Biodiversität

Mit dem Sonderprogramm Biodiversität die Grundlage unseres Lebens retten

Baden-Württemberg beherbergt rund 50.000 Arten. Über 40% davon sind gefährdert. Um den Artenrückgang zu stoppen, hat die Landesregierung ein Sonderprogramm aufgesetzt.

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Eine Hummel sitzt auf einer Distel-Blüte (Foto: © dpa)

Baden-Württemberg ist Heimat unterschiedlichster Pflanzen- und Tierarten: circa 50.000 wildlebende Arten sind hierzulande bekannt. Der wachsende Flächenverbrauch, die Versiegelung der Landschaft, die Lichtquellenzunahme, die Habitatzerschneidung, die land- und forstwirtschaftliche Nutzung, aber auch die Nutzungsaufgabe haben dazu beigetragen, dass die Zahl der Tier- und Pflanzenarten im Land seit Jahren zurückgeht. Diese Veränderungen und Gefährdungen werden in den Roten Listen dokumentiert. Danach sind rund 40 Prozent der in Rote Listen dokumentierten Fauna und Flora im Land inzwischen gefährdet.

Der massive und durch menschliche Einwirkung forcierte Rückgang der Artenvielfalt gefährdet das Gleichgewicht des gesamten Ökosystems, dem auch wir Menschen angehören. Zudem entstehen etwa durch einen dauerhaften Verlust der Bestäubungsleistung von Insekten hohe Kosten für die Allgemeinheit. Experten gehen von einem zweistelligen Milliardenbetrag aus. Um dem Artensterben entschieden zu begegnen, hat die Landesregierung bereits im November 2017 ein bundesweit einmaliges Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt verabschiedet. Darin verpflichtet sie sich, die biologische Vielfalt als Lebensgrundlage zu erhalten. Zusätzlich sollen verlässliche Daten über das qualitative und quantitative Vorkommen, etwa von Insekten, gesammelt werden. Ein Fachgremium, bestehend aus acht externen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, begleitet die Umsetzung des Sonderprogramms beratend.

36 Millionen Euro im Jahr für den Artenschutz

Umgesetzt wird das Sonderprogramm gemeinsam durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz sowie das Ministerium für Verkehr. Denn Naturschutz geht alle etwas an und kann nur zusammen erfolgreich gestaltet werden.

Für das Sonderprogramm standen in den Jahren 2018 und 2019 insgesamt 36 Millionen Euro zur Verfügung. Mit diesen Mitteln haben wir verschiedenste Maßnahmen in der Land- und Forstwirtschaft, auf Straßenbegleitflächen sowie im Natur- und Artenschutz initiiert sowie die Forschung verstärkt.

Für die Jahre 2020 und 2021 hat die Landesregierung eine Weiterführung des Sonderprogramms mit identischem Finanzbudget beschlossen. Mit diesen Geldern führen wir begonnene Projekte fort, entwickeln bestehende Maßnahmen weiter und realisieren neue Vorhaben.

„Schatzkisten der biologischen Vielfalt“ schützen

Baden-Württemberg beherbergt aufgrund seiner kleinteiligen Landschaft eine Vielzahl an europaweit geschützten Lebensräumen und -arten. In sogenannten „Natura 2000-Gebieten“ sind viele dieser Tiere und Pflanzen heimisch. „Natura 2000-Managementpläne“ weisen für die geschützten Lebensräume und Arten die zu ihrer Erhaltung spezifischen Maßnahmen aus. Das Sonderprogramm hilft, die Pläne verstärkt umzusetzen.

Für die über 1.040 Naturschutzgebiete in Baden-Württemberg hat die Naturschutzverwaltung ein Konzept zur Qualitätssicherung ausgearbeitet. Ziel ist es, das vorhandene Wissen über die Gebiete zu sammeln und die Pflege der Gebiete zu optimieren. In vier ausgewählten Landkreisen wurde das Konzept bereits erprobt und seit 2019 setzen es weitere Naturschutzgebiete landesweit um.

Kulturlandschaft ist wichtiger Lebensraum für Tiere 

Hecken und Gebüsche, Kleingewässer, Trockenmauern und Steinriegel bilden wertvolle Rückzugsräume und Nahrungsquellen für alle möglichen Tiere. Die Landschaftspflegerichtlinie fördert gezielt solche Landschaftselemente. Landwirtschaftsbetrieben stehen zusätzliche Fördergelder zur Verfügung, wenn sie ihre Acker- oder Grünlandflächen weniger intensiv bewirtschaften, auf Pflanzenschutzmittel verzichten oder spezielle Maßnahmen für bedrohte Arten ergreifen.

