verfassungsschutzes, des Katastrophenschutzes, der Migration und der Digitalisierung.
Seehofer hebt Kampf gegen Antisemitismus hervor
Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat,Horst Seehofer betonte: „Nie zuvor hat eine Bundesregierung so viel zur Bekämpfung von Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus getan wie diese. Es ist zentrales Anliegen, unsere wehrhafte Demokratie und ihre Grundlagen zu stärken. Wir alle ziehen an einem Strang: Sicherheitsbehörden, Zivilgesellschaft und Politik. Wir werden unsere offene Gesellschaft vor Extremisten und Antisemiten schützen. Die letzten Tage ist einmal mehr deutlich geworden: Alle Innenminister der Republik sind sich einig: Jüdinnen und Juden müssen in Deutschland sicher leben können.“
Pistorius fordert Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz
Der niedersächsische Minister für Inneres und Sport und Sprecher der sozialdemokratisch geführten Innenressorts,Boris Pistorius, sagte zum Abschluss der Konferenz: „Es liegt in der Natur der IMK und ihres Einstimmigkeitsprinzips, dass wir trotz der guten Atmosphäre am Ende nicht zu allen Themen Einigkeit erzielen konnten. Neben dem wichtigen, gemeinsamen Signal zum Thema Antisemitismus, der von der Konferenz in Rust ausgeht, ist wichtig, dass wir uns darauf geeinigt haben, möglichst schon im kommenden Jahr gemeinsames Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz einzurichten. Auch unser eindeutiges, gemeinsames Signal zu den gewalttätigen linksextremistischen Gewaltakten in dieser Woche in Berlin möchte ich hervorheben. Was dort passiert ist, ist völlig inakzeptabel und durch nichts zu rechtfertigen. Das war durch nichts zu entschuldigende, rohe Gewalt gegen unsere Polizei und Feuerwehr. Wir wünschen den Verletzten baldige Genesung und stehen fest an der Seite der eingesetzten Kräfte.
Corona hat uns allen gezeigt, dass wir jetzt einen harmonischen Dreiklang aus gesellschaftlicher Stabilität, Gefahrenprävention und Handlungsfähigkeit im Notfall brauchen. Im Mittelpunkt unserer Gespräche stand die Einrichtung einer Bund-Länder-Kommission mit dem klaren Auftrag, dass ein gemeinsames Bund-Länder-Kompetenzzentrum entstehen kann. Dort sollen wissenschaftliche Expertise und die Kompetenz der Praxis eng vernetzt werden, Kommunen frühzeitig beteiligt werden und auch die nichtbehördlichen Akteure sowie die allgemeinen und fachlichen Kompetenzen im Bevölkerungsschutz in eine arbeitsfähige Struktur eingebunden werden. Ein solches Zentrum für Krisenmanagement und Krisenprävention sollte möglichst schon im kommenden Jahr verwirklicht werden. Wenn uns das gemeinsam gelingt, wäre es ein echter Durchbruch zur Neuausrichtung des Bevölkerungsschutzes in Deutschland. Wir müssen die richtigen Lehren aus der aktuellen Krise ziehen. Die Innenminister aus Bund und Ländern sind sich einig, dass Katastrophen grundsätzlich in den Katastrophenschutzministerien behandelt werden sollten, also den Innenministerien. Die leistungsfähigen Systeme für den Katastrophenschutz in den Ländern und Kommunen bilden dafür eine solide Basis.“
Forderung der Aufnahme afghanischer Ortskräfte
Auch die Frage der Aufnahme afghanischer Ortskräfte nach dem Abzug der Bundeswehr und deutscher Polizeimissionen aus Afghanistan wurde an der deutsch-französischen Grenze diskutiert. Pistorius: „Nach dem Abzug der Bundeswehr und der Polizei müssen wir uns mit angemessenen humanitären Maßnahmen um diejenigen Menschen zu kümmern, die unsere Hilfsmission vor Ort unterstützt haben. Vieles, was bereits getan wird, begrüßen wir, aber wir können noch wesentlich mehr tun, da sind wir uns im Kreise der IMK einig. Afghanen, die die Bundeswehr oder unsere Polizeimissionen unterstützt haben, stehen