Als weiteren Baustein im Kampf gegen Artenschwund richtet die Landesregierung ein Zentrum für Integrative Taxonomie ein, das sowohl Wissenschaft und Forschung als auch die Fort- und Weiterbildung für die Praxis abdeckt. Ziel ist es, das Fachwissen zur Artenvielfalt im Land zu stärken, weiterzuentwickeln und in die Gesellschaft zu tragen.
„Die biologische Vielfalt ist Grundlage für die Nahrungssicherung und von weitreichender Bedeutung für die Klimaregulation. Sie ist maßgeblich für die Lebensqualität im Land. Der massive Rückgang der Artenvielfalt ist eine Herausforderung von ähnlicher Tragweite wie der Klimawandel. Es ist mir persönlich ein großes Anliegen, die Taxonomie sowohl in der Wissenschaft als auch im Bildungsbereich wieder nach vorne zu bringen. Deshalb startet das Land die Initiative ‚Integrative Taxonomie‘. Unser Ziel ist es, die Fachexpertise zur Artenvielfalt im Land zu stärken, weiterzuentwickeln und in die Gesellschaft zu tragen“, sagte Ministerpräsident Winfried Kretschmann im Anschluss an die Kabinettssitzung.
Mit der Initiative „Integrative Taxonomie“ wird ein Zentrum für Integrative Taxonomie eingerichtet, das sowohl Wissenschaft und Forschung als auch die Fort-und Weiterbildung für die Praxis abdeckt. Getragen wird das Zentrum für Integrative Taxonomie vom Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart und der Universität Hohenheim. Vorbehaltlich der Haushaltsberatungen stehen dafür im Gesamthaushalt 2020 knapp drei Millionen Euro und 2021 knapp zwei Millionen Euro zur Verfügung.
Hotspot der artenbezogenen Biodiversitätsforschung
„Unser Wissen über die Arten geht verloren und das nicht nur in der Öffentlichkeit. Mit dem bundesweit einzigartigen Zentrum für Integrative Taxonomie werden wir die vielen wissenschaftlichen Schätze, die sich in den taxonomischen
Sammlungen unserer Hochschulen und Naturkundemuseen befinden, zusammenführen und für Spitzenforschung und Lehre nutzbar machen. Das Fachwissen aus Wissenschaft und Forschung konzentrieren wir in diesem Zentrum, das damit zum ‚Hotspot‘ der artenbezogenen Biodiversitätsforschung in Baden-Württemberg wird“, sagte Wissenschaftsministerin Theresia Bauer.
Klassische – beschreibende – taxonomische Ansätze sollen mit modernen Methoden der Molekulargenetik oder Bioinformatik zusammengeführt werden, um mit diesem verbesserten Instrumentarium den Zustand der Arten zu erfassen.
„Erst durch die Kombination klassischer und innovativer Methoden zur Untersuchung der diversen Abhängigkeiten, Interaktionen und Wanderbewegungen können wir neue Erkenntnisse über den Zustand der Arten und ihre Lebensweise gewinnen. Wir erfahren, welche Mechanismen dem Artensterben zu Grunde liegen und welche Maßnahmen wir ergreifen müssen, um die Artenvielfalt zu schützen“, so Bauer. Das Zentrum für Integrative Taxonomie solle das Biodiversitätsmonitoring weiterentwickeln und so auch zu den großen Monitoringprogrammen auf Landes- und Bundesebene beitragen. Zudem würden zwei neue Professuren in den Bereichen „Integrative Taxonomie der Insekten“ und „Biodiversitätsmonitoring“ eingerichtet.