Im Rahmen des Sonderprogramms erhält die Naturschutzverwaltung des Landes für diese Maßnahmen zum Erhalt der wertvollen Kulturlandschaft zusätzliche Mittel. Gleichzeitig sollen der landesweite Biotopverbund die einzelnen Lebensräume miteinander vernetzen, damit die Arten sich in verschiedenen Naturräumen entfalten und ausbreiten können. Hierfür steht eine landesweite Planungsgrundlage zur Verfügung. Sie kann von allen Interessierten, Städten und Gemeinden genutzt werden, um den Biotopverbund zu gestalten. 2018 und 2019 haben im Rahmen des Sonderprogramms bereits vier Modell-Kommunen den Biotopverbund konkretisiert und umgesetzt. In den Jahren 2020 und 2021 wird die Umsetzung in weiteren Modellregionen von uns unterstützt.

Artenvielfalt mit Bewirtschaftung verbinden

Im Bereich der Landwirtschaft werden unter anderem Maßnahmen angewandt-wissenschaftlich erprobt. Dazu zählen beispielsweise die Diversifizierung des Maisanbaus durch Mischanbau mit blühenden Mischungspartnern sowie die Etablierung blühender Randstreifen und Altgrasstreifen im intensiv genutzten Grünland. Weitere Projekte untersuchen Möglichkeiten zur Reduktion des Einsatzes chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel. So etwa die herbizidfreie Bodenbearbeitung im Wein- und Beerenobstanbau und die Nützlingsförderung im Kohlanbau mit speziellen Blühmischungen. Der Wissenstransfer in die landwirtschaftliche Praxis wird beispielsweise über ein Praxis-Netzwerk zur Erprobung mechanisch-digitaler Verfahren im Ackerbau umgesetzt. Zudem über das Projekt „Gesamtbetriebliche Biodiversitätsberatung – Kommunikation und Bildung“, welches insbesondere die landwirtschaftlichen Fachschülerinnen und Fachschüler für das Thema „Biodiversität“ sensibilisieren soll.

Die Ackerwildkraut-Meisterschaften würdigen zudem Landwirtinnen und Landwirte, die ihre Ackerflächen nachhaltig bewirtschaften und damit Vorbilder für die Erhaltung der biologischen Vielfalt in der Kulturlandschaft sind.

Im Bereich der Wälder setzen wir mit dem Sonderprogramm unter anderem Projekte für ein besitzartenübergreifendes Management von Wäldern in Natura 2000-Gebieten und zur ökologischen Potenzialerfassung von Waldbächen um. Auch wird die Biodiversitätsleistung extensiv genutzter Wälder geprüft und die Lebensräume für Auerhühner und Niederwild gestärkt. Landesweit schaffen wir neue Blühflächen für Insekten.

Monitoring der Artenvielfalt

Bislang fehlt es an ausreichenden Datengrundlagen, um belastbare Aussagen über den Zustand und die Entwicklung der heimischen Artenvielfalt in Baden-Württemberg machen zu können. Dieses Wissen ist jedoch von großer Bedeutung, um die Bestandsentwicklung gefährdeter Arten zu erfassen, entsprechende Schutzmaßnahmen zu ergreifen und deren Wirksamkeit überprüfen zu können.

Die Landesregierung hat deshalb im Jahr 2018 verstärkt begonnen, die Wissenslücken zu schließen. Bei der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg haben wir ein landesweites Insektenmonitoring aufgebaut, das Informationen über die Vielfalt an Insekten im Land liefern soll. Diese Lebewesen sind gleichzeitig Indikatoren für die Qualität ihrer Lebensräume und bilden die wichtigste Nahrungsquelle für Vögel und Fledermäuse. Für Letztere haben wir ebenfalls Monitorings eingerichtet und ausgebaut, damit wir unsere Kenntnisse verbessern und gezielte Schutzmaßnahmen für die heimischen Brutvögel und Fledermäuse ergreifen können. Ebenso werden Waldlebensräume und die dort lebenden Insekten erfasst, auch im Hinblick auf den Einfluss von Bewirtschaftungs- und klimatischen Faktoren.

Grünflächen an Straßen ökologisch aufwerten und Lebensräume vernetzen

In Baden-Württemberg ziehen sich etwa 27 000 Hektar Grünflächen entlang von Straßen, die aufgrund ihrer linearen Struktur und ihrer Verteilung über das ganze Land eine wichtige Funktion im Naturhaushalt und für den Biotopverbund haben. Im Rahmen des Sonderprogramms werden straßenbegleitende Grasflächen an Kreis-, Landes- und Bundesstraßen ausgehagert und dadurch ökologisch aufgewertet, um die Artenvielfalt im sogenannten Straßenbegleitgrün zu erhöhen. Strukturreichen Blühflächen auf Rastplätzen und Kreisverkehren sowie auf Neubauflächen an Bundes- und Landesstraßen schaffen Lebensräume für Bienen und andere Insekten. Beim Wettbewerb um die sogenannte „Goldene Wildbiene“ zeichnet das Ministerium für Verkehr Kommunen für die insektenfreundliche Anlage von Flächen an Kreis- und Gemeindestraßen aus.