besonders im Fadenkreuz der Taliban. Bei der IMK haben wir deshalb beschlossen, dass im Rahmen des sogenannten Ortskräfteverfahrens ehemalige afghanischen Ortskräfte aus dem deutschen Polizeiprojekt genauso wie die der Bundeswehr behandelt werden und unseren besonderen Schutz erhalten. Das gilt für sämtliche ledige Kinder dieser Familien, nicht nur für die Minderjährigen. Denn wer würde bei der Ausreise mit der Familie seine 19-jährige Tochter alleine in Afghanistan zurücklassen, nur weil sie bereits volljährig ist? Zudem haben wir uns dafür ausgesprochen, die Visa-Verfahren für diese Personen zu verschlanken, über so genannte ‚Visa on arrival‘ bei Ankunft in Deutschland. Das entlastet unsere Botschaft vor Ort und ermöglicht eine schnelle und unkomplizierte Ausreise für die betroffenen Menschen. Auch haben wir beschlossen, die Bundesregierung darum zu bitten, die Kosten für die Ausreisen zu übernehmen.“
Anonymer Hetze im Netz entschlossen entgegentreten
Ein Thema bei der Frühjahrskonferenz waren auch Identifizierungsmöglichkeiten anonymer Hetzer in sozialen Netzwerken. Hier haben die Innenminister auf Vorschlag Niedersachsens und Mecklenburg-Vorpommerns beschlossen, an weiteren Maßnahmen zu arbeiten. Pistorius sagt: „Leider gibt es auch 2021 noch keine verlässlichen Werkzeuge, um Verfasser strafbewährter Hetze verlässlich ermitteln zu können. Wir wollen entsprechend des Beschlusses gemeinsam daran arbeiten, das zu ändern. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz umfasst nicht alle Bereiche und nicht alle gängigen Plattformen. Auch die Identifizierung von einzelnen Nutzern ist nach wie vor schwierig. Wir befürworten darum eine Identifizierungspflicht, aber – um das noch einmal klarzustellen - keine Klarnamen-Pflicht. Eine weitere Möglichkeit, die auch ohne die Identifizierungspflicht greifen würden, wären sogenannte ‚LOGIN-Fallen‘. Dabei arbeiten Betreiber sozialer Netzwerke gemeinsam mit der Polizei eng zusammen, um entsprechend Hetzer und deren IP-Adresse zu ermitteln, sobald sie sich erneut einloggen. In den entsprechenden Gremien der IMK werden dazu jetzt mögliche weitere Schritte diskutiert.“
Herrmann lobt Einigkeit in vielen Punkten
Der Sprecher der unionsgeführten Innenressorts, Bayerns InnenministerJoachim Herrmann, lobte die Beschlüsse der Innenministerkonferenz: „Wir haben ein klares Signal gesetzt, dass wir dort, wo wir es mit fanatischer Intoleranz zu tun haben, konsequent dagegen vorgehen – gegen den zunehmenden Rechtsextremismus und Antisemitismus ebenso wie gegen linksextremistische Gewalttäter und Islamisten. Besonders begrüße ich auch unsere Entschlossenheit, im Katastrophenschutz, insbesondere bei der Bekämpfung von Pandemien den Informationsaustausch und das Meldewesen zu verbessern. Egal ob Erdbeben, Hochwasser, Flugzeugabsturz oder eben eine große Pandemie: Wir brauchen schnelle optimale Informationen und eine gute Koordinierung. Hier können wir besser werden, indem wir beim Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe eine Koordinierungsmöglichkeit für den Bund und die von einer Katastrophe betroffenen Länder schaffen, ohne die Kompetenzen der Länder im Katastrophenschutz in Frage zu stellen.“
Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick
„Wir führen einen entschlossenen Kampf gegen den Antisemitismus in jeglicher Form und Ausprägung. Wir sind sehr dankbar, dass jüdisches Leben bei uns stattfindet. Deshalb stellen wir uns auch allem entgegen, was sich gegen jüdisches Leben in Deutschland wendet. Wehret den Anfängen! Der Schutz jüdischen Lebens und die Bekämpfung des Antisemitismus sind uns Herzensanliegen und Auftrag: Jüdinnen und Juden sollen sicher leben in Deutschland“, unterstrich Minister Thomas Strobl.