Praxisbezogene Weiterbildung an der Umweltakademie
Neben dem Bereich Forschung und Lehre ist der Bereich Fort- und Weiterbildung die zweite Säule der Initiative „Integrative Taxonomie“. „Für die Fort- und Weiterbildung werden wir die zum Umweltministerium gehörende Umweltakademie ausbauen“, sagte Umweltminister Franz Untersteller. „Stoßrichtung dabei ist nicht die Wissenschaft, sondern die Praxis. Die Aus- und Fortbildungsangebote zum Artenwissen richten sich an Personen in Behörden, Planungs- und Gutachterbüros und in den Landschaftserhaltungsverbänden, an die vielen Ehrenamtlichen im Natur- und Umweltschutz und an Multiplikatoren aus den verschiedensten Bereichen der Zivilgesellschaft.“
Naturkundemuseum als zentrale Infrastruktur
Neben der Qualifizierung von Artenschutzfachleuten für die praktische Arbeit vor Ort und neben dem Aufbau von Netzwerken zum Austausch und zur Qualitätssicherung werde das Fort- und Weiterbildungszentrum auch eine digitale Wissensplattform entwickeln und zur Verfügung stellen, so Untersteller. Der Fokus der Landesinitiative liegt auf extrem artenreichen Insektengruppen in Kultur- und Agrarlandschaften, wie sie in Baden-Württemberg typisch sind. Dabei werden nicht nur einzelne Taxa oder „Indikator-Arten“, wie etwa Wildbienen, sondern auch die Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten von Tieren, Pflanzen, Pilzen und Mikroorganismen untersucht. Eine große Bedeutung kommt dabei dem Staatlichen Museum für Naturkunde in Stuttgart zu, das als zentrale Infrastruktur der Biodiversitätsforschung einen Sammlungsbestand von über zwölf Millionen Objekten wissenschaftlich zugänglich macht und dadurch praxisorientierte Forschung und Lehre ermöglicht.
„Das Staatliche Museum für Naturkunde in Stuttgart verfügt mit seinen einzigartigen Sammlungen über ein Archiv der Natur von internationaler Forschungsrelevanz und liefert einen essentiellen Baustein der global vernetzten naturhistorischen Forschungssammlungen“, betonte der Ministerpräsident. Auf dieser Basis leiste das Naturkundemuseum seit Jahren wesentliche Beiträge zum grundlegenden Verständnis der Evolution und der Biodiversität. Um die Arbeit des Taxonomie-Zentrums möglichst gut an den gesellschaftlichen Bedürfnissen und den konkreten Schutzinteressen der biologischen Vielfalt ausrichten zu können, soll außerdem ein koordinierendes Gremium installiert werden. Es soll den Hochschulbereich und das Fort- und Weiterbildungszentrum miteinander verzahnen und wird mit Vertreterinnen und Vertretern des SyntheseZentrums, des Fort- und Weiterbildungszentrums und der beiden zuständigen Ministerien besetzt sein.
Zwei neue Professuren
Die Taxonomie ist das Teilgebiet der Biologie, das die verwandtschaftlichen Beziehungen von Lebewesen (und Viren) in einem hierarchischen System erfasst. In der Biologie erfolgt diese Einteilung traditionell in einem bestimmten Rang einer Systematik, wie Art, Gattung oder Familie und dies insbesondere bei Organismen. Im Zentrum für Integrative Taxonomie werden Fachexpertise, Daten und Methoden aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen, die an den Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Naturkundemuseen in Baden-Württemberg vorhanden sind, zusammengeführt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler arbeiten dort sowohl mit den klassischen – beschreibenden – taxonomischen Ansätzen als auch mit ökologischen, genetischen und bioinformatischen Methoden, um daraus neue Technologien und Methoden zu entwickeln, die es ermöglichen, den Zustand der Artenvielfalt besser zu erfassen.
Im Rahmen der Landesinitiative werden zwei Professuren neu eingerichtet im Bereich „Integrative Taxonomie der Insekten“ an der Universität Hohenheim und im Bereich „Biodiversitätsmonitoring“ als gemeinsame Berufung von Universität Hohenheim und dem Staatlichem Museum für Naturkunde Stuttgart.