Damit Amphibien bei ihren Wanderungen auch kommunale Straßen gefahrlos überwinden können, haben wir 2018 und 2019 der Bau von Amphibienschutzanlagen an Kreis- und Gemeindestraßen gefördert. Seit dem 1. Januar 2020 ist eine Förderung dieser Anlagen über das Landesgemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (LGVFG) möglich.

Mit Eckpunktepapier und Gesetzespaket die Biodiversität stärken

Das Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt ist eine zeitlich befristete Selbstverpflichtung der Landesregierung. Mit dem im Jahr 2019 angestrengten Volksbegehren „Rettet die Bienen“ verfolgten die Initiatoren das Ziel weitreichender gesetzlicher Änderungen, mit denen dem Insektensterben Einhalt geboten werden sollte. Dabei hatte das Volksbegehren insbesondere den Fokus auf der Landbewirtschaftung. Gegen einige Forderungen des Volksbegehrens gab es erhebliche Bedenken unter anderem auch seitens der Landwirtschaft.

Der größte Teil unserer Arten ist wiederum abhängig von der über Jahrhunderte geschaffenen und bewirtschafteten Kulturlandschaft in unserem Lande, die wir gerade auch in ihrer Vielfalt erhalten wollen. Die Landesregierung war und ist daher der Überzeugung, dass ein Erhalt der Arten langfristig nur möglich ist, wenn zugleich die Rahmenbedingungen für die Landbewirtschaftung stimmen und Landwirtschaft und Naturschutz konstruktiv zusammenarbeiten und partnerschaftlich an einem Strang ziehen.

Das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft und das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz haben daher gemeinsam im Herbst 2019 einen umfassenden Dialogprozess initiiert und in Runden Tischen mit den Landwirtschafts- und Naturschutzverbänden sowie dem Trägerkreis des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“  erforderliche Eckpunkte zum Insektenschutz sowie daraus folgende Änderungen im Naturschutz- und Landwirtschafts- und Landeskulturgesetz diskutiert.

Dabei haben wir die Forderungen des Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ inhaltlich weitestgehend aufgegriffen und mit Blick auf die gesamtgesellschaftliche Verantwortung für den Erhalt der Biodiversität um zusätzliche Maßnahmen erweitert. Als Ergebnis konnten am 18. Dezember 2019 Landwirtschaftsminister Peter Hauk und Umweltminister Franz Untersteller dem Trägerkreis und den Landnutzungsverbänden einen ausgearbeiteten Gesetzentwurf zur Umsetzung der Eckpunkte präsentieren. Daraufhin hat der Trägerkreis des Volksbegehrens beschlossen, die Unterschriftensammlung für das Volksbegehren einzustellen und auch die landwirtschaftlichen Verbände beschlossen, den Gesetzentwurf der Landesregierung zu unterstützen.

Wesentliche Inhalte des Eckpunktepapiers zum Insektenschutz und des Gesetzentwurfs zur Änderung des Naturschutzgesetzes und des Landwirtschafts- und Landeskulturgesetzes sind:

  • Ausbau des Anteils der ökologischen Landwirtschaft auf 30 bis 40 Prozent bis zum Jahr 2030.
  • Reduktion der chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel um 40 bis 50 Prozent bis 2030.
  • Umsetzung des Verbots von Pestiziden in Naturschutzgebieten und Einhaltung der landesspezifischen Vorgaben des Integrierten Pflanzenschutzes in den übrigen Schutzgebieten.
  • Schaffung von Refugialflächen auf zehn Prozent der landwirtschaftlichen Flächen.
  • Aufbau eines landesweiten Biotopverbunds auf 15 Prozent der Landesfläche bis 2030.
  • Erhalt von Streuobstbeständen.
  • Insektenfreundliche Gestaltung und Pflege öffentlicher Grünflächen und Gärten.
  • Verbot von chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln in Schutzgebieten auch für Privatpersonen.
  • Verbot von Schottergärten auf Privatgrundstücken.
  • Minimierung der Lichtverschmutzung.

Programm wird fortgesetzt

Ein Fachgremium ist im Juni 2021 zu dem Ergebnis gekommen, das Sonderprogramm habe wichtige, zum Teil wegweisende Aktivitäten ausgelöst. In Verbindung mit dem Biodiversitätsstärkungsgesetz handle das Land mit seinen Programmen beispielhaft und könne so eine bundesweite Strahlwirkung erzeugen. Die Maßnahmen des Sonderprogramms, insbesondere das Artenmonitoring, sollten deshalb in geeigneter Form fortgeführt und verstetigt werden.

Mehr Informationen zum Sonderprogramm Artenvielfalt

Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt der Landesregierung Baden-Württemberg: Abschlussbericht 2018/2019 – Evaluation durch das wissenschaftliche Fachgremium (PDF)

Broschüre: Mit Flora und Fauna. Mit Herz und Verstand. Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt

Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz: Sonderprogramm Biodiversität

Umweltministerium: Sonderprogramm Biodiversität
Verkehrsministerium: Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt

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