Die Innenminister haben in diesem Zusammenhang bei der Frühjahrskonferenz auch einige Maßnahmen auf den Weg gebracht. So werden die Länder ganz konkret bundesweit einheitliche Vorgaben und Standards erarbeiten, um eine einheitliche Behandlung von antiisraelischen Versammlungen im Umfeld von Synagogen und anderen jüdischen Einrichtungen sicherzustellen (Tagesordnungspunkt 57). „Meinungs- und Demonstrationsfreiheit sind nicht grenzenlos. Sie enden genau dort, wo die Rechte anderer verletzt werden. Deshalb dulden wir auch keinen Antisemitismus, der unter dem Deckmantel der Meinungs- und Versammlungsfreiheit durch die Straßen weht“, so Minister Thomas Strobl.
Die IMK sieht zudem die Notwendigkeit, die bestehenden Regelungen und den Strafrahmen bei antisemitischen Taten sowie Handlungen gegenüber Anhängern jeglicher Religionsgemeinschaften weitergehend zu überprüfen und anzupassen (Tagesordnungspunkt 60). Konkret heißt das: Nachdem der Bundesgesetzgeber höhere Strafen bei antisemitischen Motiven und den neuen Straftatbestand der „verhetzenden Beleidigung“ auf den Weg gebracht hat, geht es jetzt um die Verschärfung der Strafen für Volksverhetzung und Landfriedensbruch, der sich gegen öffentliche Gebäude, Liegenschaften und Einrichtungen von Religionsgemeinschaften richtet.
Darüber hinaus sollen mögliche Gesetzesanpassungen geprüft werden, wonach Amtsträgerinnen und Amtsträger, die in geschlossenen Telekommunikationsgruppen rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Inhalte in Zusammenhang mit der Dienstausübung austauschen, strafrechtlich belangt werden können. „Wir sind auf keinem Auge blind. Auch wenn die ganz überwiegende Mehrzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes sich in ihrer täglichen Arbeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung einsetzt und ganz fest auf dem Boden unserer Werte steht, so müssen wir uns gleichwohl damit beschäftigen, dass in letzter Zeit vermehrt Fälle aufgedeckt wurden, in denen durch Beamtinnen und Beamte in geschlossenen Kommunikationsgruppen inakzeptable Inhalte ausgetauscht wurden. Insbesondere, wenn diese eine rassistische, antisemitische oder fremdenfeindliche Haltung erkennen lassen, besteht absoluter Handlungsbedarf“, unterstrich der IMK-Vorsitzende, der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl. Das Verwenden volksverhetzender Inhalte und der Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen von Amtsträgern im Zusammenhang mit der Dienstausübung innerhalb geschlossener Kommunikationsgruppen, in denen nicht mit dem Bekanntwerden der Inhalte in einer breiteren Öffentlichkeit gerechnet werden muss, soll deshalb unter Strafe gestellt werden (Tagesordnungspunkt 58).
Die Pandemie hat auch in Teilen das gesellschaftliche Klima verändert. Im Zuge des sich ausweitenden Protestgeschehens gegen die Corona-Maßnahmen erfuhren auch vermehrt Verschwörungsideologien Aufwind, die sich zum Teil ganz konkret gegen staatliche Vertreter, einzelne gesellschaftliche Gruppen oder die freiheitliche demokratische Ordnung richten. „Die Pandemie ist ganz offensichtlich ein Nährboden für extremistische Verschwörungsideologien und für Hass und Hetze. Das sind keine Hirngespinste, sondern eine neue, reale Gefährdungslage“, so der IMK-Vorsitzende Thomas Strobl. Vor diesem Hintergrund wurde Ende April 2021 im Verfassungsschutzverbund ein neuer Phänomenbereich eingerichtet, dem bundesweit Organisationen und Gruppierungen zugeordnet werden, die das Ziel verfolgen, den Staat und seine Einrichtungen beziehungsweise Institutionen in Frage zu stellen. Auf diese Entwicklungen wird jetzt ein besonderer Blick gerichtet und die Zusammenarbeit entsprechend intensiviert und standardisiert. Auch hat die Innenministerkonferenz eine Arbeitsgruppe beauftragt, das Sonderlagebild in diesem Bereich zur Herbstsitzung 2021 fortzuschreiben (Tagesordnungspunkt 27 und 54).
Die Corona-Pandemie stellt Staat und Gesellschaft seit einem Jahr noch immer vor ganz besondere Herausforderungen. „Die Corona-Pandemie ist die heftigste Gesundheits- aber auch Wirtschafts-, Gesellschafts- und Kulturkrise seit der Nachkriegszeit. Deutschland ist relativ gut durch diese Krise gekommen. Aber es gab Rückschläge und eine Pandemie kann sich in einer globalen Gesellschaft jederzeit wiederholen. Der Klimawandel bringt neue Herausforderungen. Die zunehmende Digitalisierung macht uns verwundbar. Kurz: Die nächste Krise kommt bestimmt. Wir werden uns künftig auf komplexere Gefahrenlagen einstellen müssen. Wir müssen uns besser darauf einstellen, außergewöhnliche Ereignisse mit unkonventionellen Mitteln in professionellen Strukturen zu bewältigen!“, unterstrich der IMK-Vorsitzende Thomas Strobl die künftigen Herausforderungen. Die Innenministerkonferenz hat deshalb intensiv die Fragen diskutiert: Was hat uns die Corona-Pandemie gelehrt? Was können wir aus dieser Krise lernen? Was müssen wir überdenken, was ändern? (Tagesordnungspunkt 31)
Im Ergebnis hält die IMK eine umfassende Analyse des Krisenmanagements in der Corona-Krise für notwendig. „Statt über Kompetenzverlagerung zu sprechen, müssen wir uns über die Prozesse im Krisenmanagement unterhalten! Entscheidend ist doch nicht, wer eine Aufgabe erledigt, sondern wie eine Aufgabe besser erledigt werden kann. Mit Pragmatismus und Weitsicht müssen wir unsere Strukturen besser machen, fit und zukunftsfest für die nächste Krise – auf allen Ebenen“, so Minister Thomas Strobl.
Eine erste Betrachtung des Krisenmanagements lässt folgende Verbesserungspotenziale erkennen, das bis zur in einem ganzheitlichen Konzept ausgearbeitet werden soll:
- Ganzheitliches Bund-Länder-Krisenmanagement: Die Aufbau- und Ablauforganisation des Krisenmanagements muss vereinheitlicht und gestärkt werden. Die Schnittstelle zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den beteiligten Ressorts muss verbessert werden. Dazu soll die Schaffung eines echten Bund-Länder-Kompetenzzentrums für Krisenmanagement geprüft werden.
- Datenbasierte Krisenprävention: Die Möglichkeiten der Digitalisierung und die Grenzen des Datenschutzes sind unter dem Blickwinkel des Krisenmanagements zu beleuchten. Dazu gehört der Aufbau eines intelligenten, grenzübergreifenden und internationalen Frühwarnsystems, auf dessen Grundlage Handlungsbedarf entsprechend abgeleitet werden kann und das mit einem 360-Grad-Lagebild wie ein ganzheitliches Radargerät funktioniert.
- Zukunftsgerichtetes Ressourcenmanagement: Staat und Privatwirtschaft müssen Ressourcenvorhaltung neu aufstellen – und auch Lösungen für die zeitnahe Produktion beziehungsweise die Versorgungssicherheit entsprechender Güter entwickeln.
- Europa muss sich beim Krisenmanagement stärker vernetzen.